Stretching und Muskelkater: Was wirklich hilft – und was nicht

Stretching – oder Dehnen – ist ein fester Bestandteil vieler Trainingsroutinen. Es wird häufig als Aufwärm- oder Abkühlmaßnahme genutzt, um die Beweglichkeit zu fördern, die Muskulatur vorzubereiten und Verletzungen vorzubeugen. Auch zur Linderung oder Vorbeugung von Muskelkater wird Stretching vielfach empfohlen. Doch was sagt die aktuelle Forschung dazu?

Was passiert bei Muskelkater?

Muskelkater entsteht durch mikroskopisch kleine Muskelfaserschädigungen (Mikrotraumen), die nach ungewohnten oder intensiven Belastungen auftreten. Diese führen zu einer lokalen Entzündungsreaktion mit Schwellung, Schmerzen und eingeschränkter Beweglichkeit. Die Beschwerden setzen typischerweise 12-24 Stunden nach der Belastung ein und klingen nach 3-5 Tagen wieder ab.

Wirkt Dehnen gegen Muskelkater?

Trotz der verbreiteten Annahme, dass Stretching Muskelkater vorbeugen oder lindern könne, zeigen zahlreiche Studien, dass diese Wirkung nicht belegt ist.

  • Bereits eine systematische Übersichtsarbeit von Herbert & Gabriel (2002) kam zu dem Schluss, dass Dehnen vor oder nach körperlicher Belastung keinen signifikanten Effekt auf die Häufigkeit oder Intensität von Muskelkater hat [1].
  • Eine Cochrane-Analyse (2011) bestätigte, dass Stretching vor oder nach dem Training keinen klinisch relevanten Unterschied bei der Entwicklung von Muskelkater bewirkt [2].
  • Eine aktuellere Metaanalyse von Afonso et al. (2021) zeigte, dass post-exercise Stretching im Vergleich zu passiver Erholung keine signifikante Verringerung der Muskelkater-Symptome nach 24, 48 oder 72 Stunden bewirkt [3].

Die derzeitige Datenlage spricht somit klar dagegen, dass Stretching unmittelbar Muskelkater reduziert oder ihm vorbeugt.

Positive Effekte von Stretching

Auch wenn Stretching keinen direkten Einfluss auf Muskelkater hat, kann es andere positive Wirkungen entfalten:

  • Verbesserung der Beweglichkeit: Regelmäßiges Dehnen erhöht langfristig den Bewegungsumfang.
  • Förderung der Durchblutung: Sanftes Dehnen nach dem Training kann die lokale Mikrozirkulation verbessern.
  • Wahrnehmung und Entspannung: Dehnen kann helfen, Spannungsgefühle zu reduzieren und die Körperwahrnehmung zu schulen.

Diese Effekte sind vor allem für Sportarten mit hohen Beweglichkeitsanforderungen wie Turnen, Tanz, Yoga oder Kampfsport von Bedeutung.

Was hilft stattdessen gegen Muskelkater?

Zur Linderung von Muskelkater haben sich andere Maßnahmen als wirkungsvoller erwiesen:

  • Leichte Bewegung (aktive Erholung): Fördert die Durchblutung und beschleunigt die Regeneration
  • Ausreichende Eiweißzufuhr: Unterstützt den Muskelaufbau und Reparaturprozesse
  • Ausreichend Schlaf: Regeneration und Hormonbalance finden überwiegend in der Ruhephase statt
  • Kälte- oder Wärmebehandlungen: Können Schmerzen kurzfristig lindern

Stretching kann also Teil einer Erholungsroutine sein, ersetzt aber keine gezielten Regenerationsmaßnahmen.

Fazit

Stretching bzw. Dehnen hilft nicht, Muskelkater zu lindern oder ihm vorzubeugen. Dennoch bleibt es ein sinnvoller Bestandteil des Trainings, um Beweglichkeit, Körpergefühl und Koordination zu verbessern. In Kombination mit ausgewogener Ernährung, ausreichender Erholung und regelmäßigem Training kann Stretching die allgemeine Leistungsfähigkeit und Verletzungsprävention unterstützen.

Literatur

  1. Herbert RD, Gabriel M: Effects of stretching before and after exercising on muscle soreness and risk of injury: systematic review. BMJ. 2002; 325(7362): 468. doi: 10.1136/bmj.325.7362.468.
  2. Herbert RD, de Noronha M, Kamper SJ: Stretching to prevent or reduce muscle soreness after exercise. Cochrane Database Syst Rev. 2011;(7):CD004577. doi: 10.1002/14651858.CD004577.pub3.
  3. Afonso J, Clemente FM, Nakamura FY et al.: The Effectiveness of Post-exercise Stretching in Short-Term and Delayed Recovery of Strength, Range of Motion and Delayed Onset Muscle Soreness: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. Front Physiol. 2021; 12: 677581. doi: 10.3389/fphys.2021.677581.