Kaltplasmatherapie

Die Kaltplasmatherapie, auch als kalte Atmosphärendruckplasma-Therapie (kaltes atmosphärisches Plasma (KAP); engl. cold atmospheric pressure plasma, CAPP) bekannt, ist ein innovatives medizinisches Verfahren, das zunehmend in verschiedenen Fachbereichen, einschließlich der Orthopädie, Anwendung findet. Dieses Verfahren nutzt Plasma, den vierten Aggregatzustand der Materie, welches durch Ionisierung eines Gases unter spezifischen Bedingungen erzeugt wird. Das Besondere an der Kaltplasmatherapie ist die Verwendung von Plasma bei niedrigen, gewebefreundlichen Temperaturen.

Zielsetzung

Die Hauptziele der Kaltplasmatherapie umfassen die Beschleunigung der Wundheilung, Bekämpfung von Infektionen, Reduzierung von Entzündungen und in bestimmten Fällen die Bekämpfung von Tumorzellen.

In der Orthopädie wird sie insbesondere zur Förderung der Heilung von Knochen- und Weichteilverletzungen sowie zur Behandlung chronisch entzündlicher Erkrankungen eingesetzt.

Grundlagen und Wirkungen

Die Wirkungsweise der Kaltplasmatherapie basiert auf verschiedenen Mechanismen:

  • Antimikrobielle Wirkung: Durch Erzeugung von reaktiven Sauerstoff- und Stickstoffspezies wirkt das Plasma bakterizid, viruzid und fungizid (Bakterien, Viren und Pilze tötend).
  • Förderung der Zellregeneration: Plasma beeinflusst zelluläre Signalwege positiv und fördert so die Zellteilung und Wundheilung.
  • Immunmodulation: Es findet eine Beeinflussung von Immunzellen statt, wodurch entzündliche Prozesse moduliert werden.
  • In der Onkologie: Es gibt Hinweise, dass Plasma selektiv Krebszellen angreifen kann.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Innere Medizin
    • Chronische Wunden [2-8] wie diabetische Fußulzera [1] oder Dekubitus: Kaltplasma fördert die Wundheilung durch die Steigerung der Zellregeneration und antimikrobielle Wirkung.
  • Dermatologie
    • Wundheilung: Kaltplasma unterstützt die Heilung von chronischen Wunden [2-8] und akuten Wunden durch Förderung der Zellregeneration und hat antimikrobielle Eigenschaften, die das Infektionsrisiko verringern.
    • Behandlung von Hautinfektionen: Aufgrund seiner antimikrobiellen Wirkung kann Kaltplasma zur Behandlung von bakteriellen, viralen und pilzbedingten Hautinfektionen eingesetzt werden.
    • Dekubitus und diabetische Ulzera: Bei der Behandlung von Druckgeschwüren und diabetischen Fußulzera kann Kaltplasma die Heilung beschleunigen und Infektionen vorbeugen.
    • Verbesserung der Narbenheilung: Kaltplasmatherapie kann zur Reduzierung von Narbenbildung beitragen und das Erscheinungsbild bestehender Narben verbessern.
    • Dermatitis und Ekzeme: Bei entzündlichen Hauterkrankungen wie Dermatitis oder Ekzemen kann Kaltplasma helfen, Entzündungen zu reduzieren und Symptome zu lindern.
    • Aknebehandlung: Kaltplasma kann bei der Behandlung von Akne hilfreich sein, indem es die bakterielle Belastung reduziert und entzündungshemmend wirkt.
    • Hautverjüngung: Kaltplasmabehandlungen können zur Verbesserung des Hautbildes, zur Reduzierung von Altersflecken und zur Förderung einer gesünderen Hautstruktur beitragen.
    • Atopische Dermatitis/Atopisches Ekzem (Neurodermitis)Kaltplasma kann hier möglicherweise helfen (Stadium der klinischen Erprobung, mit ersten positiven Ergebnissen) [9].
    • Psoriasis: Bei Psoriasis (Schuppenflechte) kann Kaltplasma zur Linderung von Symptomen und zur Reduzierung von Entzündungen eingesetzt werden.
  •  Orthopädie
    • Beschleunigung der Heilung von Frakturen (Knochenbrüchen) und Weichteilverletzungen: Kaltplasma kann zur Beschleunigung des Heilungsprozesses bei Knochenbrüchen und Weichteilverletzungen eingesetzt werden.
    • Behandlung von chronischen Entzündungen und Schmerzzuständen wie ArthritisDie entzündungshemmenden und schmerzlindernden Eigenschaften von Kaltplasma können bei der Behandlung von chronischen Entzündungen wie Arthritis hilfreich sein.
    • Postoperative Wundbehandlung zur Infektionsprävention und Förderung der WundheilungDie antimikrobielle Wirkung von Kaltplasma kann zur Infektionsprävention bei postoperativen Wunden beitragen und den Heilungsprozess unterstützen.
  • Zahnmedizin
    • Wundheilung und Geweberegeneration: Kaltplasma kann die Wundheilung fördern und wird zur Beschleunigung der Heilung von postoperativen Wunden, Extraktionsstellen oder bei der Behandlung von Ulzerationen (Geschwürbildung) und Aphthen eingesetzt.
    • Desinfektion und Sterilisation: Aufgrund seiner antimikrobiellen Eigenschaften eignet sich Kaltplasma zur Desinfektion von Wurzelkanälen, Implantatoberflächen und zur Reduktion von Bakterienbelastungen in Parodontaltaschen (Zahntaschen).
    • Behandlung von Parodontitis und Periimplantitis: Kaltplasma wird zur Reduzierung von Entzündungen und zur Bekämpfung von pathogenen Bakterien in parodontalen und periimplantären Läsionen verwendet.
    • Hemostase (Blutstillung): Kaltplasma kann bei kleinen chirurgischen Eingriffen im Mundbereich zur effektiven Blutstillung beitragen.
    • Kariesbehandlung: Bei der Behandlung von Karies kann Kaltplasma zur Reinigung und Sterilisation der Kavitäten ("Zahnloch")vor der Füllung verwendet werden.
    • Zahnbleaching: Es gibt Studien, die zeigen, dass Kaltplasma das Bleaching von Zähnen unterstützen und verbessern kann.
    • Desensibilisierung von empfindlichen Zähnen: Die Anwendung von Kaltplasma kann bei der Behandlung von Zahnhypersensibilität hilfreich sein, indem es die Dentinkanälchen verschließt.
    • Oberflächenmodifikation von Dentalmaterialien: Kaltplasma kann eingesetzt werden, um die Oberflächen von Dentalmaterialien wie Implantaten oder Prothesen zu modifizieren, um deren Biokompatibilität und Osseointegration zu verbessern.
      Hinweis: Die Osseointegration beschreibt in der zahnärztlichen Implantologie die 
      feste Integration eines Zahnimplantats in den umgebenden Knochen. 

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Elektronische Implantate im Behandlungsbereich
  • Schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  • Schwangerschaft
  • Unbehandelte maligne Tumoren im Behandlungsbereich

Vor der Therapie

Eine sorgfältige Anamnese und Untersuchung sind erforderlich, um Kontraindikationen auszuschließen. Die zu behandelnde Region wird gereinigt und vorbereitet.

Die Kombination von Kaltplasmatherapie mit einer Mikronährstofftherapie kann in bestimmten Fällen sinnvoll sein, hängt jedoch von der spezifischen klinischen Situation und den individuellen Bedürfnissen des Patienten ab. Mikronährstoffe, wie Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, spielen eine wichtige Rolle bei zahlreichen physiologischen Prozessen, einschließlich der Wundheilung und Immunfunktion.

Bei der Behandlung mit Kaltplasmatherapie, die auf die Förderung der Wundheilung, die Reduktion von Infektionen und die Unterstützung der Zellregeneration abzielt, könnten ergänzende Mikronährstoffe folgende Vorteile bieten:

  • Unterstützung der Wundheilung: Bestimmte Vitamine und Mineralien, wie Vitamin C, Zink und Eisen, sind entscheidend für die Kollagensynthese und die Zellteilung, die für die Wundheilung notwendig sind.
  • Stärkung des Immunsystems: Mikronährstoffe wie Vitamin D, Vitamin E und Selen können das Immunsystem stärken und so dazu beitragen, Infektionen zu bekämpfen oder vorzubeugen.
  • Reduzierung von Entzündungen: Einige Mikronährstoffe, wie Omega-3-Fettsäuren, können entzündungshemmende Eigenschaften haben, was bei der Behandlung von entzündlichen Erkrankungen hilfreich sein kann.
  • Allgemeine Gesundheitsförderung: Eine ausgewogene Zufuhr von Mikronährstoffen ist wichtig für die allgemeine Gesundheit und kann die Effektivität der Kaltplasmatherapie unterstützen.

Das Verfahren

Das Plasma in der Kaltplasmatherapie wird durch einen Prozess namens „Dielektrische Barriereentladung“ (DBE) erzeugt. Dies ist eine gängige Methode zur Erzeugung von kaltem Plasma bei Atmosphärendruck, und sie funktioniert wie folgt:

  • Gas als Ausgangsmaterial: Zunächst wird ein Gas als Ausgangsmaterial verwendet, typischerweise Luft oder ein inertes Gas wie Helium oder Argon.
  • Anlegen einer Hochspannung: Eine Hochspannung wird zwischen zwei Elektroden angelegt, die sich in einer geringen Entfernung voneinander befinden. Eine dieser Elektroden ist mit einem dielektrischen Material (wie Glas oder Keramik) beschichtet, das als Isolator dient. Diese Anordnung verhindert, dass ein vollständiger elektrischer Strom zwischen den Elektroden fließt und stattdessen kurze, intensive elektrische Entladungen (Mikroentladungen) erzeugt werden.
  • Ionisierung des Gases: Wenn die angelegte Spannung ausreichend hoch ist, wird das Gas zwischen den Elektroden ionisiert. Dies bedeutet, dass Elektronen aus den Gasatomen herausgelöst werden, wodurch Ionen und freie Elektronen entstehen.
  • Erzeugung von Plasma: Die freien Elektronen kollidieren mit anderen Gasatomen und -molekülen, was zu weiteren Ionisierungen und der Erzeugung von reaktiven Spezies wie reaktiven Stickstoff- und Sauerstoffspezies führt. Dieser energiereiche Zustand des Gases wird als Plasma bezeichnet.
  • Kontrolle der Temperatur: Um sicherzustellen, dass das Plasma „kalt“ bleibt und somit für medizinische Anwendungen auf lebendem Gewebe geeignet ist, wird die Energiezufuhr genau kontrolliert. Kaltes Plasma hat die Besonderheit, dass nur die Elektronen sehr heiß sind, während die Ionen und das Neutralgas eine nahezu Raumtemperatur beibehalten.
  • Anwendung auf das Zielgewebe: Das erzeugte kalte Plasma wird dann durch ein Handstück oder eine Düse auf das Zielgewebe, wie eine Wunde oder eine Hautpartie, gerichtet.

Die Kaltplasmatherapie unterscheidet zwischen folgenden Verfahren:

  • flächige Behandlung: verschieden große Geräteaufsätze ermöglichen eine flächige Verteilung des Plasmas.
  • Jet-Verfahren mit Plasma-Pen: mittels eines stiftähnlichen Gerätes wird das Kaltplasma gleichmäßig, gezielt und dicht über das betroffene Hautareal aufgetragen.

Die Behandlungsdauer beträgt je nach klinischem Befund bzw. Indikation zwischen 30 Sekunden und 5 Minuten.

Die Dauer und Häufigkeit der Anwendung hängt von der spezifischen Indikation ab. 

Bei chronischen und infizierten Wunden erfolgt die Behandlung zwei- bis dreimal wöchentlich mit anschließenden zwei- bis dreiwöchigen Therapiepausen [S2k-Leitlinie].

Nach der Therapie

Mögliche leichte Rötungen oder Erwärmungen der behandelten Stelle sind normal und vorübergehend. Patienten sollten die behandelte Region sauber und trocken halten.

Mögliche Komplikationen

  • Frühkomplikationen: Hautirritationen, leichte Verbrennungen, temporäre Pigmentveränderungen
  • Spätkomplikationen: Verzögerte Wundheilung oder Narbenbildung (selten)

Fazit

Die Kaltplasmatherapie stellt eine vielversprechende, nicht invasive Behandlungsoption dar. Ihre Anwendung könnte zu verbesserten Heilungsprozessen und einer reduzierten Abhängigkeit von Medikamenten führen. Weiterführende Forschungen sind notwendig, um das volle Potenzial und die Langzeitwirkungen dieser Therapieform zu verstehen und zu optimieren.

Literatur

  1. Stratmann B et al.: Effect of Cold Atmospheric Plasma Therapy vs Standard Therapy Placebo on Wound Healing in Patients With Diabetic Foot Ulcers A Randomized Clinical Trial JAMA Netw Open. 2020;3(7):e2010411. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.10411
  2. Stratmann B et al.: Effect of Cold Atmospheric Plasma Therapy vs Standard Therapy Placebo on Wound Healing in Patients With Diabetic Foot Ulcers: A Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open 2020;3(7):e2010411. doi:10.1001/jamanetworkopen.2020.10411
  3. Meyer R: Diabetischer Fuss: Kaltplasma-Pen fördert Abheilung infizierter Ulzera. Deutsches Ärzteblatt International 2020;117(44):[29]. 
  4. Chuangsuwanich A et al.: The Healing Effect of Low-Temperature Atmospheric-Pressure Plasma in Pressure Ulcer: A Randomized Controlled Trial. The International Journal of Lower Extremity Wounds 2016;15(4):313-319. https://doi.org/10.1177/153473461666504
  5. Abu Rached N et al.: Cold Plasma Therapy in Chronic Wounds - A Multicenter, Randomized Controlled Clinical Trial (Plasma on Chronic Wounds for Epidermal Regeneration Study): Preliminary Results. Journal of Clinical Medicine 2023;12(15):5121DOI
  6. Strohal R et al.: Chronic wounds treated with cold atmospheric plasmajet versus best practice wound dressings: a multicenter, randomized, non-inferiority trial. Scientific Reports 2022;12(1):3645
  7. Moelleken M et al.: Pilotstudie zum Einfluss von kaltem atmosphärischem Plasma auf bakterielle Kontamination und Heilungstendenz chronischer Wunden. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft​​​​​ ​​2020;18(10):1094-1102.
  8. Rached NA et al.: Cold Plasma Therapy in Chronic Wounds – A Multicenter, Randomized Controlled Clinical Trial (Plasma on Chronic Wounds for Epidermal Regeneration Study): Preliminary Results. J. Clin. Med. 2023;12(15):5121
  9. Bai F et al.: Cold Atmospheric Plasma: A Promising and Safe Therapeutic Strategy for Atopic Dermatitis. International Archives of Allergy and Immunology 2023;1-14

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Rationaler therapeutischer Einsatz von kaltem physikalischem Plasma. (AWMF-Registernummer: 007-107), Februar 2022 Langfassung
     
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