Antikörper in der Muttermilch – wie die Mutter das Baby schützt

Muttermilch ist mehr als eine reine Nahrungsquelle – sie stellt das zentrale immunologische Bindeglied zwischen Mutter und Kind dar. Über spezifische und unspezifische Faktoren trägt sie wesentlich zum Schutz des Neugeborenen vor Infektionen bei, insbesondere in den ersten Lebensmonaten, wenn das kindliche Immunsystem noch unreif ist.

Immunologische Schutzfunktion

Muttermilch enthält ein breites Spektrum an Abwehrstoffen:

  • Immunglobuline (Antikörper): Vor allem sekretorisches IgA (sIgA), daneben IgG und IgM. sIgA haftet an Schleimhäuten, verhindert das Anhaften von Pathogenen (Krankheitserregern) und wirkt neutralisierend.
  • Nicht-antikörperbasierte Faktoren: Dazu gehören Lactoferrin (bindet Eisen und hemmt das Bakterienwachstum), Lysozym (antibakterielles Enzym), Oligosaccharide (wirken als „Köder“ für Pathogene) sowie lebende Immunzellen (Makrophagen/Fresszellen, Lymphozyten).
  • Zytokine und Wachstumsfaktoren: Diese regulieren die Immunantwort und fördern die Reifung des kindlichen Immunsystems.

Besonders hoch ist die Konzentration von Antikörpern im Kolostrum (Vormilch), der ersten Milch nach der Geburt.

Schutzwirkung im Alltag

  • Mukosaler Schutz (Schleimhautschutz): sIgA wird nicht vom Magen zerstört und erreicht unversehrt den Darm, wo es pathogene (krankmachende) Bakterien und Viren neutralisiert. So wird die Anheftung von Erregern an die Darmschleimhaut verhindert.
  • Infektionsprophylaxe: Studien zeigen ein signifikant reduziertes Risiko für Durchfallerkrankungen, Atemwegsinfekte und Otitis media (Mittelohrentzündung) bei gestillten Kindern [1].
  • Immunologisches Gedächtnis der Mutter: Die Antikörper spiegeln den bisherigen Infektions- und Impfstatus der Mutter wider. Dadurch wird das Kind gegen viele Keime geschützt, die in seiner unmittelbaren Umgebung zirkulieren.
  • Dynamische Anpassung: Die Zusammensetzung der Muttermilch kann sich bei Infektionen der Mutter oder des Kindes verändern – es werden vermehrt spezifische Antikörper gebildet [2].

Klinische Relevanz

  • Stillförderung: Eltern sollten auf den einzigartigen Immunschutz durch Muttermilch hingewiesen werden. Dies kann die Motivation zum Stillen steigern, insbesondere in vulnerablen Phasen wie Frühgeburt oder nach Kaiserschnitt.
  • Prävention von Allergien und Autoimmunität: Langzeitbeobachtungen deuten auf eine protektive Wirkung des Stillens hinsichtlich atopischer Erkrankungen (Allergien, die meist mit einer erblichen Veranlagung zusammenhängen, z. B. Heuschnupfen, Asthma bronchiale oder Neurodermitis) und entzündlicher Darmerkrankungen hin, auch wenn die Daten heterogen sind [3].
  • Public-Health-Aspekt: Stillförderung reduziert nicht nur kindliche Morbidität (Krankheitshäufigkeit), sondern auch die Belastung des Gesundheitssystems durch Infektionskrankheiten im Säuglingsalter.

Praktische Tipps

  • Exklusive Stilldauer: Empfohlen sind mindestens 4-6 Monate ausschließliches Stillen, um den maximalen Schutz durch Antikörper zu gewährleisten.
  • Impfungen in der Stillzeit: Impfungen der Mutter (z. B. Influenza (Grippe), Pertussis (Keuchhusten)) führen zu Antikörpern, die auch über die Muttermilch übertragen werden können.
  • Aufklärung: Eltern sollten wissen, dass auch partielles Stillen noch immunologische Vorteile bietet.

Literatur

  1. Victora CG, Bahl R, Barros AJD et al.: Breastfeeding in the 21st century: epidemiology, mechanisms, and lifelong effect. Lancet. 2016;387(10017):475-490. doi: 10.1016/S0140-6736(15)01024-7.
  2. Laouar A: Maternal Leukocytes and Infant Immune Programming during Breastfeeding. Trends Immunol. 2020;41(3):225-239. doi: 10.1016/j.it.2020.01.005.
  3. Lodge CJ, Tan DJ, Lau MXZ et al.: Breastfeeding and asthma and allergies: a systematic review and meta‐analysis. Acta Paediatr. 2015;104(467):38-53. doi: 10.1111/apa.13132.