Folsäure in der Schwangerschaft: Wie viel brauchen Mutter und Kind?
Folsäure (Vitamin B9) ist ein wasserlösliches Vitamin, das für die DNA-Synthese, Zellteilung und den Homocystein-Stoffwechsel essenziell ist. Während der Schwangerschaft steigt der Bedarf erheblich, da die fetale Entwicklung, insbesondere die frühe Bildung des Neuralrohrs, eine erhöhte Verfügbarkeit erfordert [1].
Zufuhrempfehlung und Versorgungssituation
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine tägliche Zufuhr von 400 µg Folsäure für Frauen und 550 µg Folsäure für Schwangere [2]. Zahlreiche Untersuchungen zeigen jedoch, dass bereits junge Frauen im gebärfähigen Alter häufig unzureichend mit Folsäure versorgt sind [3]. Besonders problematisch ist, dass Folsäure zu den hitze- und wasserempfindlichsten Vitaminen gehört: Beim Kochen können über 90 % verloren gehen, und auch beim Waschen von Gemüse oder Salat werden große Mengen ausgewaschen [4].
Laut der Nationalen Verzehrsstudie II erreichen 80-91 % der Frauen in der Altersgruppe 19-80 Jahre die empfohlene Tageszufuhr nicht. Den am schlechtesten versorgten Frauen fehlen 277 µg Folsäure – ein Defizit von 69 % unterhalb der empfohlenen Menge. Schwangere haben zusätzlich einen täglichen Mehrbedarf von 200 µg Folsäure. Damit beträgt der Fehlbetrag der am schlechtesten versorgten Schwangeren 477 µg pro Tag [5].
Versorgungsstatus in Zahlen:
- DGE-Empfehlung: Frauen 400 µg/Tag, Schwangere 550 µg/Tag
- 80-91 % der Frauen erreichen die Empfehlung nicht
- Fehlbetrag bei den am schlechtesten versorgten Frauen: 277 µg
- Fehlbetrag bei den am schlechtesten versorgten Schwangeren: 477 µg
Da die ausreichende Zufuhr über die Ernährung in den meisten Fällen nicht erreicht wird, empfehlen Fachgesellschaften eine gezielte Supplementation: Von großer Bedeutung ist dabei der rechtzeitige Beginn, da sich das Neuralrohr bereits zwischen dem 15. und 28. Tag nach der Empfängnis schließt – oft bevor eine Schwangerschaft überhaupt bekannt ist. Frauen mit Kinderwunsch sollten daher spätestens vier Wochen vor Eintritt der Schwangerschaft mit der Einnahme von 400 µg synthetischer Folsäure pro Tag beginnen. Wird die Supplementation erst nach Eintritt der Schwangerschaft begonnen, ist eine höhere Dosierung von 800 µg pro Tag erforderlich, um eine ausreichende Blutkonzentration rechtzeitig zu erreichen [6].
Die Top 10 Folsäurequellen für Schwangere
Um den täglichen Bedarf in der Schwangerschaft zu decken, lohnt sich ein Blick auf besonders folatreiche Lebensmittel. Die folgende Übersicht zeigt die 10 Lebensmittel mit dem höchsten Folsäuregehalt (pro 100 g, gerundet). Die angegebenen Werte können je nach Sorte, Anbaugebiet und Verarbeitung leicht variieren [13-15]:
- Linsen (getrocknet): 480 µg
- Kichererbsen (getrocknet): 340 µg
- Schwarze Bohnen (getrocknet): 320 µg
- Weiße Bohnen (getrocknet): 260 µg
- Spinat (roh): 190 µg
- Rosenkohl (gegart): 180 µg
- Grünkohl (roh): 180 µg
- Brokkoli (gegart): 110 µg
- Spargel (gegart): 100 µg
- Kopfsalat: 75 µg
Hülsenfrüchte, grünes Blattgemüse und bestimmte Kohlgemüse gehören zu den besten Folsäurequellen und lassen sich vielseitig in den Speiseplan integrieren. Ob als Beilage, in Eintöpfen, Salaten oder Aufläufen – sie können wesentlich dazu beitragen, die in der Schwangerschaft besonders wichtige Folsäureversorgung sicherzustellen.
Funktionen von Folsäure in der Schwangerschaft
Folsäure ist essenziell für die DNA-Synthese und Zellteilung sowie für die Erythropoese (Bildung und Reifung roter Blutkörperchen (Erythrozyten) im Knochenmark) [7]. Während der Schwangerschaft ist eine ausreichende Versorgung entscheidend, um das Risiko schwerwiegender Fehlbildungen zu senken. Insbesondere Neuralrohrdefekte (z. B. Spina bifida, „offener Rücken“) treten gehäuft bei unzureichender Folsäureversorgung auf. Studien zeigen, dass eine Supplementation das Risiko für Neuralrohrdefekte um 60-75 % senken kann [8].
Weitere Folgen eines Mangels können Fehlgeburten, vorzeitige Plazentalösung, Schwangerschaftskomplikationen wie Gestosen (schwangerschaftsbedingte Erkrankungen, die durch Bluthochdruck und Eiweiß im Urin gekennzeichnet sind) sowie Wachstumsstörungen des Kindes sein [9]. Besonders gefährdet sind Frauen, die die Anti-Baby-Pille oder Antiepileptika (Arzneimittel zur Behandlung oder Verhinderung der Epilepsie) einnehmen (bis zu 40 % verminderte Folsäureaufnahme im Dünndarm), Frauen mit Reduktionsdiäten, sehr junge Frauen nach der Pubertät sowie Frauen mit Mehrlingsgeburten [10].
Auch Übergewicht gilt als Risikofaktor: Untersuchungen zeigen, dass das Risiko, ein Kind mit einem Neuralrohrdefekt zu bekommen, bei übergewichtigen Frauen (BMI ≥ 25) etwa doppelt so hoch, bei starkem Übergewicht (BMI ≥ 30) sogar bis zu dreifach erhöht ist [11, 12].
Fazit
Folsäure ist ein entscheidender Mikronährstoff in der Schwangerschaft. Trotz klarer Empfehlungen ist die Versorgungslage in Deutschland unzureichend, sodass die Mehrheit der Frauen – insbesondere Schwangere – die Zufuhrempfehlungen nicht erreicht. Eine gezielte Supplementation ist daher unerlässlich, um Fehlbildungen, Fehlgeburten und Entwicklungsstörungen zu vermeiden.
Weitere Informationen zu Folsäure und deren Funktionen erhalten Sie im DocMedicus Vitalstofflexikon.
Empfehlung zur Supplementation
Da sich das Neuralrohr bereits zwischen dem 15. und 28. Tag nach der Empfängnis schließt, sollte die Einnahme von Folsäure rechtzeitig vor einer Schwangerschaft beginnen.
- Frauen mit Kinderwunsch: 400 µg synthetische Folsäure pro Tag (spätestens 4 Wochen vor Eintritt der Schwangerschaft)
- Bei verspätetem Beginn (vor Eintreten der Schwangerschaft bzw. nach Beginn der Schwangerschaft): 800 µg pro Tag
Weitere Informationen zu Folsäure und deren Funktionen erhalten Sie im DocMedicus Vitalstofflexikon.
Literatur
- Institute of Medicine. Dietary Reference Intakes for Thiamin, Riboflavin, Niacin, Vitamin B6, Folate, Vitamin B12, Pantothenic Acid, Biotin, and Choline. National Academies Press; 1998.
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Bonn; 2021.
- Fayet-Moore F, Petocz P, Samman S. Micronutrient status in female university students: iron, zinc, copper, selenium, vitamin B12 and folate. Nutrients. 2014 Nov 13;6(11):5103-16. doi: 10.3390/nu6115103
- Siatka T, Mát'uš M, Moravcová M, Harčárová P, Lomozová Z, Matoušová K, Suwanvecho C, Krčmová LK, Mladěnka P. Biological, dietetic and pharmacological properties of vitamin B9. NPJ Sci Food. 2025 Mar 13;9(1):30. doi: 10.1038/s41538-025-00396-w
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- Fekete K, Berti C, Trovato M, Lohner S, Dullemeijer C, Souverein OW, Cetin I, Decsi T. Effect of folate intake on health outcomes in pregnancy: a systematic review and meta-analysis on birth weight, placental weight and length of gestation. Nutr J. 2012 Sep 19;11:75. doi: 10.1186/1475-2891-11-75
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