Der G-Punkt
Der G-Punkt – ein Fantasiegebilde oder Realität?
Gibt es die Möglichkeit, bei spezieller sexueller Stimulation einen besonders intensiven Orgasmus erleben zu können? Schon seit vielen Jahren wird eine Unterspritzung in die vordere Vaginalwand, als G-Shot bezeichnet, propagiert, um die Orgasmusfähigkeit zu erhöhen. In jüngerer Zeit werden sogar chirurgische Eingriffe diskutiert [1].
Ist das ein Geschäft mit der Sexualität und den Bedürfnissen der Frau oder basiert das Ganze Gehabe um den G-Punkt, dem geheimen Lustzentrum der Frau, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen? Ist vielleicht der klitorourogenitale Komplex (CUV; clitourethrovaginal complex) eine anatomisch-physiologische Lösung [2]?
Der G-Punkt existiert nicht, die G-Zone wird kontrovers diskutiert
Geklärt ist wohl, dass der G-Punkt, als lokalisierte, punktuelle Form einer Möglichkeit der sexuellen Stimulation der vorderen Vaginalwand, nicht existiert, weil die 1950 erschienene Veröffentlichung von Gräfenberg, der ein deutscher Gynäkologe war, letztlich missinterpretiert wurde [3]. Gräfenberg berichtete damals über eine erogene Zone in der vorderen Vaginalwand entlang der Harnröhre, die bei sexueller Stimulation anschwillt und sich bei Stimulation mit dem Finger beim Orgasmus wie eine kleine Zystozele in die Vagina hineinwölbt. In dem Artikel beschreibt Gräfenberg auch, dass beim Masturbieren durch Einführen von Haarnadeln in die Urethra zwei Mädchen die Kontrolle während des Orgasmus verloren, sodass die Haarnadeln in der Blase verschwanden und später wegen Bildung eines Blasensteins operativ entfernt werden mussten. Die weibliche Harnröhre ist, wie die des Mannes, von erektilem Gewebe umgeben, die bei sexueller Erregung anschwillt und beim Orgasmus gut zu spüren ist. Der erregbarste Teil der Urethra befindet sich in der Nähe des Blasenhalses. Seinen Beobachtungen nach war bei Frauen, die zur Kontrazeption ein Diaphragma* benutzten, die Orgasmusfähigkeit eingeschränkt. Sie ließ sich nach Umsteigen auf eine Portiokappe** wiederherstellen [4].
Obwohl schon seit dem Altertum bekannt [5] und vom niederländischen Anatomen de Graaf 1672 beschrieben [1, 5], war offensichtlich erst in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts die Zeit reif für eine besondere Beachtung. Deshalb wurde diese erogene Zone Anfang 1981 von Addiego et al. als Gräfenbergzone, von Perry und Whipple als Gräfenberg-spot (1981) und von Ladas als G-Punkt bezeichnet (1982) [1].
*Ein Diaphragma ist ein mechanisches Mittel zu Empfängnisverhütung. Es wird wie ein Tampon in die Scheide eingeführt und liegt dabei zwischen dem hinteren Scheidengewölbe und der Nische am Schambein. Es bedeckt die Cervix (Gebärmutterhals) vollständig, sodass das Eindringen von Spermien in den Muttermund verhindert wird.
**Eine Portiokappe ist ebenfalls ein mechanisches Mittel zu Empfängnisverhütung. Diese wird wie eine Kappe bzw. ein Verschluss über den Muttermund (Portio) gestülpt und saugt sich so fest.
Beide genannten Verfahren zählen zu den sogenannten Barriereverhütungsmethoden für Frauen.
Existiert der G-Punkt doch, allerdings als eine besonders erogene Zone in der vorderen Vaginalwand?
Diese Frage wird nach wie vor auch in der jüngeren Literatur kontrovers diskutiert [1, 6, 7, 8]. Die Harnröhre ist, wie beim Mann, umgeben von einem Schwellkörpersystem, das bei sexueller Erregung anschwillt, die Harnröhre verschließt und bei Stimulation die Orgasmusfähigkeit mit unterstützt [6]. Diskutiert wird auch, ob embryonale Restzustände bei der Differenzierung zwischen Mann und Frau in einer Zwischenschicht zwischen Harnröhre und der vorderen Vaginalwand (Ligamentum uretrovaginale, als Teil der Halban-Faszie) als stark ausgeprägte Teile des Harnröhrenschwellkörpers mit besonderen muskulären, venösen und nervalen Strukturen Bereiche sein könnten, die besonders erogen sind [9]. Auch wurde anhand von anatomischen und histologischen (feingeweblichen) Untersuchungen der vorderen Vaginalwand versucht, eine Klärung zu finden [10]. Der G-Punkt wird dort als eine umschriebene Strukturveränderung in der distalen (hinteren) vorderen Vaginalwand in Verbindung mit neurovaskulären Besonderheiten, die eingebettet sind in ein fibroadipöses Gewebebett, beschrieben. Bei sexueller Erregung schwillt dieser Bereich ballonartig durch eine vermehrte Blutfülle an, wobei dieser Bezirk keine erektilen Gewebekomponenten beinhaltet [10]. Untersuchungen mittels Magnetresonanztomographie (MRT) scheinen einen G-Spot-Komplex zu bestätigen [11].
Nach all den bisher vorliegenden Untersuchungen kommt man zu dem Schluss, dass es den G-Punkt nicht gibt, weil dies letztlich eine Fehlinterpretation der von Gräfenberg 1950 veröffentlichten Studie über die Orgasmusfähigkeit bei Stimulation der Urethra mittels einer Haarnadel war.
Uneinigkeit besteht allerdings darüber, ob es einen physiologischen anatomischen Bereich in der Scheide gibt, der die Orgasmusfähigkeit erhöht, der sogenannte G-Spot-Komplex bzw. die Gräfenbergzone. Die Frage der Lokalisation ist ungeklärt. Wenn sie überhaupt bestehen sollte, gehört sie:
- zum urethralen ("zur Harnröhre gehörend") Schwellkörper?
- zum Ligamentum uretrovaginale, als distaler Teil der Halban-Faszie?
- zur distalen vorderen Vaginalwand in Form einer umschriebenen besonderen anatomischen und funktionellen Gewebestruktur?
Oder dient die vordere Vaginalwand der Übertragung von sexueller Stimulation auf die Harnröhre und die Klitoris im Rahmen der Entstehung des Orgasmus?
Damit verbunden ist eine weitere kontroverse Diskussion, die gelegentlich fast weltanschaulich geführt wird: Gibt es einen separierten vaginalen Orgasmus oder gehört die Vagina (Scheide) über das Schwellkörpersystem der Urethra (Harnröhre) zum klitoralen Orgasmussystem [1, 7, 12]? Denn alle Schwellkörpersysteme des Genitales stehen miteinander in Verbindung und reagieren bei sexueller Aktivierung gemeinsam. Die lokalen Auslöser des Orgasmus sind die unwillkürlichen Kontraktionen des Musculus ischiocavernosus (Skelettmuskel, der zur Beckenbodenmuskulatur gehört) und der perinealen Muskulatur [7] und nicht die Vagina, denn auch Frauen mit einer fehlenden Vagina haben einen Orgasmus [7].
In jüngerer Zeit hat die Veränderung des G-Punktes im Sinne einer Verstärkung, Vergrößerung durch kosmetische Verfahren (G-Spot) oder mittels einer speziell dafür entwickelten operativen Methode in der Intimchirurgie zu einem Millionengeschäft geführt. Ursprung der Operation ist der amerikanische plastische gynäkologische Chirurg Adam Ostrzenski, der anhand anatomischer Studien den G-Punkt in den vergangenen 10 Jahren entdeckt oder neu entdeckt haben will [1] und 2018 erste operative Studienergebnisse veröffentlicht hat [13]. Auch die Unterspritzung mit Hyaluronsäure oder körpereigenem Fettgewebe dient der G-Spot Amplifikation ("Vermehrung") und wird seit vielen Jahren propagiert [14]. Obwohl im Internet viele Angebote zur Amplifikation zu finden sind, gibt es bisher keine validen Untersuchungen zur Wirksamkeit [15].
Ist CUV, der klitorourogenitale Komplex, eine Lösung?
CUV bezieht sich auf die Funktion der sexuellen Erregung und des Orgasmusgeschehens, weg von den rein anatomischen Überlegungen. Grundlage ist der sog. Klitoriskomplex, der besagt, dass die Klitoris ein Schwellkörperorgan der Vulva (Gesamtheit der äußeren primären Geschlechtsorgane) ist, das aus verschiedenen Strukturen besteht und mit dem Schwellkörpersystem der Harnröhre anatomisch, nerval und vom Gefäßsystem her in Verbindung steht. Obwohl schon von Kobelt im frühen 19. Jahrhundert beschrieben [16], sind die Schwellkörpersysteme im Bereich des Genitales in den anatomischen Darstellungen erst in jüngerer Zeit in den Vordergrund gerückt und korrekt dargestellt [17, 18, 19].
Unabhängig von der zentralen Steuerung des Orgasmusgeschehens wird eine komplexe dynamische Wechselwirkung zwischen den genitalen Strukturen (Vulva, insbesondere Klitoris, Vagina, Harnröhre) während der sexuellen Stimulation (Selbststimulation oder Koitus/Geschlechtsverkehr) diskutiert, die je nach Stimulation und anatomischen und physiologischen Unterschieden, die von Frau zu Frau sehr ausgeprägt sein können, zur sexuellen Befriedigung bzw. zum Orgasmus führen können [2].
Der Nachweis der funktionellen Einheit und der dynamischen Wechselwirkungen zwischen Klitoris, Harnröhre und der Vagina ist durch MRT- und Ultraschall-Untersuchungen während des Geschlechtsverkehrs möglich geworden [2]. Die vaginale Stimulation durch den Penis führt einerseits zur Übertragung von Druckveränderungen auf den CUV-Komplex, dopplersonographisch messbar durch Zunahme der Durchblutung der vaginalen Schwellkörpersysteme, andererseits entstehen elektrische Signale, die Kontraktionen der glatten Muskulatur der Vagina während des Koitus erzeugen.
Durch diese Untersuchungen ließe sich auch klären, dass es zwei unterschiedliche Orgasmen gibt, wenn nur gezielt die Klitoris oder die Vagina stimuliert werden. Der rein klitorale Orgasmus wird beschrieben als scharf, platzend, kurzlebig, oberflächlich und lokalisiert auf den Schambereich. Der vaginale Orgasmus als diffus, auf den ganzen Körper ausstrahlend, befriedigender und länger anhaltend [2].
Zusammenfassung
Die Diskussion um die Existenz des G-Punktes ist bisher nicht beendet und wird die Wissenschaft weiterhin beschäftigen. Die in den vergangenen Jahren durchgeführten histologischen und anatomischen Untersuchungen sind letztlich nicht beweisend und zumindest zu wenig fundiert bzw. reproduzierbar. Dennoch scheint die chirurgische G-Punkt Augmentation (Vergrößerung) und die Unterspritzung ein lukrativer Markt zu sein. Im Internet findet man reihenweise Hinweise, wie man durch sensitive Reizung der mittleren vorderen Vaginalwand mittels des Fingers besonders intensive Orgasmen auslösen kann (inkl. YouTube-Videos).
Demgegenüber steht ein funktionelles Konzept. Dem sogenannten CUV-Komplex liegt bei sexueller Erregung und Stimulation je nach Art eine komplexe dynamische Wechselwirkung aller bei der Erregung beteiligten Faktoren zugrunde. Sie sind auch abhängig von den von Frau zu Frau sehr unterschiedlichen anatomischen und stimulierenden Gegebenheiten.
Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring
Literatur
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