Akutes Koronarsyndrom – Anamnese

Die Anamnese (Krankengeschichte) stellt einen wichtigen Baustein in der Diagnostik des akuten Koronarsyndroms (ACS) dar.

Familienanamnese

  • Gibt es in der Familie erstgradiger Verwandter (Eltern, Geschwister) Hinweise auf eine frühzeitige koronare Herzkrankheit (KHK; Erkrankung der Herzkranzgefäße), Myokardinfarkt (Herzinfarkt) oder plötzlichen Herztod (vor dem 55. Lebensjahr bei Männern bzw. vor dem 65. Lebensjahr bei Frauen)?
  • Sind in der Familie genetisch bedingte Fettstoffwechselstörungen bekannt (z. B. familiäre Hypercholesterinämie)?

Sozialanamnese

  • Beruf:
    • Welchen Beruf üben Sie aus?
    • Bestehen aktuell oder bestanden in der Vergangenheit außergewöhnliche psychische Belastungen (z. B. akuter Stress, berufliche oder familiäre Ausnahmesituationen, Schichtarbeit, Lärmbelastung), die zeitlich mit dem Beschwerdebeginn zusammenfallen?

Aktuelle Anamnese/Systemanamnese (somatische und psychische Beschwerden)

  • Leiden Sie unter plötzlich aufgetretenen oder neuartigen Brustschmerzen?
  • Haben Sie ein Enge-, Druck- oder Beklemmungsgefühl hinter dem Brustbein?*
  • Strahlen die Beschwerden in den linken oder rechten Arm, in Schulter, Nacken, Rücken, Unterkiefer oder Oberbauch aus?*
  • Treten die Beschwerden in Ruhe oder bei geringer Belastung auf?
  • Haben Sie Atemnot, Luftnot oder das Gefühl, nicht tief genug einatmen zu können?*
  • Leiden Sie unter Übelkeit, Erbrechen oder kaltem Schweiß?
  • Bestehen Schwindel, Benommenheit oder Angst bis zu Todesangst?*
  • Haben Sie Herzstolpern, Herzrasen oder Ohnmachtsgefühle bemerkt?*
  • Schmerzanamnese:
    • Wann traten die Beschwerden erstmals auf?
    • Gibt es ein typisches Schmerzmuster (z. B. Belastungsabhängigkeit, Ruheangina)?
    • Treten die Beschwerden bevorzugt in Ruhe, nachts oder in den frühen Morgenstunden auf?
    • Welche Faktoren lösen die Beschwerden aus?
    • Sind die Schmerzen abhängig von der Atmung?*
    • Welche Faktoren lindern oder verstärken die Beschwerden?
    • Verstärken sich die Schmerzen bei körperlicher Belastung oder Bewegung, oder werden sie dadurch besser?*
    • Lassen die Beschwerden durch Ruhe oder nach Gabe von Nitroglyzerin nach?
  • Schmerzdauer und -veränderung:
    • Seit wann bestehen die Schmerzen oder Beschwerden?
    • Haben sich Intensität, Charakter oder Ausbreitung der Schmerzen im Verlauf verändert oder verstärkt?
    • Wie lange dauern die Schmerzen an, und treten sie kontinuierlich oder in Episoden auf?
  • Schmerzlokalisation und -charakter:
    • Wo genau sind die Schmerzen lokalisiert (retrosternal, links- oder rechtsseitig, diffus)?
    • Strahlen die Schmerzen aus?
    • Wie würden Sie die Schmerzen beschreiben (z. B. drückend, einschnürend, brennend, stechend)?
      • Wie stark sind die Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10?
      • 0-2: kein/kaum Schmerz
      • 3-4: bei Ablenkung ist der Schmerz nicht mehr im Mittelpunkt
      • 5-6: Schmerz behindert Gehen, Ein- und Durchschlafen*
      • 7-8: Bedürfnis sich hinzulegen, Ablenkung nicht mehr möglich, gesamtes Denken kreist um den Schmerz*
      • 9-10: unaushaltbare, fürchterliche Schmerzen, der Patient "möchte schreien" oder schreit tatsächlich*
  • Haben Sie Schlafstörungen, insbesondere nächtliches Erwachen durch Beschwerden?
  • Besteht vermehrter nächtlicher Harndrang?

Vegetative Anamnese inkl. Ernährungsanamnese

  • Haben Sie in letzter Zeit unbeabsichtigt an Gewicht zu- oder abgenommen?
  • Leiden Sie unter Appetitlosigkeit oder Übelkeit
  • Bewegen Sie sich regelmäßig? Wie häufig und mit welcher Intensität?
  • Treiben Sie Sport? Falls ja, welche Sportarten und wie oft?
  • Trinken Sie gerne Kaffee, schwarzen oder grünen Tee? Wenn ja, wie viele Tassen pro Tag?
  • Trinken Sie koffeinhaltige Getränke? Wenn ja, wie viele pro Tag?
  • Rauchen Sie? Wenn ja, wie viele Zigaretten, Zigarren oder Pfeifen pro Tag und seit wie vielen Jahren?
  • Trinken Sie Alkohol? Wenn ja, welches Getränk und wie viele Gläser pro Tag oder Woche?
  • Nehmen Sie Drogen (z. B. Cannabis, Kokain)? Falls ja, welche und wie häufig?

Eigenanamnese

  • Vorerkrankungen, z. B.:
    • Koronare Herzkrankheit (KHK; Erkrankung der Herzkranzgefäße)?
    • Herzinsuffizienz (Herzschwäche)?
    • Herzrhythmusstörungen?
    • Hypertonie (Bluthochdruck)?
    • Periphere arterielle Verschlusskrankheit?
    • Knöchelödeme?
    • Diabetes mellitus?
    • Hyperlipidämien (Fettstoffwechselstörungen)?
    • Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion)?
    • Schlafapnoesyndrom?
    • Osteoporose?
    • Frühere Herzinfarkte, Stentimplantationen oder Bypass-Operationen?
    • Frühere Krankenhausaufenthalte aufgrund kardialer Beschwerden?
  • Wurde bereits eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt?
  • Operationen mit kardiovaskulärer Relevanz

Medikamentenanamnese

  • Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, wie Blutdrucksenker, Statine, Aspirin oder Nitroglycerin ein?
  • Clarithromycin – innerhalb von 14 Tagen nach Therapiebeginn erhöhtes Risiko unter anderem für Myokardinfarkte
  • Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR; z. B. Ibuprofen, Diclofenac) inkl. COX-2-Hemmer (Synonyme: COX-2-Inhibitoren; allgemein: Coxibe; z. B. Celecoxib, Etoricoxib, Parecoxib); schon in der ersten Therapiewoche nimmt das Myokardinfarktrisiko um 20-50 % zu
    NSAR führten bei Atemwegserkrankung zu einem 3,4-fach erhöhten Myokardinfarktrisiko, eine Atemwegserkrankung allein erhöhte das Risiko um das 2,7-Fache, die alleinige NSAR-Anwendung dagegen um das 1,5-fache. Eine intravenöse Therapie mit einem NSAR bei Atemwegsinfektionen ließ das Risiko für einen späteren Myokardinfarkt um das 7,2-Fache ansteigen.
    Keine signifikant erhöhte Rate von vaskulären Todesfällen ist für Naproxen und Acetylsalicylsäure nachweisbar. Beide sind Inhibitoren (Hemmer) der Cyclooxygenase COX-1.
  • Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Säureblocker):
    • bei Patienten, die diese wegen Sodbrennen einnahmen
      Zu beachten ist, das viele PPI über das Leberenzym CYP3A4 abgebaut werden, was zugleich für die Aktivierung von Clopidogrel (Thrombozytenaggregationshemmer) erforderlich ist. Entsprechend konnte in einer Studie nachgewiesen werden, dass die gleichzeitige Einnahme von z. B. Omeprazol mit Clopidogrel den Plasmaspiegel von Clopidogrel senkt.
    • Langzeitanwender von PPI erkrankten zu 16-21 % häufiger an Myokardinfarkten
    • Typ-2-Diabetiker, die noch keine kardiovaskuläre Erkrankung hatten, und regelmäßig PPI einnahmen (an mindestens vier Tagen die Woche für wenigstens vier Wochen), hatten ein statistisch signifikant erhöhtes Risiko einen Myokardinfarkt zu erleiden (+34 %).
  • Pseudoephedrin – indirektes Sympathomimetikum, das Noradrenalin aus sympathischen Nervenendigungen freisetzt
  • Besteht eine bekannte Unverträglichkeit gegenüber Thrombozytenaggregationshemmern oder Kontrastmitteln?
  • Wurden Medikamente in letzter Zeit neu angesetzt, abgesetzt oder unregelmäßig eingenommen?

Umweltanamnese

  • Waren Sie kürzlich hohen oder niedrigen Temperaturen ausgesetzt?
    • Im Winter: Bei einem Absinken der Tagestemperatur um 10 °C stieg die Myokardinfarkt-Häufigkeit um 7 % an.
  • Leben oder arbeiten Sie in Umgebungen:
    • mit hoher Luftfeuchtigkeit?
    • wenig Sonnenlicht?
    • starker Windbelastung? 
  • Haben Sie Tage mit starkem Pollenflug bemerkt, die Ihre Beschwerden verschlimmern könnten?
    • Tage mit starkem Pollenflug (> 95 Pollenkörner pro m3 Luft): + 5 %
  • Sind Sie Feinstaub- oder Luftschadstoffen ausgesetzt (z. B. durch Verkehr, Holzverbrennung oder Industrie)?
    • "Asian dust" (Sandkörnchen, Bodenpartikeln, chemische Schadstoffe und Bakterien): Akute Myokardinfarkte traten einen Tag nach Asian-dust-Wetterlagen mit 45 % höherer Wahrscheinlichkeit auf als an anderen Tagen.
    • Feinstaub durch Holzverbrennung – erhöhtes Herzinfarktrisiko bei über 65-Jährigen; bes. in Kälteperioden (< 6,4 °C im Drei-Tages-Mittel); weder NO2 noch der Ozongehalt der Luft nahmen einen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis
    • Stickstoffdioxid- und Feinstaubbelastungen

Falls diese Frage mit „Ja“ beantwortet worden ist, ist ein sofortiger Arztbesuch erforderlich! (Angaben ohne Gewähr)

Unsere Empfehlung: Drucken Sie die Anamnese aus, markieren Sie alle mit „Ja“ beantworteten Fragen und nehmen Sie das Dokument mit zu Ihrem behandelnden Arzt.

Literatur s. u. "Myokardinfarkt (Herzinfarkt) – Ätiologie (Ursachen)".