Trainingstempo und „Time under Tension“: Wie das Bewegungstempo den Muskelaufbau beeinflusst
Das Bewegungstempo beim Krafttraining spielt eine entscheidende Rolle für Muskelaufbau, Kraftentwicklung und Trainingseffekt. Ob langsame oder schnelle Wiederholungen – das Tempo der Bewegung beeinflusst, wie stark die Muskeln beansprucht werden und wie lange sie unter Spannung stehen. Diese Spannung, auch „Time under Tension“ genannt, gilt als einer der Schlüsselfaktoren für Muskelwachstum.
Was bedeutet „Time under Tension“?
„Time under Tension“ beschreibt die Zeit, in der ein Muskel während einer Übung tatsächlich arbeitet, also Spannung hält. Je länger ein Muskel unter Spannung steht, desto stärker werden mechanische und metabolische Reize gesetzt – beide sind entscheidend für den Aufbau neuer Muskelmasse.
Beispiel: Bei einer Kniebeuge dauert eine Wiederholung etwa 3 Sekunden (2 Sekunden absenken, 1 Sekunde aufrichten). Macht man 10 Wiederholungen, beträgt die Time under Tension rund 30 Sekunden. Wird die Bewegung langsamer ausgeführt (z. B. 4 Sekunden absenken, 2 Sekunden aufrichten), verlängert sich die "Time under Tension" auf 60 Sekunden – die Muskulatur arbeitet also doppelt so lange.
Exzentrische, konzentrische und isometrische Phasen
Jede Bewegung im Krafttraining besteht aus drei Phasen:
- Exzentrische Phase: Der Muskel verlängert sich unter Spannung, etwa beim Absenken des Gewichts. Diese Phase ist besonders effektiv für Muskelaufbau, da sie die größten Mikroverletzungen in den Muskelfasern verursacht – ein wichtiger Reiz für Wachstum.
- Konzentrische Phase: Der Muskel verkürzt sich, z. B. beim Hochdrücken des Gewichts. Hier wird primär Kraft entwickelt.
- Isometrische Phase: Der Muskel hält die Spannung, ohne sich zu bewegen (z. B. Halten in der Mitte einer Kniebeuge). Diese Phase stärkt die intermuskuläre Koordination und fördert Stabilität.
Wie beeinflusst das Tempo den Muskelaufbau?
Langsames Training (z. B. 4–2–2 Tempo = 4 Sekunden exzentrisch, 2 Sekunden halten, 2 Sekunden konzentrisch) führt zu einer längeren Muskelspannung und fördert die metabolische Ermüdung – also den Aufbau von Stoffwechselprodukten wie Laktat (Milchsäure), die Wachstumsprozesse anregen [1].
Schnelles Training (z. B. 1–0–1 Tempo) aktiviert dagegen stärker die schnell kontrahierenden Muskelfasern (Typ II), die das größte Potential für Kraft und Volumen besitzen. Diese Kombination aus Geschwindigkeit und Spannung kann besonders effektiv sein, wenn sie gezielt variiert wird.
Das optimale Tempo für Muskelwachstum
Studien zeigen, dass eine mittlere Bewegungsgeschwindigkeit – etwa 2-4 Sekunden exzentrisch und 1-2 Sekunden konzentrisch – die besten Ergebnisse für Muskelwachstum liefert [2, 3]. Zu langsame Bewegungen können den Kraftzuwachs verringern, weil weniger Gewicht bewegt wird; zu schnelle Bewegungen reduzieren die Spannungsdauer und damit den Hypertrophiereiz.
Ein Trainingssatz sollte insgesamt 30-70 Sekunden "Time under Tension" umfassen – in diesem Bereich reagiert die Muskulatur optimal mit Wachstum [4].
Praktische Umsetzung
- Muskelaufbau: 30-70 Sekunden "Time under Tension" pro Satz (z. B. 8-12 Wiederholungen à 3-5 Sekunden).
- Maximalkraft: Kürzere TUT (10-30 Sekunden), dafür höhere Intensität (80-95 % des 1RM ("One Repetition Maximum“ – das Maximalgewicht, das man genau einmal korrekt bewältigen kann)).
- Kraftausdauer: Längere TUT (über 70 Sekunden), geringere Last (40-60 % des 1RM).
Tipp: Variiere das Tempo regelmäßig! Durch Wechsel von langsamen und schnellen Phasen werden unterschiedliche Muskelfasern aktiviert und die Anpassung maximiert.
Satellitenzellen – die Muskelstammzellen
Ein zentraler Mechanismus des Muskelwachstums ist die Aktivierung sogenannter Satellitenzellen. Diese ruhenden Vorläuferzellen liegen zwischen Muskelfaser und Basalmembran. Durch Trainingsreize – insbesondere exzentrische Belastung und mechanische Spannung – werden sie aktiviert, teilen sich und verschmelzen mit bestehenden Muskelfasern. Dadurch vergrößert sich der Zellkernpool und der Muskel kann mehr Proteine synthetisieren – die Basis für sichtbares Muskelwachstum [5].
Fazit
Das Bewegungstempo ist mehr als nur ein Trainingsdetail – es steuert entscheidend, wie stark und wie lange ein Muskel belastet wird. Wer beim Training auf eine kontrollierte Ausführung, ausreichende Spannung und gezielte Tempovariationen achtet, kann Muskelaufbau und Kraftentwicklung deutlich optimieren.
Eine Kombination aus langsamen exzentrischen Phasen, kontrollierten Bewegungen und zeitlich angepasster TUT bietet die besten Voraussetzungen für nachhaltige Fortschritte.
Literatur
- Burd NA, Andrews RJ, West DW et al.: Muscle time under tension during resistance exercise stimulates differential muscle protein sub-fractional synthetic responses in men. J Physiol. 2012;590(2):351-362. doi: 10.1113/jphysiol.2011.221200.
- Schoenfeld BJ, Ogborn D, Krieger JW: Effect of repetition duration during resistance training on muscle hypertrophy: A systematic review and meta-analysis. Sports Med. 2015;45(4):577-585. doi: 10.1007/s40279-015-0304-0.
- Tanimoto M, Ishii N: Effects of low-intensity resistance exercise with slow movement and tonic force generation on muscular function in young men. J Appl Physiol. 2006;100(4):1150-1157. doi: 10.1152/japplphysiol.00741.2005.
- Lopez P, Radaelli R, Taaffe DR et al.: Resistance Training Load Effects on Muscle Hypertrophy and Strength Gain: Systematic Review and Network Meta-analysis. Med Sci Sports Exerc. 2021;53(6):1206-1216. doi: 10.1249/MSS.0000000000002585.
- Bruusgaard JC, Johansen IB, Egner IM, Rana ZA, Gundersen K: Myonuclei acquired by overload exercise precede hypertrophy and are not lost on detraining. Proc Natl Acad Sci USA. 2010;107(34):15111-15116. doi: 10.1073/pnas.0913935107.