Dämmerschlaf (Analgosedierung)

Als Analgosedierung (Synonyme: Analgosedation, Sedoanalgesie) bezeichnet man die medikamentöse Schmerzausschaltung (Analgesie) bei gleichzeitiger Beruhigung (Sedierung) bzw. Dämpfung des Bewusstseins. Das Verfahren wird allgemein auch als sogenannter "schmerzfreier Dämmerschlaf" bezeichnet. Im Gegensatz zur klassischen Narkose atmet der Patient selbst (Spontanatmung) und reagiert auf äußere Reize.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Endoskopische Untersuchungen, z. B. Koloskopie (Darmspiegelung), Gastroskopie (Magenspiegelung)
  • Kleinere plastische Operationen

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Aspirationsgefahr (Eindringen von Material (z. B. Speichel, Flüssigkeit) in die Atemwege)
  • Kritischer Atemweg
  • Respiratorische Insuffizienz (unzureichende Atemmechanik, die zu einer Störung des Gasaustausches in der Lunge führt)
  • Stark eingeschränkte kardiovaskuläre Funktion (Herz-Kreislauffunktion)
  • Erhöhter intrakranieller ("innerhalb des Schädels") Druck mit Übelkeit und/oder Bewusstseinseintrübung
  • Kontraindikationen für die verwendeten Analgetika (Schmerzmittel), Narkotika (Medikamente, die für Narkosen benutzt werden) und Sedativa (Beruhigungsmittel)

Vor der Analgosedierung

Vor der Analgosedierung muss eine Nahrungskarenz eingehalten werden. Es reicht dafür eine Karenzzeit (Verzicht) von sechs Stunden nach fester Kost und von zwei Stunden nach klarer Flüssigkeit aus.

Vor dem Eingriff/der Untersuchung muss der Arzt ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten zur Klärung von Fragen, Erhebung der Anamnese (Krankengeschichte) sowie zur Unterrichtung über Risiken und Komplikationen durchführen.

Der Patient erhält einen venösen Zugang gelegt,
d. h. einen Katheter, über den Medikamente und – soweit erforderlich – Infusionen in die Vene (und damit ins Blut) zugeführt werden können. Über diesen Zugang wird auch das Medikament, z. B. das Hypnotikum (Schlafmittel) Propofol injiziert.

Unmittelbar vor der Analgosedierung stellt der Arzt die Frage nach der letzten Nahrungsaufnahme und überprüft den Mund- und Zahnstatus (auch für die forensische Nachvollziehbarkeit im Falle von Schäden bei einer im Notfall erforderlichen Intubation/Einführen eines Tubus (Beatmungsschlauch) in die Luftröhre).

Mit Beginn der Analgosedierung beginnt das medizinische Monitoring (Überwachung): Dieses besteht aus: Elektrokardiogramm (EKG), Pulsoxymetrie (Messung von Puls und Sauerstoffgehalt des Blutes) und Blutdruckmessung (ggf. invasive arterielle Blutdruckmessung bei Risikopatienten).

Anforderungen an die Ausstattung des Arbeitsplatzes und an das Monitoring:

  • Möglichkeit zur sofortigen Beatmung muss gegeben sein (Beatmungsbeutel mit Masken in unterschiedlichen Größen, Guedel- und Wendltuben; Sauerstoff (Sauerstoffanschluss in der Wand oder eine volle Sauerstoffflasche)
  • Ein Defibrillator (Elektroschockgerät zur Stabilisierung des Herzrhythmus) sollte verfügbar sein.
  • Minimalmonitoring mittels Pulsoxymetrie zur kontinuierlichen Überwachung der Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung (SpO2); Atemfrequenz-Messung (z. B. durch Beobachten und Zählen) [ausreichend bei minimaler Sedierung (Grad I)]

Neben dem Endoskopeur bzw. Operateur muss qualifiziertes Personal vorhanden sein.

In der deutschen Leitlinie zur Sedierung und Analgesie (Analgosedierung) von Patienten durch Nicht-Anästhesisten [1] steht zur Personalausstattung folgende Formulierung: eine zweite, in der Überwachung von Patienten, die Sedativa und/oder Analgetika erhalten haben, speziell geschulte, qualifizierte Person hat die Aufgabe der Patientenüberwachung zuverlässig wahrzunehmen. Bis zu moderaten Analgosedierungen kann diese Überwachung durch hierfür qualifiziertes nichtärztliches Personal im Zuge der Delegation erfolgen. Die Sedierung überwachende Person darf in dieser Zeit keine anderen Aufgaben wahrnehmen.

Das Verfahren

Die Analgosedierung erfolgt üblicherweise mithilfe parenteraler ("unter Umgehung des Darms") Anästhetika (Medikamente, die eine reversible Verminderung oder Ausschaltung der Schmerzempfindung bewirken) in Kombination mit oralen oder parenteralen Sedativa (Beruhigungsmittel).

Dazu wurden lange Zeit Benzodiazepine (Midazolam und Diazepam) mit oder ohne Opiate (Fentanyl und Morphin) eingesetzt.

Bei Endoskopien ("Spiegelungen") wird jedoch weltweit immer häufiger das kurzwirksame Hypnotikum Propofol ("Propofolkurznarkose") verwendet. Es hat einen schnellen Wirkungseintritt und eine kurze Wirkungsdauer ohne klinisch relevanten analgetischen Effekt ("schmerzstillenden Effekt"). Es eignet sich besonders gut für tiefe Sedierungen und führt zu einem angenehmen Einschlaf- und Aufwachverhalten.

Bei schmerzhaften Eingriffen wird es entweder mit einem Lokalanästhetikum (örtliche Betäubung) oder einem systemisch wirksamen Analgetikum (Schmerzmittel, z. B. einem Opioid) kombiniert. 

Als Analgosedativum kann auch Ketamin eingesetzt werden. Dieses kann mit Propofol oder Midazolam kombiniert werden.

Nach der Analgosedierung

Nach dem Eingriff beginnt die Phase der Nachbeobachtung des Patienten, ggf. in einem separaten Aufwachraum.

Vor der Entlassung des Patienten überzeugt sich der behandelnde Arzt, dass der Patient wieder wach und orientiert ist, bevor er an eine Begleitperson übergeben wird.

Der Patient sollte den Nachhauseweg vor dem Eingriff organisieren, indem er dafür sorgt, dass er von einer Begleitperson abgeholt und nach Hause gebracht wird.

Achtung! Nach einer Analgosedierung ist aus rechtlichen Gründen eine aktive Teilnahme am Straßenverkehr
(Auto, Motorrad, Fahrrad) am Untersuchungstag strengstens untersagt.

Mögliche Komplikationen

  • Benzodiazepine: Hypersalivation (Synonyme: Sialorrhö, Sialorrhoe; Ptyalismus; vermehrter Speichelfluss) (manchmal); Ataxie (Bewegungsstörung) und Erregungszustände (selten)
  • Ketamin: Apnoe, Atemwegsverlegung (häufig bei Repetitionsdosen/Wiederholungsdosen und Überdosierung), Hypersalivation (häufig), unruhiges Erwachen, Albträume, Halluzinationen (häufig), Nystagmus/unkontrollierbare, rhythmische Bewegungen der Augen (häufig), Laryngospasmus (Stimmritzenkrampf) (selten), Nausea (Übelkeit) und Erbrechen
  • Propofol: Hypotonie (niedriger Blutdruck), Atemdepression bis Apnoe
  • Opioide: Atemdepression
  • Propofolinfusionssyndrom (PRIS); Symptome:
    • schwere metabolische Azidose (stoffwechselbedingte Übersäuerung)
    • Herzrhythmusstörungen/Herzversagen
    • Rhabdomyolyse (Auflösung quergestreifter Muskelfasern) mit der Folge eines Nierenversagens
    • Hypertriglyzeridämie (Fettstoffwechselstörung mit Erhöhung der Triglyceride)
    Bei den meisten berichteten PRIS-Fällen wurde Propofol in einer Dosis > 5 mg/kg/h und über einen Zeitraum von mehr als 48 Stunden eingesetzt, in Einzelfällen wurde ein PRIS auch schon nach kurzer Infusionsdauer mit moderaten Dosierungen (> 4 mg/kg/h) beschrieben; Letalität (Sterblichkeit) im Mittel 51 % (wenige Fälle) [4]
  • Minorkomplikationen (0,3 %)
    • paradoxe Reaktion
    • Atemdepression (sO2 < 90 % über 10 sec; bei Überdosierung)
    • Hypotension (> 25 %)
    • Abfall der Herzfrequenz (< 20 %)
    • Sonstiges (Laryngospasmus, allergische Reaktion, Aspiration, Erbrechen, Krampfanfall, Paravasation (es gelangt Injektions- oder Infusionsflüssigkeit in das Gewebe neben dem punktierten Gefäß), Herzrhythmusstörungen, Patientensturz, dissoziativer Stupor/vollständigem Aktivitätsverlust bei ansonsten wachem Bewusstseinszustand)
  • Majorkomplikationen (0,01 %; Fallzahl: 350.000 Sedierungen) [2]: Aufnahme auf die Intensivstation, Notwendigkeit einer Intubation, Reanimation; Tod (0,004 %)

Weitere Hinweise

  • Die Schmerzempfindung bei der venösen Kanülierung (Legen einer Kanüle/Hohlnadel) und bei Propofolapplikation (Gabe von Propofol) gibt Hinweise auf die zu erwartende postoperative Schmerzintensität [3].

Literatur

  1. Leitlinie: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin: Sedierung und Analgesie (Analgosedierung ) von Patienten durch Nicht-Anästhesisten. Anästh. Intensivmed. 43 (2002) 639 - 641
  2. Sicherheit der Sedierung der Gastroskopie und Koloskopie bei Niedrigrisikopatienten – Retrospektive Subgruppenanalyse der Ergebnisse einer Registerstudie von über 170 000 Endoskopien: Ergebnisse der ProSed-2-Studie; vorgestellt auf der Viszeralmedizin 2014, gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und ihrer Sektion Endoskopie und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV). Z Gastroenterol 2016; 54(08): 733-739. doi: 10.1055/s-0042-108655
  3. Persson AKM et al.: Prediction of postoperative pain from assessment of pain induced by venous cannulation and propofol infusion. Acta Anaesthesiol Scand 2015; online 16. September; doi: 10.1111/aas.12634
  4. Propofolinfusionssyndrom – Empfehlungen für eine erhöhte Sicherheit. Deutsches Ärzteblatt, Jg. 114, Heft 20, 19.05.2017

Leitlinien

  1. Leitlinie: Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin: Sedierung und Analgesie (Analgosedierung ) von Patienten durch Nicht-Anästhesisten. Anästh. Intensivmed. 43 (2002) 639 - 641
  2. S3-Leitlinie: Gastrointestinale Endoskopie, Sedierung. (AWMF-Registernummer: 021-014), Mai 2015 Langfassung
     
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