Stillen und Partnerschaft – Herausforderungen und Chancen für die Beziehung

Das Stillen ist nicht nur eine physiologische Aufgabe der Mutter, sondern auch ein psychosozialer Prozess, der die Partnerschaft und die Familiendynamik maßgeblich beeinflusst. Während das Bonding (enge emotionale Bindung) zwischen Mutter und Kind gestärkt wird, können sich in der Paarbeziehung sowohl Chancen für eine neue Intimität als auch Herausforderungen ergeben, die die Stabilität der Beziehung auf die Probe stellen.

Veränderungen in der Partnerschaft durch das Stillen

Stillen bedeutet für die Mutter eine erhebliche körperliche und emotionale Beanspruchung. Müdigkeit, hormonelle Veränderungen und die permanente Verfügbarkeit für das Kind wirken sich häufig auf die Paarbeziehung aus. Studien zeigen, dass die sexuelle Aktivität in den ersten sechs Monaten nach der Geburt häufig eingeschränkt ist und nicht selten zu Spannungen führt [1]. Gleichzeitig erleben viele Paare eine vertiefte emotionale Nähe durch die gemeinsam getragene Verantwortung.

Herausforderungen für die Beziehung

  • Veränderte Rollenbilder
    Die Mutter ist stark auf das Kind fokussiert, während der Partner sich teilweise zurückgesetzt fühlt. Dies kann Gefühle von Ausgeschlossenheit oder Eifersucht hervorrufen.
  • Intimität und Sexualität
    Durch hormonelle Faktoren wie erhöhte Prolaktinspiegel und niedrigere Östrogenspiegel können Libido und Schleimhautverhältnisse in der Scheide beeinträchtigt sein, was häufig zu Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr) führt [2].
  • Kommunikation und Alltagsorganisation
    Die unterschiedlichen Bedürfnisse von Mutter, Kind und Partner erfordern neue Formen der Kommunikation und Kooperation. Fehlen klare Absprachen, steigt das Risiko für Konflikte.

Chancen für die Partnerschaft

  • Gestärktes Wir-Gefühl
    Paare berichten häufig von einem vertieften Gemeinschaftsgefühl, wenn beide Partner aktiv in die Versorgung und Betreuung eingebunden sind.
  • Neue Formen der Nähe
    Körperliche Intimität muss nicht ausschließlich sexuell sein. Auch Rituale wie gemeinsames Kuscheln mit dem Kind oder geteilte Nachtwachen stärken die Bindung.
  • Rollenflexibilität
    Wenn Partner früh Aufgaben wie Wickeln, Tragen oder die Organisation des Haushalts übernehmen, fördert dies ein Gleichgewicht in der Beziehung und entlastet die Mutter.

Praktische Tipps für die ärztliche Beratung

  1. Aufklärung über physiologische Veränderungen
    Informationen zu hormonellen Einflüssen auf Libido und Sexualität helfen, Missverständnisse zwischen den Partnern zu vermeiden.
  2. Kommunikationsförderung
    Paaren sollte vermittelt werden, wie wichtig es ist, über Bedürfnisse, Sorgen und Wünsche offen zu sprechen.
  3. Einbindung des Partners
    Der Partner sollte aktiv in die Still- und Betreuungssituation integriert werden, etwa durch Haut-zu-Haut-Kontakt, Tragen des Babys oder Beteiligung an der Organisation des Alltags.
  4. Frühe Intervention bei Problemen
    Treten anhaltende Belastungen oder Konflikte auf, ist eine frühzeitige Weitervermittlung an Paartherapeuten oder Still- und Familienberater sinnvoll.

Prävention von partnerschaftlichen Belastungen

Präventiv ist es sinnvoll, Paare bereits in der Schwangerschaft über die möglichen Auswirkungen des Stillens auf die Beziehung zu informieren. Ein realistisches Erwartungsmanagement, verbunden mit dem Bewusstsein, dass Phasen der Distanz normal sind und überwunden werden können, reduziert das Risiko für Konflikte und langfristige partnerschaftliche Probleme.

Literatur

  1. Hipp LE, Kane Low L, van Anders SM: Exploring women’s postpartum sexuality: social, psychological, relational, and birth-related contextual factors. J Sex Med. 2012;9(9):2330-2341. doi: 10.1111/j.1743-6109.2012.02804.x.
  2. McBride HL, Kwee JL: Sex After Baby: Women’s Sexual Function in the Postpartum Period. Curr Sex Health Rep. 2017;9:142-149. doi: 10.1007/s11930-017-0116-3.
  3. Erlandsson K, Dsilna A, Fagerberg I, Christensson K: Skin-to-skin care with the father after cesarean birth and its effect on newborn crying and prefeeding behavior. Birth. 2007;34(2):105-114. doi: 10.1111/j.1523-536X.2007.00162.x.