Untersuchung epigenetischer Genregulation

Die Untersuchung der epigenetischen Genregulation (Gensteuerung ohne DNA-Veränderung) erlaubt es, reversible Modifikationen an der DNA oder den Histonproteinen (Strukturproteinen der Chromosomen) zu analysieren, welche die Genexpression (Aktivität von Genen) beeinflussen, ohne die zugrunde liegende DNA-Sequenz zu verändern. Diese Veränderungen sind essenziell für die normale Entwicklung, Zelldifferenzierung (Ausreifung spezialisierter Zelltypen) und Genomstabilität (Stabilität des Erbguts), spielen aber auch bei zahlreichen Erkrankungen – insbesondere Krebs, neurodegenerativen Erkrankungen (fortschreitende Nervenerkrankungen) und Entwicklungsstörungen (angeborene Störungen der körperlichen/geistigen Entwicklung) – eine zentrale Rolle. In der modernen Diagnostik gewinnen epigenetische Untersuchungsverfahren zunehmend an Bedeutung, da sie die Pathogenese (Krankheitsentstehung) auf einer funktionellen Ebene abbilden.

Synonyme

  • Epigenetische Diagnostik
  • Methylierungsanalyse
  • Histonmodifikationsanalyse
  • Epigenomanalyse

Das Verfahren

Benötigtes Material

  • EDTA-Blut, Gewebe, Speichel oder Tumor-DNA (Erbsubstanz aus Tumorgewebe)
  • Reine genomische DNA mit hohem Integritätsindex (Maß für Unversehrtheit des Erbguts, DIN > 6 für Array-basierte Verfahren)
  • Menge: 250-1.000 ng DNA (je nach Methode)

Vorbereitung des Patienten

  • Keine spezielle Vorbereitung notwendig bei peripherem Blut (Blut aus einer Vene)
  • Bei Gewebeproben: frisches oder formalinfixiertes Material (konserviertes Gewebe), je nach Anforderung des Labors
  • Anforderungsschein (Laborschein) mit detaillierter Fragestellung (z. B. Syndromverdacht, Tumorentität)

Störfaktoren

  • Fragmentierte oder verunreinigte DNA (z. B. durch Transport, Lagerung oder Fixierung)
  • Unzureichende Probenmenge oder -qualität
  • Mischproben mit heterogenen Zellpopulationen
  • DNA aus paraffineingebettetem Gewebe (fest eingebettetes Probenmaterial) kann für einige Verfahren ungeeignet sein

Methode

  • DNA-Methylierungsanalyse (Analyse der chemischen Markierungen an der Erbsubstanz):
    • Bisulfitmodifikation (chemische Umwandlung) + Microarray (z. B. Illumina EPIC BeadChip)
    • Bisulfit-Sequenzierung (Erbgutsequenzierung nach chemischer Modifikation; z. B. WGBS, RRBS, targeted bisulfite sequencing)
  • Histonmodifikationen (Veränderungen an Chromatin-Proteinen):
    • Chromatin-Immunpräzipitation (ChIP) mit Sequenzierung (ChIP-Seq)
  • Chromatin-Zugänglichkeit (Zugänglichkeit der DNA-Struktur):
    • ATAC-Seq, DNase-Seq
  • Nicht-kodierende RNA (nicht in Eiweiße übersetzte Erbgutabschnitte):
    • miRNA- und lncRNA-Profilierung (Untersuchung regulatorischer RNA-Moleküle)

Normbereiche 

Keine allgemeinen Referenzbereiche. Die Bewertung erfolgt kontextabhängig anhand:

  • Krankheitsspezifischer Methylierungsmuster (z. B. Tumorentitäten)
  • Vergleiche mit Kontrollkohorten oder Referenzdatenbanken
  • Vorhandensein validierter epigenetischer Signaturen (typischer Muster epigenetischer Veränderungen; z. B. DNA-Methylierungsalter als Marker des biologischen Alters)

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Syndromale Entwicklungsstörungen (z. B. bei Verdacht auf Imprinting-Defekte – genetische Prägungsfehler)
  • Tumorklassifikation und molekulare Subtypisierung (Bestimmung von Tumorart und -untergruppe)
  • Epigenetische Diagnostik bei Varianten unklarer Signifikanz (ungeklärte genetische Varianten – VUS)
  • Prädiktive Diagnostik (Risikovorhersage, z. B. durch epigenetische Alterungsuhren)
  • Verlaufs- und Therapieüberwachung bei epigenetisch aktiven Medikamenten (z. B. Wirkstoffe, die die Genregulation beeinflussen)

Spezifische Konstellationen

  • Methylierungsveränderungen an Imprinting-Zentren (veränderte Prägung bestimmter Gene) → z. B. Beckwith-Wiedemann-, Angelman-, Silver-Russell-Syndrom
  • Tumorspezifische epigenetische Cluster (typische Methylierungsmuster bei bestimmten Tumoren) → Subtypisierung z. B. von Gliomen (Hirntumoren)
  • Uniparentale Disomie (UPD) (Erbfehler mit doppeltem Erbmaterial eines Elternteils) → Detektion über differentiell methylierte Regionen (DMRs)
  • Epigenetische Alterungsuhr (biologisches Alter anhand Methylierungsmuster) → Einschätzung des Zellalters

Weiterführende Diagnostik

  • Einzelgenanalysen zur Bestätigung auffälliger Methylierungsprofile
  • RNA-Sequenzierung zur funktionellen Interpretation epigenetischer Veränderungen
  • Chromosomenanalyse bei Imprinting-Störungen oder Mosaikmustern
  • Analyse elterlicher Allele bei Verdacht auf UPD
  • Interdisziplinäre humangenetische Beratung (Beratung durch Fachärzte für Humangenetik)

Literatur

  1. Greenberg MVC, Bourc’his D: The diverse roles of DNA methylation in mammalian development and disease. Nat Rev Mol Cell Biol. 2019;20(10):590-607. https://doi.org/10.1038/s41580-019-0159-6
  2. Capper D et al.: DNA methylation-based classification of central nervous system tumours. Nature. 2018;555(7697):469-474. https://doi.org/10.1038/nature26000
  3. Lokk K et al.: DNA methylome profiling of human tissues identifies global and tissue-specific methylation patterns. Genome Biol. 2014;15(4):r54. https://doi.org/10.1186/gb-2014-15-4-r54
  4. Horvath S: DNA methylation age of human tissues and cell types. Genome Biol. 2013;14(10):R115. https://doi.org/10.1186/gb-2013-14-10-r115