Impfungen in der Stillzeit – welche sind erlaubt und sinnvoll?

Die Stillzeit ist keine Kontraindikation (Gegenanzeige) für Schutzimpfungen – im Gegenteil: Ein aktueller Impfschutz reduziert das Risiko mütterlicher Erkrankungen, senkt damit indirekt das Expositionsrisiko (Wahrscheinlichkeit, dass durch den Kontakt mit einer Gefahrstoffkonzentration eine Krankheit entsteht) des Säuglings und kann über Muttermilch antigenspezifische Antikörper transportieren [1]. Totimpfstoffe gelten in der Stillzeit als sicher; die meisten Lebendimpfstoffe können gegeben werden, einzelne Ausnahmen erfordern jedoch eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung (siehe unten) [1, 2].

Was gilt grundsätzlich?

  • Totimpfstoffe (z. B. Influenza (Grippe), Tdap (Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten)), Hepatitis B, Polio (Kinderlähmung), Pneumokokken, Herpes zoster) können in der Stillzeit verabreicht bzw. aufgefrischt werden [1, 2].
  • Lebendimpfstoffe sind in der Stillzeit meistens zulässig; eine relevante Virusausscheidung in die Muttermilch ist für gängige Routineimpfungen nicht belegt. Für Varizellen (Windpocken) wurde in einer prospektiven Studie keine Ausscheidung von Vakzinevirus in der Muttermilch nachgewiesen [3].
  • Sonderfall Gelbfieber: Es existieren gut dokumentierte Einzelfälle einer Transmission (Übertragung) des Vakzinevirus über die Muttermilch mit YEL-AND (Enzephalitis (Entzündung des Gehirns)) beim Säugling. Wenn Reisen in Endemiegebiete nicht aufschiebbar sind und die Exposition hoch ist, ist Impfung der Mutter trotz Stillens vertretbar; ansonsten sollte sie vermieden werden [4, 5].

Konkrete Empfehlungen in der Praxis

  • Influenza (Grippe): Saisonale Impfung bei stillenden Müttern wird empfohlen; Schutz der Mutter reduziert sekundär das Infektionsrisiko des Säuglings [1, 2].
  • Pertussis (Keuchhusten) bzw. Tdap (Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten)): Auffrischung gemäß STIKO zur „Kokon-Strategie“ (Impfkonzept zum Schutz von Neugeborenen und jungen Säuglingen); Stillzeit ist unproblematisch [2].
  • COVID-19: Aktuelle Impfempfehlungen gelten auch in der Stillzeit; in Studien wurden in der Muttermilch impfinduzierte Antikörper nachgewiesen [1].
  • Standardimpfungen (Tetanus/Diphtherie/Polio, Hepatitis B, ggf. HPV im empfohlenen Alter) können nach STIKO auch in der Stillzeit nachgeholt bzw. aufgefrischt werden [2].
  • Reiseimpfungen:
    • Gelbfieber: siehe Sonderfall oben [4, 5]. Bei unvermeidbarer Exposition Impfung der Mutter, zusätzlich strikte Expositionsprophylaxe.
    • Hepatitis A, Typhus (inaktiviert), Meningokokken, Japanische Enzephalitis (i. d. R. inaktiviert): nach Indikation möglich; Stillzeit stellt keine Kontraindikation dar [2].

Praktische Tipps für den Alltag

  • Impfstatus prüfen (Impfausweis): Termin für die Zeit nach der Geburt nutzen, um versäumte Standardimpfungen sicher nachzuholen [2].
  • Timing: Es ist keine Stillpause nach Totimpfstoffen erforderlich. Nach Gelbfieber-Impfung bei unvermeidbarer Indikation sollte – je nach Risikoabschätzung – eine vorübergehende Stillunterbrechung erwogen und diskutiert werden [4, 5].
  • Kokon-Strategie (Impfkonzept zum Schutz von Neugeborenen und jungen Säuglingen): Enge Kontaktpersonen (Partner, Großeltern, Betreuungspersonen) sollten impfpräventable Erreger ebenfalls abgedeckt haben, um das Neugeborene zu schützen [2].
  • Dokumentation & Aufklärung: Nebenwirkungen, Expositionsrisiko (Reise), Nutzen der Impfung in der Stillzeit und Alternativen (Reiseverschiebung) strukturiert dokumentieren.
  • Orthopocken (Mpox/Variola): Für beruflich exponierte Personen ist der nichtreplizierende Impfstoff (JYNNEOS/MVA-BN) zu bevorzugen; ACAM2000 (replizierender Vacciniastamm) ist in der Stillzeit ungünstig – wählen Sie nach Möglichkeit MVA-BN [6].

Fazit

Die überwiegende Mehrheit der Impfungen ist in der Stillzeit sicher und medizinisch sinnvoll. Totimpfstoffe sind unproblematisch; bei Gelbfieber besteht wegen dokumentierter Übertragungen ein Sonderfall mit strenger Indikationsstellung. Ein vollständiger mütterlicher Impfschutz und die Kokon-Strategie sind zentrale Pfeiler des indirekten Säuglingsschutzes [1, 2, 4, 5].

Literatur

  1. Mulleners SJ, Greenwald JH, Schwarz M et al.: Safety and Efficacy of Vaccination During Lactation: A Comprehensive Review. Vaccines (Basel). 2025;13(4):350. doi: 10.3390/vaccines13040350.
  2. Ständige Impfkommission (STIKO): Empfehlungen der STIKO beim Robert Koch-Institut 2024. Epidemiologisches Bulletin 4/2024:1-72. doi: 10.25646/11892.
  3. Bohlke K, Galil K, Jackson LA et al.: Postpartum varicella vaccination: Is the vaccine virus excreted in breast milk? Obstet Gynecol. 2003;102(5 Pt 1):970-977. doi: 10.1016/S0029-7844(03)00860-3.
  4. Kuhn S, Twele-Montecinos L, MacDonald J et al.: Probable transmission of vaccine strain yellow fever virus to an infant via breast milk. CMAJ. 2011;183(4):E243-E245. doi: 10.1503/cmaj.100619.
  5. Hassan T, Bashir RA, Abdelrahman DN et al.: Transmission of yellow fever vaccine virus from breastfeeding mothers to their infants: reporting of YFV RNA in milk specimens. F1000Research. 2024;11:76 (Version 4). doi: 10.12688/f1000research.74576.4.
  6. Rao AK, Petersen BW, Whitehill F et al.: Use of JYNNEOS (Smallpox and Monkeypox Vaccine, Live, Nonreplicating) for Preexposure Vaccination. MMWR. 2022;71(22):734-742. doi: 10.15585/mmwr.mm7122e1.