Koitus reservatus und Tantrischer Sex – kontrollierte Sexualpraktiken
Sexualpraktiken, bei denen der Samenerguss kontrolliert oder bewusst hinausgezögert wird, haben sowohl historische als auch aktuelle Bedeutung. Zwei zentrale Formen sind der Koitus reservatus, bei dem der Samenerguss vermieden wird, und der tantrische Sex, der auf spirituellen Traditionen basiert und die Lenkung sexueller Energie betont. Beide Konzepte sind seit Jahrhunderten bekannt, wurden in unterschiedlichen kulturellen und religiösen Kontexten praktiziert und werden heute auch in der Sexualtherapie sowie in partnerschaftlichen Zusammenhängen diskutiert. Medizinisch stehen vor allem Fragen nach der Zuverlässigkeit, gesundheitlichen Risiken und psychosozialen Bedeutung im Vordergrund.
Koitus reservatus
Definition und geschichtlicher Hintergrund
Der Begriff „Koitus reservatus“ bezeichnet den Geschlechtsverkehr, bei dem der Mann den Samenerguss bewusst zurückhält. Historisch findet sich die Praxis in asketischen Strömungen verschiedener Kulturen, u. a. im Christentum, aber auch in östlichen Traditionen. Ziel war häufig die Vermeidung von Empfängnis oder die spirituelle Sublimierung sexueller Energie.
Praktische Durchführung und Techniken
Beim Koitus reservatus kommt es zu einer vaginalen Penetration, jedoch ohne Ejakulation. Techniken sind z. B. kontrollierte Atmung, Muskelanspannung und Unterbrechung vor dem Orgasmus. In der modernen Sexualberatung wird die Praxis teilweise als Methode zur Ejakulationskontrolle oder zur Intensivierung der partnerschaftlichen Nähe thematisiert.
Risiken und gesundheitliche Aspekte
Medizinisch bestehen Unsicherheiten hinsichtlich langfristiger Effekte. Diskutiert werden:
- Prostatastauungen und Beschwerden durch wiederholtes Ausbleiben der Ejakulation.
- Psychische Belastungen, wenn die Praxis nicht freiwillig gewählt wird.
- Keine zuverlässige Verhütungsmethode, da präejakulatorische Flüssigkeit Spermien enthalten kann [4].
Tantrischer Sex
Ursprung und Bedeutung im Tantra
Tantrischer Sex entstammt spirituell-philosophischen Strömungen Indiens (Tantra) und versteht Sexualität als Form spiritueller Vereinigung. Dabei werden sexuelle Energie, Atemkontrolle und Achtsamkeit bewusst gelenkt.
Rolle des Koitus reservatus im Tantrismus
In vielen tantrischen Traditionen wird die Zurückhaltung oder bewusste Kontrolle der Ejakulation als Weg angesehen, sexuelle Energie in spirituelle Kraft zu transformieren. Der Fokus liegt auf der Verzögerung des Orgasmus oder auf multiplen, nicht-ejakulatorischen Orgasmen.
Tantra in westlichen Kulturen
Seit den 1970er Jahren wurde Tantra in westlichen Ländern populär, oft in Verbindung mit Sexualtherapie, Körperarbeit und Paarberatung. Dabei wird der spirituelle Anspruch häufig reduziert, während der Aspekt von Intimität, Körperwahrnehmung und Orgasmuskontrolle im Vordergrund steht.
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
- Gemeinsamkeiten: Beide Praktiken betonen die Kontrolle über die Ejakulation, die Verlängerung der sexuellen Begegnung und die Intensivierung der Partnerbindung.
- Unterschiede: Der Koitus reservatus entstand primär aus asketisch-religiösen Motiven, während tantrischer Sex Teil einer umfassenden spirituellen Praxis ist.
Medizinische Bewertung und Empfehlungen
Aus medizinischer Sicht gibt es keine Evidenz für gesundheitliche Vorteile des wiederholten Samenergussverzichts. Wohlbefinden und partnerschaftliche Kommunikation können profitieren, wenn beide Partner die Praxis als erfüllend empfinden. Kontraindikationen bestehen bei Beschwerden wie Prostatitis oder chronischen Beckenschmerzen. Wichtig bleibt die Aufklärung über fehlende kontrazeptive Sicherheit [1-3].
Literatur
- Shindel AW, Althof SE, Carrier S, Chou R, McMahon CG, Mulhall JP et al.: Disorders of Ejaculation: An AUA/SMSNA Guideline. J Urol. 2022;207(3):504-512. doi: 10.1097/JU.0000000000002392.
- Salonia A, Bettocchi C, Carvalho J, Corona G, Jones TH, Kadioğlu A et al.: European Association of Urology Guidelines on Sexual and Reproductive Health – 2021 Update: Male Sexual Dysfunction. Eur Urol. 2021;80(3):333-357. doi: 10.1016/j.eururo.2021.06.007.
- Mason MM, Schuppe K, Weber A, Gurayah A, Muthigi A, Ramasamy R. Ejaculation: the Process and Characteristics From Start to Finish. Curr Sex Health Rep. 2023;15(1):1-9. doi: 10.1007/s11930-022-00340-z.
- Patel J, Nelson AL, Nguyen BT. Low to non-existent sperm content of pre-ejaculate in perfect-use contraceptive withdrawal, a pilot study. Contraception. 2024;140:110555. doi: 10.1016/j.contraception.2024.110555.
Leitlinien
- Salonia A, Bettocchi C, Carvalho J, Corona G, Jones TH, Kadioğlu A et al.: European Association of Urology Guidelines on Sexual and Reproductive Health – 2021 Update: Male Sexual Dysfunction. Eur Urol. 2021;80(3):333-357. doi: 10.1016/j.eururo.2021.06.007.