Nierenbiopsie

Die Nierenbiopsie ist ein etabliertes invasives Verfahren zur Entnahme von Gewebeproben aus dem Nierenparenchym (Nierengewebe) zur histologischen (feingeweblichen), immunhistochemischen (antikörperbasierten) und molekularen Analyse. Sie spielt eine zentrale Rolle in der Diagnostik glomerulärer (Nierenfilter betreffender), tubulointerstitieller (Nierenkanälchen und Zwischengewebe betreffender) und vaskulärer (Blutgefäße betreffender) Nierenerkrankungen.

Anwendungsgebiete

  • Abklärung glomerulärer Erkrankungen
    Diagnostik bei Verdacht auf Erkrankungen wie IgA-Nephropathie (Immunkomplexablagerungen in den Nieren), Lupusnephritis (Nierenentzündung bei systemischem Lupus erythematodes), membranöse Glomerulonephritis (Antikörpervermittelte Schädigung der Nierenfilter) oder fokal-segmentale Glomerulosklerose (narbige Veränderungen einzelner Nierenfilter).
  • Nephrotisches und nephritisches Syndrom
    Differenzierung primärer und sekundärer Ursachen bei signifikanter Proteinurie (Eiweißausscheidung im Urin), Hämaturie (Blut im Urin) und Nierenfunktionsverschlechterung.
  • Akutes oder chronisches Nierenversagen unklarer Ursache
    Diagnostik bei akuter Niereninsuffizienz (plötzlichem Nierenversagen) oder Progression einer chronischen Niereninsuffizienz (langsam fortschreitender Nierenschwäche) ohne eindeutige Ursache.
  • Systemische Erkrankungen mit möglicher Nierenbeteiligung
    Diagnostische Sicherung bei Erkrankungen wie systemischem Lupus erythematodes (Autoimmunerkrankung), ANCA-assoziierter Vaskulitis (Gefäßentzündung durch Autoantikörper) oder Amyloidose (Eiweißablagerungserkrankung).
  • Diagnostik tubulointerstitieller Erkrankungen
    Histologische Bestätigung bei Verdacht auf akute interstitielle Nephritis (Entzündung des Zwischengewebes der Niere) oder medikamenteninduzierte Nephropathien (Nierenschädigung durch Medikamente).
  • Abklärung hereditärer Nephropathien
    (z. B. Verdacht auf Alport-Syndrom [erblich bedingte Nierenerkrankung] oder Thin-Basement-Membrane-Erkrankung [dünne Basalmembranerkrankung]).
  • Transplantatdiagnostik
    Abklärung bei Verdacht auf akute oder chronische Transplantatabstoßung sowie Differenzierung anderer Ursachen einer Transplantatfunktionsverschlechterung.
  • Verlaufskontrolle unter spezifischer Therapie
    Beurteilung des Therapieansprechens und Progressionskontrolle bei chronischen Nierenerkrankungen.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Ungenügend korrigierbare Gerinnungsstörungen (schwerwiegende Störungen der Blutgerinnung)
  • Unkontrollierte arterielle Hypertonie (Bluthochdruck)
  • Infektionen im Punktionsgebiet (Entzündungen an der Einstichstelle)
  • Schrumpfnieren oder große Zystennieren (Nieren mit starker Verkleinerung oder Zystenbildung) – relative Kontraindikation je nach Punktionsmöglichkeit
  • Einzelniere (nur eine funktionierende Niere) – individuelle Risikoabwägung erforderlich

Vor der Biopsie (Vorbereitende Maßnahmen)

  • Umfassende Gerinnungsdiagnostik (Quick/INR, PTT, Thrombozytenzahl)
  • Blutdruckkontrolle und Einstellung auf Zielwerte (<140/90 mmHg)
  • Bildgebende Diagnostik mittels Nierensonographie (Ultraschalluntersuchung der Nieren) zur Planung der Punktion
  • Medikamentenanamnese (Überprüfung auf Einnahme blutverdünnender Medikamente)
  • Aufklärung über Ablauf, Risiken (Blutung, Infektion, Schmerz) und notwendige Nachsorgemaßnahmen
  • Bereitstellung von Blutkonserven bei Hochrisikopatienten

Das Verfahren (Technik und Ablauf)

  • Durchführung unter Ultraschallkontrolle (Bildgebung während des Eingriffs)
  • Lokalanästhesie (örtliche Betäubung) an der Punktionsstelle, gelegentlich zusätzliche Analgosedierung (leichte Beruhigung)
  • Aseptische Hautdesinfektion und sterile Abdeckung
  • Punktion der unteren Nierenpole mit spezieller Stanznadel (z. B. Tru-Cut-Nadel [hohle Nadel zur Gewebeentnahme])
  • Gewinnung eines Gewebezylinders aus dem kortikalen (rindenartigen) Nierenparenchym

Dauer: Ca. 20-30 Minuten einschließlich Vorbereitung.

Nach der Biopsie (Nachsorge und Verhalten)

  • Bettruhe für mindestens 24 Stunden unter klinischer Überwachung
  • Regelmäßige Kontrolle von Vitalparametern (Blutdruck, Herzfrequenz) und Hämoglobinspiegeln (Messung des Blutfarbstoffs zur Überwachung von Blutungen)
  • Überwachung auf Makrohämaturie (sichtbares Blut im Urin) oder Flankenschmerzen (seitliche Schmerzen)
  • Körperliche Schonung für mindestens 7 Tage
  • Vermeidung schwerer körperlicher Belastungen und blutverdünnender Medikamente

Mögliche Komplikationen

  • Makrohämaturie (sichtbares Blut im Urin)
    Häufigste Komplikation, meist selbstlimitierend.
  • Perirenales Hämatom
    Blutansammlung um die Niere, klinisch meistens unproblematisch.
  • Arteriovenöse Fisteln
    Kurzschlussverbindungen zwischen Arterien und Venen in der Niere, meist spontan rückläufig.
  • Blutdruckanstieg
    Insbesondere bei präexistierender Hypertonie (Bluthochdruck).
  • Bluttransfusionspflichtige Blutungen
    In etwa 1–3 % der Fälle erforderlich.
  • Sehr selten: Nephrektomie
    (operative Entfernung der Niere) bei unstillbarer Blutung (< 0,1 % der Fälle).

Fazit

Die Nierenbiopsie ist ein unverzichtbares diagnostisches Verfahren bei einer Vielzahl nephrologischer Fragestellungen. Eine präzise Indikationsstellung, erfahrene Durchführung unter bildgebender Kontrolle und eine strukturierte Nachsorge minimieren das Risiko schwerwiegender Komplikationen und sichern eine hohe diagnostische Aussagekraft.