Lost Penis Syndrom – Anamnese
Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik (Erkennung und Beurteilung einer Krankheit) des Lost Penis Syndroms (subjektiver Verlust des Penisgefühls) dar. Dabei müssen sowohl männliche als auch weibliche Faktoren systematisch berücksichtigt werden.
Keimdrüsenunterfunktion
Familienanamnese
- Vorkommen von Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), kardiovaskulären Erkrankungen (Herz-Kreislauf-Erkrankungen), neurologischen Erkrankungen (Nervenerkrankungen, z. B. Neuropathien (Nervenschädigungen)).
- Endokrine Erkrankungen (Hormonstörungen) wie Hypogonadismus (Keimdrüsenunterfunktion) oder Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) in der Familie.
Sozialanamnese
- Berufliche Belastung und Exposition gegenüber toxischen Substanzen (giftigen Stoffen).
- Hinweise auf psychosoziale Belastungen (Stress, Partnerschaftsprobleme).
Sexualanamnese
- Erektionsqualität (Härtegrad der Erektion) und Fähigkeit, die Erektion während der Penetration (Einführung des Penis) zu halten.
- Wahrnehmung penile Sensibilität (Empfindungsfähigkeit des Penis) – Verminderung, Taubheitsgefühl.
- Orgasmusfähigkeit (Fähigkeit zum Orgasmus), Ejakulationsverzögerung oder -ausfall.
- Masturbationsmuster (individuelle Selbstbefriedigungsgewohnheiten, Pornografiekonsum).
- Medikamenteneinnahme (z. B. SSRI (Antidepressiva), Neuroleptika (Antipsychotika), Lokalanästhetika (örtliche Betäubungsmittel)).
Aktuelle Beschwerden/Systemanamnese
- Verlust von Reibungsempfinden bei vaginaler Penetration.
- Empfindung der „Leere“ oder des „Verlusts“ des Penisgefühls.
- Libidoverlust (vermindertes sexuelles Verlangen), verminderte sexuelle Befriedigung.
- Sekundäre Symptome – depressive Verstimmung, Angst, Dysmorphophobie (Körperbildstörung).
Eigenanamnese
- Vorerkrankungen: Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Rückenmarksverletzungen, endokrine Störungen (Hormonstörungen).
- Operationen im Becken-/Genitalbereich (z. B. Prostatektomie (operative Entfernung der Prostata)).
- Vorangegangene Strahlentherapie oder Chemotherapie.
Frauen
Familienanamnese
- Häufung von Bindegewebserkrankungen (z. B. Ehlers-Danlos-Syndrom (erblich bedingte Bindegewebsschwäche)).
- Genitale oder Beckenbodenpathologien (Erkrankungen der inneren Geschlechtsorgane oder der Beckenbodenmuskulatur) in der Familie.
Sozialanamnese
- Geburtsanamnese (Geburtsverlauf: Anzahl, Art und Komplikationen der Geburten).
- Psychosoziale Belastungen (Stressfaktoren), partnerschaftliche Konflikte.
Sexualanamnese
- Subjektives Empfinden vaginaler Weite oder Laxität (Nachgiebigkeit).
- Lubrikationsstatus (Befeuchtungszustand der Scheide) – Hyper- oder Hypolubrikation (zu starke oder zu geringe Befeuchtung), Einsatz von Gleitmitteln.
- Dyspareunie (Schmerzen beim Geschlechtsverkehr), Orgasmusstörungen, Koitalinkontinenz (unwillkürlicher Harnabgang während des Geschlechtsverkehrs).
- Beckenbodenkraft und Kontraktionsfähigkeit (Muskelanspannungsfähigkeit, z. B. nach Geburtstrauma (Geburtsverletzung)).
Aktuelle Beschwerden/Systemanamnese
- Harninkontinenz (unwillkürlicher Harnverlust; Belastungs-, Drang- oder Mischinkontinenz).
- Vaginale oder perineale Schmerzen (im Bereich der Scheide oder des Dammes), Druck- oder Fremdkörpergefühl.
- Verlust sexueller Lust, reduzierte Befriedigung.
Eigenanamnese
- Voroperationen am Beckenboden (z. B. Kolporrhaphie (Scheidenraffung), Hysterektomie (Gebärmutterentfernung)).
- Schwangerschaften, Geburtsverletzungen.
- Endokrine Störungen (Hormonstörungen, z. B. Menopause (Wechseljahre), Ovarialinsuffizienz (Eierstockschwäche)).
- Folgen von Radiatio (Bestrahlung) oder Chemotherapie.
Gemeinsame Aspekte bei beiden Partnern
- Veränderungen im Rahmen der „Couplepause“ (gemeinsame hormonelle Alterungsphase) – Andropause (Wechseljahre des Mannes), Menopause (Wechseljahre der Frau).
- Kommunikationsprobleme in der Partnerschaft über sexuelle Beschwerden.
- Psychosexuelle Belastungen (seelische Belastungen im Zusammenhang mit der Sexualität) mit gegenseitiger Verstärkung der Symptomatik (Beschwerdeausprägung).
Autoren: Prof. Dr. med. G. Grospietsch, Dr. med. W. G. Gehring
Literatur
- Colonnello E, Limoncin E, Ciocca G et al.: The Lost Penis Syndrome: A New Clinical Entity in Sexual Medicine. Sex Med Rev. 2021; 10(4): 1-17. doi:10.1016/j.sxmr.2021.08.001