Sentinel-Node-Biopsie (Wächterlymphknotenbiopsie)

Die Sentinel-Node-Biopsie (Sentinel-Lymphknotenbiopsie, Wächterlymphknotenbiopsie, Sentinel Lymph Node Biopsy, SLNB) ist ein minimal-invasives Verfahren zur Beurteilung des Lymphknotenstatus (Lymphknotenzustand) bei malignen Tumoren (bösartigen Tumoren). Der Sentinel-Lymphknoten (Wächterlymphknoten) ist der erste Lymphknoten im lymphatischen Abflussweg eines Primärtumors (ursprünglichen Tumors).

Synonyme

  • Sentinel-Node-Biopsie
  • Wächterlymphknotenbiopsie
  • Wächterlymphknoten-Entnahme
  • Biopsie des Wächterlymphknotens
  • Sentinel-Lymphknotenbiopsie
  • Biopsie des Sentinel-Lymphknotens
  • Entnahme des Wächterlymphknotens
  • Wächterknotenbiopsie
  • Wächterknoten-Entnahme

Die zielgerichtete histopathologische Analyse (feingewebliche Untersuchung) dieses Knotens ermöglicht eine zuverlässige Aussage über das Vorliegen einer lymphogenen Metastasierung (Absiedlung von Tumorzellen über das Lymphsystem) und kann eine ausgedehnte Lymphknotendissektion (operative Entfernung vieler Lymphknoten) vermeiden.

Voraussetzung ist in der Regel eine klinisch und bildgebend nodalnegative Situation (cN0) (kein Nachweis von befallenen Lymphknoten) ohne sichere Fernmetastasen (M0) (keine Tumorabsiedlungen in entfernten Organen). Die Sentinel-Node-Biopsie ist primär ein diagnostisches Staging-Verfahren (Untersuchung zur Bestimmung der Tumorausbreitung) und ersetzt keine Therapie, sondern dient der exakteren Prognoseabschätzung (Vorhersage des Krankheitsverlaufs) und Therapieplanung bei reduzierter Morbidität (geringerer Krankheitsbelastung) im Vergleich zur systematischen Lymphonodektomie (umfassende Lymphknotenentfernung).

Indikationen

  • Mammakarzinom (Brustkrebs)
    • Standardverfahren zur Beurteilung der axillären Lymphknoten (Achsellymphknoten) bei invasivem Mammakarzinom (Brustkrebs) mit klinisch und ggf. sonographisch (per Ultraschall) unauffälligem axillären Lymphknotenstatus (cN0), wenn ein axilläres Staging erforderlich ist.
    • Typische Indikation: unifokale Tumoren (ein einzelner Tumorherd) im Stadium T1–T2 mit klinisch negativem Nodalstatus (keine Lymphknotenvergrößerung).
    • Anwendbar auch bei multifokalen (mehrere Tumorherde in einer Brust) oder multizentrischen Tumoren (Tumorherde in verschiedenen Brustquadranten) in Zentren mit entsprechender Erfahrung.
    • Einsatz nach neoadjuvanter Systemtherapie (vorbereitender Medikamententherapie) bei cN0-Patienten möglich, sofern Leitlinienkriterien erfüllt und ein axilläres Staging notwendig ist.
  • Malignes Melanom (schwarzer Hautkrebs)
    • Primäres kutanes Melanom (Hautmelanom) mit klinisch und bildgebend nodalnegativer Situation (keine erkennbaren Lymphknotenmetastasen) und fehlendem Nachweis von Fernmetastasen (M0).
      • Sentinel-Lymphknotenbiopsie wird empfohlen bei:
        • Breslow-Tumordicke (Gewebetiefe des Melanoms) < 0,8 mm (dünne Melanome) mit mindestens einem Hochrisikomerkmal:
          • Ulzeration (Geschwürbildung) oder
          • Mitoseindex (Zellteilungsrate) ≥ 1/mm²
          (entspricht T1b im AJCC-Melanom-Staging-System).
        • Breslow-Tumordicke ≥ 0,8-1,0 mm (klassisches T1b) auch ohne weitere Risikomerkmale.
        • Breslow-Tumordicke > 1,0 mm (mindestens T2a oder höher) unabhängig von Ulzeration oder Mitoseindex.
      • Zusätzlich obligate klinische Voraussetzung:
        • cN0-Status (keine klinisch oder bildgebend erkennbaren Lymphknotenmetastasen) vor dem Eingriff.
    • Weitere Lymphknotenentnahme ist nicht als Routine vorgesehen; eine systematische Lymphonodektomie (komplette Lymphknotenentfernung) erfolgt nur bei entsprechender Befundkonstellation.
  • Vulvakarzinom (Krebs des äußeren Genitalbereichs)
    • Unifokaler Tumor (ein Tumorherd) mit
      • maximalem Tumordurchmesser < 4 cm in der Hautebene und
      • klinisch und ggf. sonographisch (per Ultraschall) unauffälligen Leistenlymphknoten (Lymphknoten in der Leiste) (cN0) sowie
      • Verfügbarkeit von Team-Expertise im Sentinel-Verfahren (einschließlich Ultrastaging (feingewebliche Spezialanalyse)).
    • Dient der minimal-invasiven Evaluation (schonenden Untersuchung) der inguinalen Sentinel-Lymphknoten (Leisten-Wächterlymphknoten) zur Reduktion der Morbidität im Vergleich zur systematischen inguino-femoralen Lymphonodektomie (Entfernung der Leisten- und Oberschenkellymphknoten).
  • Cervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs)
    • Frühe Stadien, vor allem FIGO IA2–IB1 (klinische Tumorstadien), mit klinisch unauffälligem pelvinen Lymphknotenstatus (Beckenlymphknoten) (cN0).
    • Die Sentinel-Node-Biopsie wird zunehmend als Alternative bzw. Ergänzung zur systematischen pelvinen Lymphonodektomie eingesetzt, insbesondere in spezialisierten Zentren.
    • Häufig in Kombination mit Farbstoffen oder Fluoreszenztracern (z. B. Indocyaningrün (Kontrastfarbstoff)) zur Optimierung der Detektionsrate.
  • Peniskarzinom (Peniskrebs)
    • Klinisch nodalnegative Patienten (keine tastbaren/vergrößerten Lymphknoten) (cN0) mit erhöhtem Risiko für Lymphknotenmetastasen (z. B. ≥ T1G2 oder ≥ T2).
    • Dynamische Sentinel-Lymphknotenbiopsie nach szintigraphischer Lokalisation (nuklearmedizinischem Auffinden) inguinaler Sentinel-Lymphknoten zur Reduktion der Morbidität im Vergleich zur prophylaktischen inguinalen Lymphonodektomie.
  • Weitere Tumorentitäten (andere Tumorarten)
    • Merkelzellkarzinom (seltene aggressive Hauttumorart) mit klinischer und bildgebender N0-Situation zur genaueren nodalen Stadienbestimmung.
    • Frühstadien gynäkologischer Tumoren (z. B. Endometriumkarzinom (Gebärmutterkörperkrebs)) im Rahmen standardisierter Konzepte, vor allem in Studien oder spezialisierten Zentren.
    • Ausgewählte Kopf-Hals-Tumoren mit klinisch nodalnegativer Situation, wenn der Lymphknotenstatus das Therapiekonzept wesentlich beeinflusst.
    • Prostatakarzinom (Prostatakrebs) im Rahmen spezieller Konzepte (z. B. unter Verwendung von PSMA-markierten Radiopharmaka (radioaktive Markerstoffe) bei Salvage-Lymphadenektomie) – derzeit nicht breit etabliert, in der Regel Studien vorbehalten.

Kontraindikationen

  • Gesicherte lymphogene oder Fernmetastasierung (Tumorabsiedlungen in Lymphknoten oder entfernten Organen) im Zielareal (klinisch, bildgebend oder histologisch), bei der eine Sentinel-Node-Biopsie das therapeutische Vorgehen nicht mehr sinnvoll beeinflusst.
  • Ausgedehnte Voroperationen oder Radiotherapien (Bestrahlungsbehandlungen) im Lymphabflussgebiet mit relevanter Beeinflussung der Lymphdrainage (gestörter Lymphabfluss) (eingeschränkte Aussagekraft oder Nichtdarstellbarkeit des Sentinel-Lymphknotens).
  • Allergien gegen Tracersubstanzen oder Farbstoffe (z. B. 99mTc-Nanokolloid (radioaktive Partikel), Patentblau V (Farbstoff), in seltenen Fällen Indocyaningrün).
  • Ausgeprägte akute Entzündungen im Bereich der Injektionsstelle mit zu erwartender gestörter Lymphdrainage.
  • Schwangerschaft – keine absolute Kontraindikation; es ist eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich, bevorzugt mit 1-Tages-Protokoll und möglichst niedriger Aktivität.

Vorbereitende Maßnahmen

  • Präoperative Aufklärung (Gespräch vor dem Eingriff) über
    • Zielsetzung des Verfahrens im Rahmen des operativen Gesamtkonzepts,
    • Strahlenexposition (Strahlenbelastung) (in der Regel deutlich unter 1 mSv je nach Protokoll),
    • mögliche Konsequenzen für die operative Planung (z. B. Sentinel-Node-Biopsie, ggf. nachfolgende Lymphonodektomie bei positivem Befund).
  • Kein Nüchternstatus erforderlich, sofern keine weitere narkoserelevante Indikation besteht.
  • Entfernung metallischer Gegenstände im Untersuchungsgebiet, insbesondere bei geplanter SPECT/CT-Bildgebung (Schichtaufnahmen mit Computertomographie).
  • Eindeutige Markierung der Tumorregion bzw. des Tumorbetts (z. B. Mammaklips (Markierungsclips), OP-Narben, Dermatoskopie-Befunde (Hautuntersuchungsbefunde) beim Melanom).
  • Abklärung vorangegangener Operationen, Radiotherapien oder lymphabflussstörender Erkrankungen (z. B. Lymphödem (Gewebewassereinlagerung), Infektionen, Hämatome (Blutergüsse)).

Das Verfahren (Technik und Ablauf)

  • Peritumorale (um den Tumor herum), intradermale (in der Haut), subkutane (unter der Haut) oder – je nach Tumorentität (Tumorart) – periareoläre (um den Brustwarzenhof) Injektion eines Radiotracers (radioaktiver Markierungsstoff) (Standard: 99mTc-Nanokolloid), ggf. in Kombination mit Farbstoff oder Fluoreszenztracern (fluoreszierenden Markern).
  • Für die Sentinel-Lymphknoten-Szintigraphie (nuklearmedizinische Bildgebung) planare Aufnahmen mit der Gamma-Kamera (Spezialkamera) in geeigneten Projektionen (z. B. anterior (von vorn), lateral (seitlich), oblique (schräg)), bei komplexer Anatomie zusätzlich SPECT oder SPECT/CT (Schichtbildverfahren mit/ohne Computertomographie) zur exakten anatomischen Zuordnung der Sentinel-Lymphknoten.
  • Hautmarkierung über dem projizierten Sentinel-Lymphknoten zur intraoperativen Orientierung.
  • Operation in der Regel in Allgemeinanästhesie (Vollnarkose); Lokalanästhesie (örtliche Betäubung) nur in streng selektionierten Fällen mit oberflächlicher, anatomisch günstiger Lokalisation.
  • Intraoperative Detektion (Aufspüren während der Operation) der Sentinel-Lymphknoten mittels Gamma-Sonde (Messgerät); die präoperativ markierten Projektionen dienen der Schnittführung.
  • Ausschließlich Entfernung des echten Sentinel-Lymphknotens, das heißt des ersten anreichernden Knotens im Lymphabflussgebiet:
    • Keine routinemäßige Entfernung angrenzender Lymphknoten.
    • Zusätzliche Lymphknotenentnahme nur bei klar dokumentierter chirurgischer Unsicherheit oder eindeutigen intraoperativen Befunden.
  • Histopathologische Aufarbeitung (feingewebliche Untersuchung):
    • Serienschnitte mit Standardfärbung (H&E),
    • Immunhistochemie (spezielle Färbemethoden) abhängig von der Tumorentität (z. B. S-100 (Tumormarker), SOX10 (Markerprotein), Melan-A (Melanommarker), HMB-45 (Melanommarker) beim Melanom; Cytokeratin AE1/AE3 (Zellstrukturenmarker) beim Mammakarzinom).
  • Die OP-Dauer beträgt je nach Lokalisation und Anzahl der Sentinel-Lymphknoten etwa 30-90 Minuten.

Nachsorge und Verhalten

  • Kurzzeitige stationäre Überwachung nach dem Eingriff, insbesondere bei axillären, inguinalen oder zervikalen Zugängen (Achsel-, Leisten- oder Halszugängen).
  • Schonung der betroffenen Extremität bzw. Region (z. B. Arm nach axillärer Biopsie, Bein nach inguinaler Biopsie) in den ersten Tagen.
  • Frühzeitige Mobilisation zur Vermeidung von Bewegungseinschränkungen und zur Thromboseprophylaxe (Vorbeugung gegen Blutgerinnsel).
  • Regelmäßige klinische Kontrolle des Wundgebietes zur Erkennung möglicher lokaler Komplikationen (Serom (Flüssigkeitsansammlung), Hämatom (Bluterguss), Infektion).
  • Aufklärung des Patienten über das weitere Vorgehen in Abhängigkeit vom histopathologischen Befund (z. B. adjuvante Systemtherapie (zusätzliche Medikamententherapie), Strahlentherapie, in Einzelfällen ergänzende Lymphknotenoperation).

Mögliche Komplikationen

  • Serom (Flüssigkeitsansammlung): Flüssigkeitsansammlung im Operationsgebiet, häufig selbstlimitierend, ggf. Punktion erforderlich.
  • Hämatom (Bluterguss): Erhöhtes Risiko bei Antikoagulation (Blutverdünnung) oder Gerinnungsstörungen; sorgfältige intraoperative Hämostase (Blutstillung) und suffiziente Kompression notwendig.
  • Infektion (Entzündung durch Erreger): Selten bei atraumatischer Operationstechnik und leitliniengerechtem perioperativem Management.
  • Lymphödem (Lymphstauung): Deutlich seltener als nach kompletter Lymphonodektomie, aber möglich; Risiko abhängig von Lokalisation und zusätzlicher Radiotherapie.
  • Allergische Reaktionen (Überempfindlichkeitsreaktionen): Sehr selten, insbesondere auf Farbstoffe oder Kolloidbestandteile; bei Indocyaningrün scheint das Risiko geringer als bei Patentblau V.
  • Fehl- oder Nichtdarstellbarkeit des Sentinel-Lymphknotens (Nichtauffindbarkeit): Möglich bei massiv gestörter Lymphdrainage, ausgeprägten Narben, Lymphstau oder technischen Problemen; das weitere Vorgehen (z. B. konventionelle Lymphonodektomie/Lymphknotenentfernung) muss interdisziplinär entschieden werden.

Fazit

Die Sentinel-Node-Biopsie ist ein leitliniengerechtes, hochpräzises und im Vergleich zur systematischen Lymphknotendissektion (Lymphknotenentfernung) deutlich morbiditätsärmeres (komplikationsärmeres) Verfahren zur Beurteilung des lymphogenen Metastasierungsstatus (Tochtergeschwülste im Lymphsystem). Durch die zielgerichtete Entfernung ausschließlich des echten Sentinel-Lymphknotens wird bei exzellenter diagnostischer Genauigkeit die Rate an Langzeitkomplikationen, insbesondere Lymphödemen (Gewebewasseransammlungen) und Nervenschädigungen, reduziert, vorausgesetzt, das Verfahren wird standardisiert, interdisziplinär abgestimmt und anatomisch korrekt durchgeführt.

 Literatur

  1. Izzo P, De Intinis C, Sibio S, et al. Sentinel lymph node detection in breast cancer: An innovative technique. Diagnostics (Basel). 2023;13(12):2030. doi: 10.3390/diagnostics13122030
  2. Restaino S, Pellecchia G, Arcieri M et al.: Management of patients with vulvar cancers: A systematic comparison of international guidelines (NCCN, ASCO, ESGO, BGCS, IGCS, FIGO, French Guidelines, RCOG). Cancers (Basel). 2025;17(2):186. doi: 10.3390/cancers17020186
  3. Collins A, Bryant A, Brockbank E et al.: Sentinel lymph node mapping in the modern management of gynaecological cancer. Obstet Gynaecol. 2023;25(4):e12872. doi: 10.1111/tog.12872

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Melanoms. (AWMF-Registernummer: 032-024OL), Juli 2020
  2. Garbe C, Amaral T, Peris K et al.: European consensus-based interdisciplinary guideline for melanoma. Part 2: Treatment – Update 2022. Eur J Cancer. 2022;170:256-284. doi: 10.1016/j.ejca.2022.04.018
  3. Deutsche Gesellschaft für Nuklearmedizin (DGN). Nuklearmedizinische Wächter-Lymphknoten-Diagnostik. S1-Leitlinie, Version 3, Stand 04/2024. AWMF-Registernummer 031-033. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/031-033
  4. Vreeburg MTA, Donswijk ML, Albersen M et al.: New EAU/ASCO guideline recommendations on sentinel node biopsy for penile cancer and remaining challenges from a nuclear medicine perspective. Eur J Nucl Med Mol Imaging. 2024;51(10):2861-2868. doi: 10.1007/s00259-023-06586-6