Gendiagnostik – Verfahren, Indikationen und diagnostischer Nutzen

Die Gendiagnostik umfasst eine Vielzahl molekulargenetischer, zytogenetischer und epigenetischer Verfahren zur Analyse genetischer Informationen. Sie dient der Diagnosestellung, Risikobewertung, pränatalen Diagnostik sowie individualisierten Therapieplanung bei hereditären (erblich bedingten) und multifaktoriellen (durch mehrere Ursachen bedingten) Erkrankungen.

Gene

Gene (Erbeinheiten) sind funktionelle Abschnitte der DNA, die für Proteine oder regulatorische RNA-Moleküle codieren. Mutationen, Insertionen oder strukturelle Umlagerungen in Genen bilden die Grundlage zahlreicher monogener Erkrankungen sowie genetischer Dispositionen bei multifaktoriellen Krankheitsbildern.

Genetik

Die Genetik (Erblehre) bildet die Grundlage für das Verständnis erblicher Krankheitsprozesse und molekularbiologischer Mechanismen. Im Zentrum steht die Analyse von Genen als Funktionseinheiten der DNA.

Desoxyribonukleinsäure (DNA)

Die Desoxyribonukleinsäure (DNA) (Erbsubstanz) ist die strukturelle Basis der genetischen Information und besteht aus doppelsträngigen Polynukleotidketten (Nukleinsäuresträngen). Ihre Sequenzanalyse ermöglicht die Detektion punktueller Mutationen (Veränderungen), Deletionen (Verluste), Duplikationen (Verdopplungen) und anderer Varianten.

Ganzgenomsequenzierung (WGS)

Die Ganzgenomsequenzierung (Whole Genome Sequencing, WGS) ermöglicht die umfassende Analyse aller kodierenden und nicht-kodierenden Abschnitte des Genoms. Sie wird insbesondere bei unklaren genetischen Krankheitsbildern, Tumorerkrankungen oder in der personalisierten Onkologie eingesetzt.

Ganz-Genom-Sequenzierung: Revolution in der Diagnostik seltener und onkologischer Erkrankungen

Durch die vollständige Erfassung des Genoms lassen sich seltene Varianten, strukturelle Umlagerungen und regulatorische Sequenzveränderungen identifizieren. Dies eröffnet neue Möglichkeiten zur molekularen Klassifikation, Therapieplanung und Vermeidung diagnostischer Irrtümer.

Chromosomen

Chromosomen (DNA-Trägerstrukturen) stellen die kondensierte Form der DNA dar. Zytogenetische Untersuchungen dienen der Erkennung numerischer und struktureller Aberrationen (Fehlverteilungen), wie Trisomien, Translokationen oder Mikrodeletionen.

Polkörperdiagnostik (PKD)

Die Polkörperdiagnostik (PKD) erfolgt an Eizellen vor der Befruchtung. Dabei werden die Polkörper genetisch analysiert, um maternale Aneuploidien oder bekannte Mutationen bei fortgeschrittenem Alter oder positiver Familienanamnese auszuschließen.

Präimplantationsdiagnostik (PID)

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) wird nach In-vitro-Fertilisation (IVF) an Embryonen vor dem Embryotransfer durchgeführt. Sie ermöglicht die gezielte Auswahl genetisch nicht belasteter Embryonen bei bekannten monogenen Erkrankungen oder strukturellen Chromosomenveränderungen.

Präimplantationsgenetisches Screening (PGS/PGT-A)

Das Präimplantationsgenetisches Screening (PGS) dient der Untersuchung auf numerische Chromosomenanomalien (Aneuploidien) bei Embryonen ohne bekannte genetische Prädisposition. Es wird empfohlen bei wiederholten Fehlgeburten, Implantationsversagen und bei IVF über dem 35. Lebensjahr.

SNPs (Single Nucleotide Polymorphisms)

SNPs (Einzelnukleotid-Polymorphismen) sind punktuelle DNA-Varianten, die als Marker für genetische Prädispositionen, populationsgenetische Merkmale oder pharmakogenetische Eigenschaften genutzt werden.

Epigenetik

Die Epigenetik (Genregulationsforschung) untersucht reversible Modifikationen der DNA oder Histone (z. B. DNA-Methylierung), die die Genexpression beeinflussen. Diese Veränderungen spielen bei Tumorerkrankungen, Entwicklungsstörungen und Umweltinteraktionen eine zentrale Rolle.

Ribonukleinsäure (RNA)

RNA (Einzelsträngige Nukleinsäure) ist wesentlich für Transkription und Translation. Die Analyse von mRNA-, miRNA- oder lncRNA-Profilen dient der Diagnostik genetisch bedingter Expressionveränderungen, insbesondere bei Tumoren.

Genetische Beratung

Die genetische Beratung (fachärztliche Aufklärung) ist Bestandteil jeder genetischen Diagnostik und umfasst die Bewertung der Befunde im Hinblick auf Diagnostik, Prognose, Therapie und Reproduktionsmedizin.

Carrier-Screening

Das Carrier-Screening erfolgt bei klinisch asymptomatischen Personen im Rahmen der Reproduktionsplanung, um rezessive Erbkrankheiten (z. B. CF, SMA) zu erkennen und die Weitergabe zu vermeiden.

Praenatest/NIPT

Beim nicht-invasiven Pränataltest bzw. NIPT wird zellfreie fetale DNA im mütterlichen Blut mittels Hochdurchsatzsequenzierung analysiert. Ziel ist der Ausschluss numerischer Chromosomenaberrationen wie Trisomie 21, 18 und 13.

Chromosomenanalyse (Karyotypisierung)

Die Karyotypisierung identifiziert numerische oder strukturelle Chromosomenveränderungen, insbesondere bei konstitutionellen Syndromen, Infertilität oder habituellen Aborten.

Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH)

Die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) ist ein Verfahren zum Nachweis spezifischer DNA-Sequenzen auf Chromosomen und dient dem Nachweis von Mikrodeletionserkrankungen, Translokationen und Tumorgenen.

Einzelgenanalysen

Gezielte Einzelgenanalysen werden zur Diagnostik spezifischer Erkrankungen (z. B. BRCA1/2, CFTR) durchgeführt – insbesondere bei klinischem Verdacht oder familiärer Disposition.

Gentests

Gentests umfassen molekulargenetische Verfahren zur Diagnostik, prädiktiven Risikobewertung, Pharmakogenetik und Therapieplanung. Dazu zählen Einzelgen-, Panel- sowie Exom- und Ganzgenomanalysen.

Microarray-Analysen

Microarray-Verfahren wie Array-CGH oder SNP-Array ermöglichen eine hochauflösende Detektion von Kopienzahlvariationen (CNVs), Duplikationen, Deletionen und LOH (Loss of Heterozygosity).

Diagnostische Relevanz genetischer Verfahren

Verfahren Diagnostische Zielsetzung Analysestruktur Indikationsschwerpunkte
Gene Identifikation funktioneller Einheiten der DNA DNA-/RNA-Sequenzierung Monogene Erkrankungen, regulatorische Störungen
Genetik Analyse von Vererbung und Funktionsmechanismen Genom-/Exomanalysen Genotyp-Phänotyp-Korrelation, familiäre Erkrankungen
DNA-Analyse Nachweis genetischer Varianten Sanger-/NGS-Sequenzierung Molekulardiagnostik, Präzisionsmedizin
Ganzgenomsequenzierung (WGS) Vollständige Analyse kodierender und nicht-kodierender Regionen Whole-Genome-Sequenzierung Seltene Erkrankungen, Tumorgenetik, syndromale Diagnostik
Polkörperdiagnostik (PKD) Ausschluss maternaler Mutationen bei Eizellen Mikromanipulation, PCR, NGS IVF, fortgeschrittenes Alter, familiäre Disposition
Präimplantationsdiagnostik (PID) Ausschluss monogener Erkrankungen beim Embryo Biopsie, PCR, NGS IVF, bekannte Genmutation, Translokationen
PGS/PGT-A Ausschluss von Aneuploidien Embryonenbiopsie, Array, NGS IVF >35 Jahre, wiederholte Aborte, Implantationsversagen
Chromosomenanalyse Erkennung numerischer/struktureller Aberrationen Karyotypisierung (GTG-Bänderung) Fehlbildungen, Sterilität, Syndromabklärung
SNP-Analyse Markerbasierte Risikoabschätzung SNP-Array, NGS Multifaktorielle Erkrankungen, Pharmakogenetik
Epigenetik Analyse von Genregulation durch Methylierung Bisulfit-Sequenzierung, Methylierungstests Onkologie, Entwicklungsstörungen, Umweltinteraktionen
RNA-Analyse Analyse der Genexpression RT-PCR, RNA-Seq Tumoren, Autoimmunerkrankungen, Expressionstörungen
Genetische Beratung Interpretation genetischer Befunde Ärztliche Aufklärung Prädiktion, Reproduktionsmedizin, Therapieplanung
Carrier-Screening Nachweis rezessiver Gendefekte bei gesunden Personen Panel-basierte Sequenzierung CF, SMA, Reproduktionsmedizin
Praenatest/NIPT
Nicht-invasive pränatale Aneuploidiediagnostik cfDNA-Sequenzierung im mütterlichen Blut Trisomie 21, 18, 13; Monosomie X, Geschlechtschromosomen
FISH Nachweis spezifischer DNA-Sequenzen Fluoreszenzmarkierte DNA-Sonden Mikrodeletion, Onkogene, Translokation
Einzelgenanalyse Fokussierte Diagnostik definierter Gene PCR, Sanger, NGS BRCA, CFTR, HFE, HNPCC
Gentests Breite genetische Diagnostik Einzelgen-, Panel-, Exom-, Genomanalyse Diagnostik, prädiktive Medizin, Pharmakogenetik
Microarray-Analyse Hochauflösende Erkennung genomischer Veränderungen Array-CGH, SNP-Array Syndromabklärung, Neurogenetik, Tumorprofiling