Stillen und Psyche – Nähe, Bonding und Belastungen durch Stillprobleme

Das Stillen ist nicht nur ein physiologischer Prozess der Nahrungsaufnahme, sondern auch ein zentraler Faktor in der emotionalen Entwicklung von Mutter und Kind. Neben den bekannten immunologischen und ernährungsphysiologischen Vorteilen spielt die psychologische Dimension eine entscheidende Rolle: Nähe, Bonding (Gefühls- und Bindungsaufbau zwischen Eltern und Kind direkt nach der Geburt) und mögliche Belastungen durch Stillprobleme sind eng miteinander verknüpft.

Psychologische Bedeutung des Stillens

Stillen fördert die enge Bindung zwischen Mutter und Kind. Körperkontakt, Blickkontakt und die Ausschüttung von Hormonen wie Oxytocin und Prolaktin unterstützen den Aufbau einer sicheren Mutter-Kind-Beziehung. Diese frühe Bindung wirkt sich positiv auf die emotionale Entwicklung, die Stressregulation und die spätere Resilienz (Widerstandskraft eines Menschen) des Kindes aus [1].

Auch für die Mutter kann das Stillen psychologisch stabilisierend wirken. Studien zeigen, dass Stillen mit einem geringeren Risiko für postpartale (nach der Geburt auftretende) Depressionen assoziiert ist, insbesondere dann, wenn das Stillen dem eigenen Wunsch entspricht [2].

Bonding und hormonelle Mechanismen

Das Hormon Oxytocin, das beim Stillen freigesetzt wird, fördert Gefühle von Ruhe, Fürsorge und emotionaler Nähe. Es trägt nicht nur zum Milchspendereflex aus der Brust bei, sondern wirkt gleichzeitig anxiolytisch und stressreduzierend. Dieser Mechanismus unterstützt die emotionale Verbundenheit und stärkt die gegenseitige Feinfühligkeit von Mutter und Kind [3].

Belastungen durch Stillprobleme

Stillprobleme wie Milchstau, Schmerzen, wunde Brustwarzen oder ein unruhiges Trinkverhalten des Kindes können die positiven psychologischen Effekte erheblich beeinträchtigen. Frustration, Versagensgefühle und Schuldempfinden treten nicht selten auf, insbesondere wenn die Erwartungen der Mutter (oder ihres Umfelds) nicht mit der Realität übereinstimmen.

Psychische Belastungen durch Stillprobleme sind auch ein Risikofaktor für die Entwicklung einer postpartalen Depression oder Angststörung. In Studien geben 20-30 % der Frauen an, dass erhebliche Stillprobleme ihre psychische Gesundheit belasten [4].

Praktische Empfehlungen für die Betreuung

  • Individuelle Erwartungen berücksichtigen: Nicht jede Mutter möchte oder kann stillen. Eine wertfreie, offene Kommunikation reduziert Schuldgefühle.
  • Frühzeitige Unterstützung anbieten: Bei Stillproblemen sollte schnell interveniert werden, um Schmerzen und Stress zu reduzieren.
  • Psychische Gesundheit im Blick behalten: Screening auf postpartale Depression und Angststörungen sollte Teil der Versorgung sein, insbesondere bei anhaltenden Stillproblemen.
  • Alternative Ernährungsformen normalisieren: Wenn Stillen nicht gelingt oder nicht gewünscht ist, kann eine sichere Flaschenernährung die Mutter-Kind-Bindung ebenfalls unterstützen. Das Bonding hängt nicht ausschließlich vom Stillen ab, sondern auch von liebevollem, responsivem Umgang.

Prävention von Belastungen

Zur Prävention psychischer Belastungen ist es sinnvoll, bereits in der Schwangerschaft über realistische Stillziele und mögliche Schwierigkeiten aufzuklären. Auch das soziale Umfeld spielt eine wichtige Rolle: Partner und Familie können durch praktische Hilfe und emotionale Unterstützung maßgeblich zur Entlastung beitragen.

Literatur

  1. Victora CG, Bahl R, Barros AJD et al.: Breastfeeding in the 21st century: Epidemiology, mechanisms, and lifelong effect. Lancet. 2016;387(10017):475-490. doi: 10.1016/S0140-6736(15)01024-7.
  2. Dias CC, Figueiredo B: Breastfeeding and depression: A systematic review of the literature. J Affect Disord. 2015;171:142-154. doi: 10.1016/j.jad.2014.09.022.
  3. Uvnäs-Moberg K, Handlin L, Petersson M: Self-soothing behaviors with particular reference to oxytocin release induced by non-noxious sensory stimulation. Front Psychol. 2015;5:1529. doi: 10.3389/fpsyg.2014.01529.
  4. Brown A, Rance J, Bennett P: Understanding the relationship between breastfeeding and postnatal depression: The role of pain and physical difficulties. J Adv Nurs. 2016;72(2):273-282. doi: 10.1111/jan.12832.