Akutes Koronarsyndrom – Einleitung

Unter dem Begriff akutes Koronarsyndrom (AKS) (akuter Herznotfall) (engl. acute coronary syndrome, ACS) werden akute klinische Manifestationen einer Myokardischämie (Minderdurchblutung des Herzmuskels) infolge einer instabilen Koronarplaque (instabile Ablagerung in einem Herzkranzgefäß) mit oder ohne nachfolgende Myokardnekrose (Absterben von Herzmuskelgewebe) zusammengefasst [1].

Synonyme und ICD-10: Acute coronary syndrome (ACS); akute Koronarinsuffizienz; präinfarktöses Syndrom (veraltet); ICD-10-GM I20.0 Instabile Angina pectoris, I21.- Akuter Myokardinfarkt, I22.- Rezidivierender Myokardinfarkt, I24.- Sonstige akute ischämische Herzkrankheiten 

Pathophysiologisch liegt in der Regel eine Plaqueruptur oder -erosion (Einriss/Anschädigung einer Ablagerung) mit Thrombusbildung (Blutgerinnselbildung) und konsekutiver akuter Flusslimitierung (akute Durchflussbehinderung) in einer Koronararterie (Herzkranzarterie) zugrunde; seltener verursachen Koronarspasmus, spontane Koronardissektion oder eine myokardiale Sauerstoffangebots-/bedarfs-Dysbalance ein AKS [1]. Klinisch stehen plötzlich einsetzende oder progrediente retrosternale Beschwerden (oft mit vegetativer Symptomatik) im Vordergrund, die eine sofortige medizinische Abklärung erfordern.

Formen des akuten Koronarsyndroms

Das akute Koronarsyndrom lässt sich leitliniengerecht primär anhand des initialen EKG-Befundes (Herzstromkurve) (persistierende ST-Hebung vs. keine persistierende ST-Hebung) und sekundär anhand kardialer Biomarker (hochsensitives Troponin) (Herzmarker im Blut) differenzieren [1].

  • Instabile Angina pectoris (iAP; engl. unstable angina, UA) (instabile Brustenge) – akute oder progrediente ischämietypische Beschwerden ohne Troponinanstieg und ohne persistierende ST-Streckenhebung im EKG [1]
  • Akuter Myokardinfarkt (Herzinfarkt):
    • Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI; engl.: non ST-segment-elevation myocardial infarction; NSTE-ACS) (Herzinfarkt ohne ST-Hebung) – kein persistierender ST-Hebungsbefund, aber Troponinanstieg als Nekrosenachweis [1]
    • ST-Hebungsinfarkt (STEMI; engl.: ST-segment-elevation myocardial infarction) (Herzinfarkt mit ST-Hebung) – persistierende ST-Streckenhebung (oder STEMI-Äquivalent) mit myokardialer Nekrose und höchster Reperfusionsdringlichkeit (sofortige Wiedereröffnung des Gefäßes) [1]

Die diagnostische Einordnung erfolgt im klinischen Kontext unter Berücksichtigung von Symptomatik, seriellen EKGs, serieller Troponin-Dynamik und Risiko-Stratifizierung (z. B. GRACE-Score) (Risikopunktzahl) [1].

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer weisen im mittleren Lebensalter eine höhere AKS-Inzidenz auf; nach der Menopause steigt das Risiko bei Frauen an, im höheren Alter nähern sich die Raten an.

Häufigkeitsgipfel: Das AKS tritt vorwiegend im mittleren bis höheren Lebensalter auf; das Risiko steigt mit der kumulativen Atherosklerose-Last.

Die nachfolgend dargestellten orientierenden epidemiologischen Daten beziehen sich auf die koronare Herzkrankheit (KHK) (Erkrankung der Herzkranzgefäße) als häufigste zugrundeliegende Erkrankung: Die Lebenszeitprävalenz der chronischen KHK liegt in Deutschland bei 9,3 % (95 % KI 8,4-10,3 %) bei 40-79-Jährigen (n = 5 901) [2].

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Instabile Angina pectoris
    • Instabile Angina pectoris ist Ausdruck einer akuten Koronarinstabilität ohne nachweisbare Myokardnekrose, jedoch mit relevantem Risiko für die Progression zum Myokardinfarkt.
    • Troponin im Verlauf: Initial normales hochsensitives Troponin schließt eine Nekrose zu diesem Zeitpunkt nicht sicher aus; daher sind bei anhaltendem klinischem Verdacht serielle Messungen erforderlich. Eine neu auftretende Dynamik (Anstieg und/oder Abfall) reklassifiziert die Situation als Myokardinfarkt (typischerweise NSTEMI) [1].
  • NSTEMI
    • NSTEMI beruht auf myokardialer Nekrose bei meist inkompletter oder intermittierender Koronarokklusion; häufig bestehen komplexe Koronararterienläsionen und relevante Komorbiditäten.
    • Troponin im Verlauf: Kennzeichnend ist eine signifikante Troponin-Dynamik (Anstieg/Abfall) im seriellen Verlauf; die Beurteilung erfolgt in Kombination mit Klinik und EKG, da Troponinerhöhungen auch bei nicht-ischämischen Ursachen auftreten können (z. B. Tachyarrhythmie, Myokarditis, Sepsis, Niereninsuffizienz) [1].
    • Die Therapie richtet sich nach dem ischämischen Risiko und Blutungsrisiko mit früher invasiver Diagnostik/Revaskularisation bei Hochrisiko-Konstellationen [1].
  • STEMI
    • STEMI ist typischerweise Folge einer akuten, kompletten Koronarokklusion mit hoher Myokardgefährdung; die Prognose hängt entscheidend von der Zeit bis zur Reperfusion ab [1, 4].
    • Troponin im Verlauf: Troponin steigt im Verlauf regelhaft an, die Diagnose und Reperfusionsentscheidung ist jedoch EKG-geleitet; ein Abwarten auf Biomarker ist bei STEMI nicht leitliniengerecht [1, 4].
    • Reperfusionsstrategie: bevorzugt primäre perkutane koronare Intervention (PCI) (Herzkatheterbehandlung mit Stent) bei zeitgerechter Verfügbarkeit; alternativ Fibrinolyse (medikamentöse Gerinnselauflösung) bei nicht zeitgerecht erreichbarer PCI mit anschließender früher Koronarangiographie (Darstellung der Herzkranzgefäße) [1, 4].

Prognose

  • Allgemeine Prognose
    • Die Prognose des AKS wird wesentlich durch Infarktgröße, linksventrikuläre Funktion, Ausmaß der Koronarerkrankung, Komorbiditäten sowie die Zeit bis zur Reperfusion und konsequente Sekundärprävention bestimmt [1, 4].
    • Leitliniengerechte antithrombotische Therapie, Revaskularisation und strukturierte Nachsorge reduzieren Mortalität und Rezidivereignisse [1, 4].
  • Langzeitkomplikationen
    • Herzinsuffizienz (Herzschwäche), ventrikuläre Arrhythmien, mechanische Komplikationen, Rezidivinfarkt, ischämischer Schlaganfall sowie chronisches Koronarsyndrom können auftreten; das Risiko ist bei STEMI und bei eingeschränkter linksventrikulärer Funktion erhöht [1].

Komorbiditäten

Patienten mit koronarer Herzkrankheit weisen häufig relevante psychische Komorbiditäten auf; Depression (depressive Erkrankung) ist bei KHK-Patienten gehäuft beschrieben [3].

Beachte: Eine psychosoziale Risikokonstellation (z. B. niedriger sozioökonomischer Status, soziale Isolation, mangelnde soziale Unterstützung, beruflicher oder familiärer Stress) beeinflusst Prognose und Adhärenz (Therapietreue) und sollte strukturiert erfasst werden [3].

Literatur

  1. Byrne RA, Rossello X, Coughlan JJ, Barbato E, Berry C, Chieffo A et al.: 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. Eur Heart J. 2023;44(38):3720-3826. doi: 10.1093/eurheartj/ehad191.
  2. Gosswald A, Schienkiewitz A, Nowossadeck E et al.: Prävalenz von Herzinfarkt und koronarer Herzkrankheit bei Erwachsenen im Alter von 40 bis 79 Jahren in Deutschland (DEGS1). Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2013;56(5-6):650-665. doi: 10.1007/s00103-013-1666-9.
  3. Pogosova N, Saner H, Pedersen SS et al.: Psychosocial aspects in cardiac rehabilitation and secondary prevention: position paper of the European Association of Preventive Cardiology. Eur J Prev Cardiol. 2015;22(10):1290-1306. doi: 10.1177/2047487314543075.
  4. Rao SV et al.: 2025 ACC/AHA/ACEP/NAEMSP/SCAI Guideline for the Management of Patients With Acute Coronary Syndromes. J Am Coll Cardiol. 2025. doi: 10.1016/j.jacc.2024.11.009.

Leitlinien

  1. European Society of Cardiology (ESC). 2023 ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes. Eur Heart J. 2023;44(38):3720-3826. https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehad191.
  2. American College of Cardiology/American Heart Association (ACC/AHA/ACEP/NAEMSP/SCAI). 2025 Guideline for the Management of Patients With Acute Coronary Syndromes. J Am Coll Cardiol. 2025. https://doi.org/10.1016/j.jacc.2024.11.009.
  3. Rao SV et al.: 2025 ACC/AHA/ACEP/NAEMSP/SCAI Guideline for the Management of Patients With Acute Coronary Syndromes. J Am Coll Cardiol. 2025. doi: 10.1016/j.jacc.2024.11.009.