Sexualität nach der Geburt – Schmerzen, Lustverlust und hormonelle Veränderungen

Die Phase nach der Geburt ist durch erhebliche körperliche, hormonelle und psychische Veränderungen geprägt. Diese wirken sich oft unmittelbar auf die Sexualität aus. Ein sensibles und ganzheitliches Verständnis der Zusammenhänge ist entscheidend, um Frauen und Paare in dieser Phase adäquat beraten und begleiten zu können.

Körperliche Veränderungen nach der Geburt

Nach der vaginalen Geburt kommt es zu anatomischen und funktionellen Anpassungen im Bereich von Beckenboden, Scheide und Vulva. Häufige Ursachen für Beschwerden beim Geschlechtsverkehr sind:

  • Geburtsverletzungen (z. B. Dammriss, Episiotomie (Dammschnitt)), die Narbenschmerzen verursachen können
  • Vaginale Trockenheit durch den Östrogenabfall nach der Geburt, insbesondere während der Stillzeit
  • Beckenbodenschwäche mit verminderter Muskelspannung, die das sexuelle Empfinden verändert

In den ersten Wochen nach der Geburt berichten bis zu 40-60 % der Frauen von Schmerzen beim Geschlechtsverkehr [1]. Diese Beschwerden können sich über mehrere Monate ziehen, insbesondere wenn eine ausgeprägte Verletzung oder ein operativer Eingriff vorlag.

Hormonelle und psychische Faktoren

Die hormonelle Umstellung nach der Geburt – insbesondere der Abfall von Östrogenen und Androgenen – führt nicht nur zu vaginaler Atrophie (Verdünnung und Austrocknung der Scheidenschleimhaut) und Trockenheit, sondern auch zu einer verminderten Libido. Hinzu kommen psychosoziale Faktoren wie:

  • Stillbedingte Erschöpfung und Schlafmangel
  • Körperbildveränderungen nach Schwangerschaft und Geburt
  • Psychische Belastungen wie postpartale Depression oder Anpassungsstörungen

Diese Faktoren verstärken häufig das Gefühl von Lustverlust, das in den ersten sechs Monaten nach der Geburt bei etwa 30-50 % der Frauen auftritt [2].

Zeitlicher Verlauf der sexuellen Wiederaufnahme

Die WHO und Fachgesellschaften empfehlen, frühestens nach 4-6 Wochen wieder Geschlechtsverkehr zu haben, da sich bis dahin Gebärmutter und Vaginalgewebe weitgehend zurückgebildet haben. Studien zeigen, dass die meisten Paare zwischen der 6. und 12. Woche den ersten Geschlechtsverkehr nach der Geburt wieder aufnehmen. Dabei sind die individuelle Heilungsgeschwindigkeit und das subjektive Empfinden der Frau ausschlaggebend [3].

Praktische Empfehlungen zur Unterstützung

  • Lokale Therapie: Bei ausgeprägter Trockenheit können östrogenfreie Gleitmittel oder Vaginalgele mit Hyaluronsäure hilfreich sein. Bei anhaltender Atrophie ist die niedrig dosierte lokale Östrogentherapie (z. B. Estriol) eine Option, sofern keine Kontraindikationen bestehen.
  • Beckenbodentraining: Frühzeitige und regelmäßige Übungen verbessern nicht nur die Kontinenz, sondern auch die sexuelle Empfindung.
  • Psychoedukation: Aufklärung darüber, dass Veränderungen normal sind, reduziert Druck und Schuldgefühle.
  • Partnerschaftliche Kommunikation: Offene Gespräche zwischen den Partnern tragen wesentlich dazu bei, Ängste abzubauen und schrittweise wieder Nähe aufzubauen.

Prävention und ärztliche Rolle

Frühzeitige Beratung im Rahmen der postpartalen Nachsorge hilft, unrealistische Erwartungen zu vermeiden. Wichtig ist, die individuelle Situation zu berücksichtigen – bei Frauen mit schweren Geburtsverletzungen, Depression oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr ist eine gezielte Überweisung an Fachstellen (z. B. Sexualmedizin, Psychotherapie, Physiotherapie) sinnvoll.

Literatur

  1. Barrett G, Pendry E, Peacock J, Victor C, Thakar R, Manyonda I: Women’s sexual health after childbirth. BJOG. 2000;107(2):186-195. doi: 10.1111/j.1471-0528.2000.tb11689.x.
  2. Khajehei M, Doherty M, Tilley PJM, Sauer K: Prevalence and risk factors of sexual dysfunction in postpartum Australian women. J Sex Med. 2015;12(6):1415-1426. doi: 10.1111/jsm.12901.
  3. McDonald EA, Brown SJ: Does method of birth make a difference to when women resume sex after childbirth? BJOG. 2013;120(7):823-830. doi: 10.1111/1471-0528.12166.