Exzentrisches Training: Warum die Bremsphase besonders effektiv für Kraft und Muskelaufbau ist
Exzentrisches Training bezeichnet die verlängernde Muskelarbeit, also die Phase, in der der Muskel unter Spannung nachgibt – etwa beim kontrollierten Absenken einer Hantel oder beim Herunterlassen aus dem Klimmzug. Diese sogenannte „Bremsphase“ ist ein zentraler Bestandteil des Krafttrainings und spielt eine entscheidende Rolle für Muskelaufbau, Kraftentwicklung und Verletzungsprophylaxe.
Was bedeutet exzentrische Muskelarbeit?
Ein Muskel kann auf drei Arten arbeiten:
- Konzentrisch: Der Muskel verkürzt sich (z. B. beim Hochdrücken der Hantel).
- Exzentrisch: Der Muskel verlängert sich unter Spannung (z. B. beim langsamen Absenken der Hantel).
- Isometrisch: Der Muskel hält eine Position ohne Längenänderung (z. B. statisches Halten).
Bei der exzentrischen Phase wirken hohe mechanische Kräfte auf die kontraktilen Elemente des Muskels (Aktin und Myosin), die aktiv gegen die äußere Last bremsen. Durch diese kontrollierte Dehnung entstehen mikroskopisch kleine Risse in den Muskelfasern – ein Reiz, der den Muskelzuwachs besonders stark stimuliert [1].
Warum exzentrisches Training so effektiv ist
Exzentrisches Training bietet mehrere physiologische Vorteile:
- Höhere mechanische Spannung: Muskeln können exzentrisch bis zu 30-40 % mehr Kraft entwickeln als konzentrisch. Dadurch entstehen stärkere Reize für das Muskelwachstum [2].
- Verbesserte Muskelfaserrekrutierung: Besonders Typ-II-Fasern (schnell kontrahierende Fasern) werden verstärkt aktiviert – entscheidend für Kraft- und Leistungssport.
- Verstärkter Stimulus für Satellitenzellen: Diese Muskelstammzellen unterstützen die Regeneration und das Wachstum neuer Muskelfasern [3].
- Erhöhte Kollagenbildung: Sehnen und Bindegewebe werden widerstandsfähiger – wichtig zur Verletzungsprävention.
- Höherer Energieumsatz: Exzentrische Arbeit stimuliert den Stoffwechsel nachhaltig und fördert die metabolische Effizienz.
Praktische Trainingsformen
Exzentrisches Training lässt sich auf verschiedene Weisen in den Trainingsplan integrieren:
- Langsame Negativphasen: Das Gewicht wird über 3-6 Sekunden kontrolliert abgesenkt.
- Überlastmethode: Mithilfe eines Partners wird das Gewicht in der konzentrischen Phase gehoben, während die exzentrische Phase allein ausgeführt wird.
- Temporäre Betonung: In klassischen Übungen wie Kniebeugen, Bankdrücken oder Klimmzügen kann die Abwärtsbewegung bewusst verlangsamt werden.
- Spezialgeräte oder isokinetische Systeme: Diese ermöglichen exakte Kontrolle über die exzentrische Belastung, z. B. in der Rehabilitation.
Wichtig: Exzentrisches Training erzeugt eine höhere muskuläre Beanspruchung und sollte daher mit ausreichender Regenerationszeit kombiniert werden (48-72 Stunden pro Muskelgruppe).
Verletzungsprophylaxe und Rehabilitation
Gezieltes exzentrisches Training stärkt nicht nur Muskeln, sondern auch Sehnen und Faszien. Studien zeigen positive Effekte bei Achillessehnenbeschwerden, Patellaspitzensyndrom und Rotatorenmanschettenverletzungen [4]. Durch die Anpassung des kollagenen Gewebes werden Zugfestigkeit und Belastbarkeit verbessert – ein wichtiger Schutzmechanismus gegen Überlastungsschäden.
Trainingspraxis: Tipps für Einsteiger und Fortgeschrittene
- Aufwärmen (5-10 min) ist Pflicht, um Sehnen und Muskeln vorzubereiten.
- Langsam steigern: mit 1-2 exzentrischen Einheiten pro Woche beginnen.
- Kombination mit klassischen Trainingsmethoden (konzentrisch + exzentrisch) ist ideal.
- Auf ausreichende Proteinzufuhr achten – etwa 1,6-2,0 g/kg Körpergewicht täglich [5].
- Mikronährstoffe wie Magnesium (Muskelentspannung) und Vitamin D (Muskel- und Knochengesundheit) unterstützen die Anpassungsprozesse.
Fazit
Exzentrisches Training ist eine der wirksamsten Methoden, um Kraft, Muskelmasse und Gewebefestigkeit gezielt zu verbessern. Durch die hohe mechanische Spannung in der Bremsphase werden sowohl Muskelfasern als auch unterstützende Strukturen optimal stimuliert. Richtig dosiert ist diese Trainingsform ein mächtiges Werkzeug – für Leistungssteigerung, Verletzungsvorbeugung und nachhaltige muskuläre Entwicklung.
Literatur
- Franchi MV, Reeves ND, Narici MV: Skeletal muscle remodeling in response to eccentric vs. concentric loading: morphological, molecular, and metabolic adaptations. Front Physiol. 2017;8:447. doi: 10.3389/fphys.2017.00447.
- Douglas J, Pearson S, Ross A, McGuigan M: Eccentric Exercise: Physiological Characteristics and Acute Responses. Sports Med. 2017;47(4):663-675. doi: 10.1007/s40279-016-0624-8.
- Cermak NM, Snijders T, McKay BR et al.: Eccentric exercise increases satellite cell content in type II muscle fibers. Med Sci Sports Exerc. 2013;45(2):230-237. doi: 10.1249/MSS.0b013e318272cf47.
- O’Neill S, Watson PJ, Barry S: Why are eccentric exercises effective for Achilles tendinopathy? Int J Sports Phys Ther. 2015;10(4):552-562. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4527202/
- Morton RW et al.: A systematic review, meta-analysis and meta-regression of the effect of protein supplementation on resistance training-induced gains in muscle mass and strength in healthy adults. Br J Sports Med. 2018;52(6):376-384. doi: 10.1136/bjsports-2017-097608.