Lost Penis Syndrom – Einleitung
Das Lost Penis Syndrom (LPS) beschreibt das subjektive Empfinden eines Verlustes somästhetischer Empfindungen (Tast- und Eigenwahrnehmung) des Penis während vaginaler Penetration. Es handelt sich um ein multifaktorielles Syndrom, das durch anatomische, funktionelle, psychologische, verhaltensbezogene oder iatrogene Ursachen (durch den Arzt) entstehen kann und zu sexuellen Funktionsstörungen bei beiden Partnern führt [1].
Definition der Erkrankung (Synonyme: Lost Penis Syndrome, LPS; ICD-10-GM: derzeit nicht klassifiziert)
Erstbeschreibung und Entstehung des Namens
Der Begriff „Lost Penis Syndrome“ tauchte zunächst in Internetforen und populären Online-Diskussionen auf, wo Betroffene ein subjektives „Verlorensein“ des Penis während des Geschlechtsverkehrs beschrieben. In der Fachliteratur fand der Begriff lange Zeit kaum Beachtung. Hartmut Porst führte das Konzept im Kontext der verzögerten Ejakulation ein; Debrovner (1989) verwendete die Bezeichnung im Rahmen plastisch-chirurgischer Diskussionen zur Therapie sexueller Funktionsstörungen {2]. Erst Colonnello et al. (2021) definierten das Syndrom systematisch und ordneten es sexualmedizinisch als neues klinisches Krankheitsbild ein [1].
Begriffsgeschichte und Trivialliteratur
In der Trivialliteratur und in Internetforen finden sich zahlreiche umgangssprachliche Umschreibungen für das Lost Penis Syndrom, die das subjektive Empfinden eines Verlustes der penilen Sensibilität oder der sexuellen Wahrnehmung bildhaft beschreiben. Typische Ausdrücke sind „lost penis“ („verlorener Penis“) und „lost penis syndrome“ („Syndrom des verlorenen Penis“) sowie drastische Formulierungen wie „dead dick“ („toter Penis“) oder „penis lost sensitivity“ („Penis hat seine Empfindung verloren“). Weitere beschreibende Varianten sind „my dick is totally dead … shrunk, lifeless“ („mein Penis ist völlig tot … geschrumpft, leblos“) und „penis feels disconnected“ („Penis fühlt sich abgetrennt an“). Auch die Formulierung „I can’t feel it inside her“ („Ich spüre ihn nicht, wenn ich in ihr bin“) taucht wiederholt auf. Im deutschsprachigen Raum finden sich Übersetzungen wie „der Penis fühlt sich wie im Niemandsland verloren an“ oder „verlorenes Penisgefühl“, die auf populärmedizinischen Webseiten und in Wikipedia verwendet werden. Gesundheitsforen beschreiben vergleichbare Empfindungen, etwa „loss of sensation in the head of the penis“ („Verlust der Empfindung an der Penisspitze“) oder „experience from someone who had dead dick syndrome“ („Erfahrung einer Person mit ‚toter-Penis-Syndrom‘“). Colonnello et al. betonen, dass der Begriff Lost Penis Syndrome ursprünglich aus der Umgangssprache stammt und erst in jüngerer Zeit eine wissenschaftliche Definition erfahren hat [1].
Wissenschaftliche Relevanz und Übergang
Die häufigen Forenbeschreibungen verdeutlichen das subjektive Erleben eines Sensibilitätsverlustes und zeigen eine nicht zu unterschätzende Verbreitung. Die Sexualmedizin ordnet dieses Phänomen heute klar definierten physiologischen, psychosexuellen und verhaltensbezogenen Mechanismen zu [1]. Damit wurde das Lost Penis Syndrom als klinisch relevantes multifaktorielles Krankheitsbild etabliert, das anatomische, funktionelle, psychologische und iatrogene Komponenten umfasst [1].
Epidemiologie
Systematische Prävalenzdaten liegen nicht vor. Nach Colonnello et al. tritt das Syndrom in sexualmedizinischen Sprechstunden relativ häufig auf, wird jedoch selten als eigenständige Diagnose kodiert. Aufgrund der Überschneidung mit verzögerter Ejakulation, Anorgasmie und erektiler Dysfunktion ist eine hohe Dunkelziffer anzunehmen [1].
Häufigkeitsgipfel
Das LPS betrifft überwiegend Männer mittleren bis höheren Alters. Altersbedingte neurovaskuläre Veränderungen, hormonelle Dysregulation (Andropause) sowie bindegewebige und muskuläre Veränderungen des weiblichen Beckenbodens (z. B. postpartal/nach der Geburt oder postmenopausal/nach der Menopause (Wechseljahre der Frau)) gelten als begünstigende Faktoren [1].
Geschlechterverhältnis
Obwohl der Begriff auf die männliche Wahrnehmung fokussiert, betrifft das LPS beide Partner. Frauen können durch vaginale Laxität, übermäßige Lubrikation oder Beckenbodenfunktionsstörungen wesentlich zur Symptomatik beitragen [1]. Ein verbreitetes Missverständnis ist die Annahme, das Syndrom trete nur bei Männern mit kleinem Penis auf. Die populäre Fragestellung „Lost Penis Syndrom – ist mein Penis zu klein?“ wird in Trivialquellen häufig aufgegriffen und reflektiert ein Fehlverständnis der Ätiologie (Ursachen) [9]. Während die Penisgröße in Einzelfällen eine Rolle spielen kann, sind Faktoren wie verminderte Erektion, Sensibilitätsstörungen oder unzureichende vaginale Lubrikation deutlich relevanter [1, 9]. In den meisten Fällen sind strukturelle oder funktionelle Veränderungen im weiblichen Beckenboden (Überdehnung, Bindegewebserschlaffung, Laxität (Gewebeschwäche) nach Geburten oder Menopause) die entscheidenden Ursachen [1, 5, 9].
Verlauf und Prognose
Der Verlauf des Lost Penis Syndroms ist variabel und abhängig von der zugrunde liegenden Ursache. Bleiben funktionelle oder bindegewebige Störungen unbehandelt, kann die Symptomatik persistieren oder rezidivieren. Therapieoptionen sind u. a. PDE-5-Hemmer, Testosteronsubstitution, Beckenbodenrehabilitation sowie vaginale Laser- oder Radiofrequenztherapie [1]. Bei gezielter Diagnostik und partnerorientierter Therapie ist die Prognose insgesamt günstig [1].
Empfohlene Sexstellungen beim Lost Penis Syndrom
In populärmedizinischen Ratgebern wird empfohlen, Sexstellungen zu wählen, die eine intensivere mechanische Stimulation und engere vaginale Passform ermöglichen. Besonders geeignet gelten Doggy Style, die Wippe, Criss Cross und der Schieber. Diese Positionen können die Tiefenwahrnehmung und den Reibungskontakt erhöhen und damit den subjektiven Empfindungsverlust kompensieren [8, 9].
Komorbiditäten
LPS tritt häufig gemeinsam auf mit:
- verzögerter Ejakulation (DE) und Anorgasmie (Unfähigkeit einen Orgasmus zu erleben)
- erektiler Dysfunktion (ED)/Erektionsstörungen
- psychosexuellen Belastungsstörungen (Angst- und Körperbildstörungen)
- Beckenboden- und Bindegewebsveränderungen der Partnerin (vaginale Laxität/Gewebeschwäche der Scheide, Descensus (Senkung), Pelvic Organ Prolaps) [1, 5, 9].
Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring
Literatur
- Colonnello E, Limoncin E, Ciocca G et al.: The Lost Penis Syndrome: A New Clinical Entity in Sexual Medicine. Sex Med Rev. 2021; 10(4): 1-17. doi:10.1016/j.sxmr.2021.08.001 [Wiss.- Lit.]
- Debrovner C.: Surgical treatment of sexual dysfunction – The lost penis syndrome. In: Plastic Surgery in the Sexually Handicapped. Berlin, Heidelberg: Springer; 1989. doi:10.1007/978-3-642-73565-3_10 [Wiss.-Lit.]
- Forum RebootNation: Flatline / Dead Penis after PMO? Juli 2017. Online verfügbar unter: https://forum.rebootnation.org/index.php?threads/13634/ [Triv.-Lit.]
- Forum NoFap: Lost all sensitivity in the penis, including the ability to orgasm. Mai 2019. Online verfügbar unter: https://forum.nofap.com/index.php?threads/lost-all-sensitivity-in-the-penis-including-the-ability-to-orgasm.232195/ [Triv.-Lit.]
- Wikipedia (de): Lost-Penis-Syndrom. Version 2024. Online verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Lost-Penis-Syndrom [Triv.-Lit.]
- Patient.info Community Forum: Loss of sensation in the head of the penis. 2020. Online verfügbar unter: https://community.patient.info [Triv.-Lit.]
- Reddit (r/NoFap): Experience from someone who had dead dick syndrome. 2021. Online verfügbar unter: https://www.reddit.com/r/NoFap [Triv.-Lit.]
- Cosmopolitan: Lost Penis Syndrom – das steckt dahinter und das kannst du tun. 2024. Online verfügbar unter: https://www.cosmopolitan.de/lost-penis-syndrom-lost-penis-das-kannst-du-tun-wenn-du-ihn-nicht-mehr-spuerst-82368.html [Triv.-Lit.]
- DAK-Gesundheit: Lost Penis Syndrom – ist mein Penis zu klein? Rubrik: Anatomie des Mannes. DAK-Gesundheit 2024. Online verfügbar unter: https://www.dak.de/dak/gesundheit/sexuelle-aufklaerung-mit-dem-doktorsex-team/anatomie-des-mannes/lost-penis-syndrom_59452#/ [Triv.-Lit.]