Thiamin (Vitamin B1) in der Schwangerschaft: Wie viel brauchen Mutter und Kind?
Thiamin (Vitamin B1) ist ein wasserlösliches Vitamin des B-Komplexes, das eine zentrale Rolle im Energiestoffwechsel spielt. Es ist Cofaktor von Enzymen, die für die Kohlenhydratverwertung notwendig sind. Während der Schwangerschaft steigt der Bedarf, da sowohl die Mutter als auch das heranwachsende Kind eine erhöhte Energiezufuhr und damit auch mehr Thiamin benötigen [1, 2].
Zufuhrempfehlung und Versorgungssituation
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für Frauen ab 19 Jahren eine tägliche Zufuhr von 1,0 mg Thiamin. In der Schwangerschaft liegt der Bedarf bei 1,2 mg im 2. Trimester und 1,3 mg im 3. Trimester [3].
Laut der Nationalen Verzehrsstudie II erreichen 21 % der Männer und 32 % der Frauen die empfohlene tägliche Zufuhr nicht [4]. Bei den am schlechtesten versorgten Frauen beträgt das Defizit 0,4 mg Thiamin pro Tag, was 40 % unterhalb der empfohlenen Zufuhrmenge liegt. Da Schwangere einen Mehrbedarf von 0,2-0,3 mg haben, steigt der Fehlbetrag bei den am schlechtesten versorgten Schwangeren auf 0,6 bzw. 0,7 mg pro Tag.
Versorgungsstatus in Zahlen:
- DGE-Empfehlung: 1,0 mg/Tag für Frauen, 1,2 mg (2. Trimester), 1,3 mg (3. Trimester)
- 32 % der Frauen erreichen die Empfehlung nicht
- Fehlbetrag der am schlechtesten versorgten Frauen: 0,4 mg/Tag
- Fehlbetrag der am schlechtesten versorgten Schwangeren: 0,6 bzw. 0,7 mg/Tag
Die Top 10 Thiaminquellen für Schwangere
Um den täglichen Bedarf in der Schwangerschaft zu decken, empfiehlt sich der Verzehr thiaminreicher Lebensmittel. Die folgende Übersicht zeigt die 10 thiaminreichsten Lebensmittel (pro 100 g, gerundet). Die Werte können je nach Sorte, Herkunft und Verarbeitung variieren [5-7]:
- Sonnenblumenkerne: 1,9 mg
- Schweinefleisch (mager): 0,8-0,9 mg
- Erbsen (getrocknet): 0,8 mg
- Haferflocken: 0,5 mg
- Linsen (getrocknet): 0,5 mg
- Naturreis (Vollkorn): 0,4 mg
- Kartoffeln (gekocht): 0,1 mg
- Roggenvollkornbrot: 0,2–0,3 mg
- Bohnen (weiß, getrocknet): 0,5 mg
- Walnüsse: 0,4 mg
Besonders geeignet sind Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte, Nüsse und Samen, da sie sich leicht in den Alltag integrieren lassen – beispielsweise als Beilage, Snack oder Bestandteil von Hauptmahlzeiten. Schweinefleisch ist ebenfalls eine der besten Quellen, sollte in der Schwangerschaft jedoch stets gut durchgegart verzehrt werden, um Infektionsrisiken zu vermeiden.
Funktionen von Thiamin
Thiamin ist unentbehrlich für den Kohlenhydrat- und Energiestoffwechsel, da es als Cofaktor von Enzymen wie der Pyruvatdehydrogenase wirkt [8]. Ein Mangel kann zu Störungen der Nervenfunktion führen, da Nervenzellen besonders auf eine kontinuierliche Energiezufuhr angewiesen sind. In der Schwangerschaft könnte ein Defizit die fetale Entwicklung beeinträchtigen und bei der Mutter zu Erschöpfung, Muskelschwäche oder neurologischen Symptomen führen [1, 9]. Studien zeigen zudem, dass sich die Thiaminwerte im Verlauf der Schwangerschaft verringern und eine Unterversorgung nicht selten ist [2].
Fazit
Thiamin ist in der Schwangerschaft unverzichtbar, da es den erhöhten Energiebedarf von Mutter und Kind abdeckt und für eine normale Funktion von Nerven und Stoffwechsel sorgt. Obwohl der Bedarf nur leicht ansteigt, zeigt die Versorgungslage, dass ein erheblicher Anteil der Frauen bereits ohne Schwangerschaft unterversorgt ist.
Empfehlung zur Supplementation
- Schwangere haben je nach Trimester einen Mehrbedarf von 0,2-0,3 mg Thiamin pro Tag.
- Eine Supplementation kann bei nachgewiesenem Mangel oder unzureichender Zufuhr erwogen werden.
- Lebensmittel mit hohem Thiamingehalt (z. B. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Samen, Nüsse) sollten bevorzugt in die Ernährung integriert werden.
- Eine gezielte Supplementierung sollte ärztlich abgeklärt werden, insbesondere bei erhöhtem Risiko (z. B. einseitige Ernährung, Hyperemesis gravidarum).
Weitere Informationen zu Thiamin und dessen Funktionen erhalten Sie im DocMedicus Vitalstofflexikon.
Literatur
- Kareem O, Nisar S, Tanvir M, Muzaffer U, Bader GN. Thiamine deficiency in pregnancy and lactation: implications and present perspectives. Front Nutr. 2023 Apr 20;10:1080611. doi: 10.3389/fnut.2023.1080611
- Kareem O, Mufti S, Nisar S, Tanvir M, Muzaffer U, Ali N, Sheikh IA, Bader GN. Prevalence of Thiamine Deficiency in Pregnancy and its impact on fetal outcome in an area endemic for thiamine deficiency. PLoS Negl Trop Dis. 2023 May 30;17(5):e0011324. doi: 10.1371/journal.pntd.0011324
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Bonn: DGE; 2023.
- Max Rubner-Institut. Nationale Verzehrsstudie II, Ergebnisbericht Teil 2. Karlsruhe: MRI; 2008.
- Max Rubner-Institut. Bundeslebensmittelschlüssel (BLS), Version 3.02. Karlsruhe: MRI; 2021.
- U.S. Department of Agriculture, Agricultural Research Service. FoodData Central. Beltsville, MD: USDA; 2019.
- Souci SW, Fachmann W, Kraut H. Food Composition and Nutrition Tables. 9th rev ed. Stuttgart: Wiss. Verlagsges.; 2024.
- Lonsdale D. Thiamine and magnesium deficiencies: keys to disease. Med Hypotheses. 2015 Feb;84(2):129-34. doi: 10.1016/j.mehy.2014.12.004
- Whitfield KC, Bourassa MW, Adamolekun B, Bergeron G, Bettendorff L, Brown KH, Cox L, Fattal-Valevski A, Fischer PR, Frank EL, Hiffler L, Hlaing LM, Jefferds ME, Kapner H, Kounnavong S, Mousavi MPS, Roth DE, Tsaloglou MN, Wieringa F, Combs GF Jr. Thiamine deficiency disorders: diagnosis, prevalence, and a roadmap for global control programs. Ann N Y Acad Sci. 2018 Oct;1430(1):3-43. doi: 10.1111/nyas.13919