Exom-Analyse
Die Exom-Analyse (Whole Exome Sequencing, WES) ist ein molekulargenetisches Verfahren (genetische Untersuchung) zur umfassenden Untersuchung aller proteinkodierenden Abschnitte (Exons) des menschlichen Genoms (Erbguts). Sie wird insbesondere bei unklaren monogenen Erkrankungen (Erbkrankheiten mit einem einzelnen Gendefekt) eingesetzt, wenn gezielte Einzelgen- oder Panel-Analysen (Untersuchung mehrerer Gene gleichzeitig) keine Diagnose ergeben haben. Auch in der Tumorgenetik (Erbgutanalyse bei Tumoren) gewinnt die Exom-Analyse an Bedeutung zur Identifikation somatischer Mutationen (nicht-vererbter genetischer Veränderungen). Da nur etwa 1–2 % des Genoms Exons enthält, aber ca. 85 % der krankheitsverursachenden Varianten dort lokalisiert sind, bietet die WES eine effiziente und kostenoptimierte Diagnostik.
Synonyme
- Whole Exome Sequencing (WES)
- Exom-Sequenzierung
- Exomgenomik
Das Verfahren
Benötigtes Material
- EDTA-Vollblut (Blutprobe mit Gerinnungshemmer; 2-5 mL) oder Speichelprobe
- Optional Tumorgewebe (frisch oder FFPE) bei somatischer Diagnostik (Gewebe aus Tumor zur Untersuchung nicht-vererbter Mutationen)
- Raumtemperatur für Blutproben ausreichend; ggf. gekühlt versenden bei längerer Lagerdauer
Vorbereitung des Patienten
- Schriftliche Einwilligung nach Gendiagnostikgesetz (GenDG)
- Genetische Beratung (Aufklärungsgespräch zur genetischen Untersuchung) bei prädiktiver Diagnostik (vorbeugender genetischer Analyse) obligatorisch
- Erhebung der klinischen Phänotypen (körperliche und funktionelle Auffälligkeiten) zur gezielten Interpretation
Störfaktoren
- Kontamination der Probe (z. B. bei Speichel durch Fremd-DNA)
- Niedrige DNA-Qualität bei FFPE-Material (in Formalin eingebettetes Gewebe)
- Unzureichende klinische Angaben können zu fehl diagnostischer Priorisierung führen
Methode
- Isolierung der genomischen DNA (Erbsubstanz)
- Anreicherung (Target Enrichment) aller Exons mittels Hybridisierung (gezielte Ankopplung der Genabschnitte)
- Hochdurchsatz-Sequenzierung (Next Generation Sequencing, NGS; moderne Genanalyse mit großem Datenumfang)
- Bioinformatische Auswertung: Alignment (Abgleich der Gensequenz), Variant Calling (Erkennung von Abweichungen), Filterung
- Interpretation durch Humangenetiker (Facharzt für Erbkrankheiten) unter Berücksichtigung von ACMG-Kriterien (medizinisch-genetische Klassifikationsstandards)
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Unklare monogene Erkrankungen (vermutete Erbkrankheit mit nur einem betroffenen Gen)
- Seltene Syndrome mit multiplen Fehlbildungen oder Entwicklungsstörungen
- Differentialdiagnose bei neurologischen, metabolischen oder kardiogenetischen Erkrankungen (Abklärung von Nerven-, Stoffwechsel- oder Herzerkrankungen mit genetischem Hintergrund)
- Tumorgenetische Analysen (Analyse genetischer Veränderungen im Tumor)
- Reproduktive Genetik bei familiärer Krankheitslast (Genetische Untersuchung bei Kinderwunsch und bekannten Erbkrankheiten in der Familie)
Interpretation
Pathogene Varianten
- Einzel- oder Doppelallelische Mutationen (Veränderungen in einem oder beiden Genkopien) in krankheitsrelevanten Genen
- Klassifikation nach ACMG: Pathogen, wahrscheinlich pathogen (krankheitsverursachend)
Varianten unklarer Signifikanz (VUS)
-
Erfordern ggf. weitere Segregationsanalysen (Untersuchung weiterer Familienmitglieder) oder funktionelle Tests
Negative Befunde
-
Schließen eine genetische Erkrankung nicht sicher aus (technische Limitation, nicht-kodierende Varianten)
Spezifische Konstellationen (optional)
- Trio-Analyse (Kind und beide Eltern) zur Segregationsanalyse bei VUS
- Tumor-Normal-Paare bei somatischer vs. Keimbahn-Differenzierung (Unterscheidung zwischen ererbter und erworbener Mutation)
- Reanalyse bei negativen Befunden nach 1-2 Jahren empfohlen
Weiterführende Diagnostik
- Einzelgen- oder Panel-Analysen bei gezieltem Verdacht
- Ganzgenomsequenzierung (vollständige Analyse des gesamten Erbguts) bei Verdacht auf regulatorische oder strukturelle Varianten
- Funktionelle Studien bei unklarer Pathogenität (Tests zur Überprüfung der Auswirkung der Genveränderung)
- RNA-Sequenzierung bei Expressions- oder Spleißveränderungen (Analyse der Genaktivität)
- Genetische Beratung zur Einordnung der Befunde und familiären Risikoabschätzung