Calprotectin
Calprotectin ist ein heterodimeres Protein aus den Untereinheiten S100A8 und S100A9 und ein Hauptbestandteil des Zytosols (Zellflüssigkeit) neutrophiler Granulozyten (bestimmte weiße Blutkörperchen) und Monozyten (bestimmte weiße Blutkörperchen). Es wird bei Migration neutrophiler Granulozyten in die Darmschleimhaut (Schleimhaut des Darms) und in das Darmlumen (Inneres des Darms) freigesetzt und dient in der klinischen Labordiagnostik als nicht-invasiver Marker intestinaler Entzündung (Darmentzündung), insbesondere zur Diagnostik und Verlaufsbeurteilung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen, CED).
Calprotectin wird während der Darmpassage kaum abgebaut und ist in Stuhlproben über mehrere Tage stabil, sodass auch proximale Entzündungen erfasst werden können [1]. Fäkales Calprotectin gehört zu den etablierten fäkalen Entzündungsmarkern und wird routinemäßig zur Differenzierung zwischen funktionellen und organisch-entzündlichen Darmerkrankungen (Funktionsstörungen des Darms bzw. entzündliche Darmerkrankungen) eingesetzt [3, 4]. Serum-Calprotectin wurde darüber hinaus als potenzieller Blutmarker für Krankheitsaktivität (Schwere der Erkrankung) und Prognose (Krankheitsvorhersage) bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen untersucht [2].
Synonyme
- Calprotectin
- Fäkales Calprotectin (FC)
- L1-Protein
- Calgranulin A/B
- Humanes Leukozytenprotein L1
- MRP-8/14
- S-100A8/S-100A9-Komplex
- Zystisches-Fibrose-Antigen (Cystic Fibrosis Antigen, CFA)
Das Verfahren
- Benötigtes Material
- Stuhlprobe (native Stuhlprobe, üblicherweise Einzelprobe; Stabilität des Calprotectins im Stuhl für mindestens 3-7 Tage bei Raumtemperatur bzw. 4 °C; für längere Lagerung Einfrieren bei −20 °C) [1]
- Vorbereitung des Patienten
- Keine spezielle Diät (Ernährungsweise) oder Nüchternheit erforderlich
- Stuhlprobenentnahme idealerweise aus spontan entleerter Stuhlprobe, ohne Vermischung mit Urin oder Wasser
- Für Verlaufsuntersuchungen nach Möglichkeit standardisierte Entnahmebedingungen (Tageszeit, kein Sammelstuhl über mehrere Tage)
- Wenn klinisch vertretbar, sollte vor Verlaufskontrollen eine kritische Prüfung der Einnahme nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR; bestimmte Schmerz- und Entzündungshemmer) und Protonenpumpenhemmer (Magenschutzmedikamente) erfolgen, da diese die Werte moderat erhöhen können [4]
- Störfaktoren
- Sehr dünner bzw. flüssiger Stuhl (Verdünnungseffekt mit potenzieller Unterschätzung der Konzentration)
- Ausgeprägte rektale Blutungen oder massive Schleimbeimengung (können zu erhöhten Werten beitragen)
- Längere ungekühlte Lagerung über mehrere Tage hinaus, trotz grundsätzlicher Stabilität, kann zu Messungenauigkeiten führen [1]
- Einnahme von NSAR oder Protonenpumpenhemmern mit möglicher Erhöhung der Werte ohne zugrunde liegende chronisch-entzündliche Darmerkrankung [4]
- Unterschiedliche Testsysteme (ELISA, automatisierte Immunoassays, Point-of-care-Tests) mit methodenabhängigen Referenzbereichen und Cut-off-Werten [3, 4]
- Methode
- Quantitative Immunoassays (z. B. Enzyme-linked Immunosorbent Assay, ELISA; chemilumineszenzbasierte oder turbidimetrische Immunoassays) [1, 3, 4]
- Immunochromatographische Schnelltests/Point-of-care-Assays mit semiquantitativer oder quantitativer Auswertung [3]
- Standardisierung der Ergebnisse auf µg/g Stuhl (entspricht mg/kg Stuhl) zur Vergleichbarkeit zwischen Laboren
Normbereiche (je nach Labor)
| Subgruppe/Geschlecht/Alter | Referenzbereich |
|---|---|
| Säuglinge (0-12 Monate) | Häufig deutlich höhere Werte; 95. Perzentil in Studien bis ca. 500-700 µg/g Stuhl; keine einheitlich anerkannte Obergrenze, alters- und methodenabhängig [5, 6] |
| Kinder 1-4 Jahre | Meist unter 200 µg/g Stuhl; Werte nehmen mit zunehmendem Alter ab [5, 6] |
| Kinder ≥ 4 Jahre und Erwachsene | < 50 µg/g Stuhl als üblicher Referenzbereich für gesunde Personen [3, 4] |
| Grenzbereich (Kinder ≥ 4 Jahre und Erwachsene) | 50-100 µg/g Stuhl (Graubereich, Verlaufskontrolle und klinische Re-Evaluation empfohlen) [3, 4] |
| Pathologisch erhöht (starker Verdacht auf aktive organische Entzündung, v. a. CED) | > 250 µg/g Stuhl (hohe Wahrscheinlichkeit mukosaler Entzündung, weiterführende endoskopische Diagnostik in Abhängigkeit von Klinik empfohlen) [3, 4] |
Hinweis: Die Referenzbereiche sind alters-, methoden- und laborabhängig; Grenzwerte können je nach Testsystem und Population variieren.
Indikationen
- Diagnostik bei Verdacht auf chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED; Morbus Crohn (chronische Darmentzündung), Colitis ulcerosa (chronische Dickdarmentzündung)) zur Abgrenzung gegenüber funktionellen Störungen (z. B. Reizdarmsyndrom (Reizdarm)) [3, 4]
- Differentialdiagnostik bei unklarer chronischer Diarrhö (anhaltendem Durchfall), Bauchschmerzen oder Gewichtsverlust zur Einschätzung, ob eine organische Entzündung vorliegt [3, 4]
- Aktivitätsbeurteilung und Verlaufsmonitoring bei bekannten chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, inklusive Therapieansprechen und Anpassung der Therapiestrategie [3, 4]
- Rezidivprognose bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen nach klinischer Remission (Rückgang der Krankheitszeichen) (erhöhte Werte gehen mit höherem Rezidivrisiko einher) [3, 4]
- Triage-Instrument vor Koloskopie (Darmspiegelung) bei Patienten mit gastrointestinalen Beschwerden (Beschwerden im Magen-Darm-Bereich), um unnötige invasive Untersuchungen zu reduzieren, wenn fäkales Calprotectin im Normbereich liegt [3, 4]
- Abklärung bei Verdacht auf entzündliche Darmerkrankungen im Kindesalter, in Ergänzung zu Klinik und weiteren Laboruntersuchungen [5, 6]
Interpretation
- Erhöhte Werte
- Aktive chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) – typischerweise deutlich erhöhte Werte; fäkales Calprotectin korreliert mit endoskopischer und histologischer Krankheitsaktivität [3, 4]
- Akute infektiöse Enteritis (bakterielle oder virale Darminfektionen, z. B. mit Campylobacter, Salmonella, Clostridioides difficile) – häufig deutlich erhöhte Werte, Differentialdiagnose zur CED erforderlich [3, 4]
- Divertikulitis – meist moderat bis deutlich erhöhte Werte, abhängig vom Ausmaß der Entzündung
- Kolorektale Neoplasien (Adenome, kolorektales Karzinom (Dickdarmkrebs)) – Calprotectin kann erhöht sein; ein normaler Wert schließt Neoplasien jedoch nicht sicher aus [3, 4]
- Medikamenteninduzierte Schleimhautschädigungen, insbesondere NSAR-Enteropathie – moderate Erhöhung möglich [4]
- Mukoviszidose (zystische Fibrose) mit intestinaler Beteiligung – häufig erhöhte fäkale Calprotectin-Werte aufgrund chronischer Entzündung der Darmschleimhaut
- Weitere entzündliche Darmerkrankungen und Enteropathien (z. B. ischämische oder strahleninduzierte Kolitis) – je nach Entzündungsaktivität erhöhte Werte
- Erniedrigte Werte
- Werte < 50 µg/g Stuhl bei Kindern ≥ 4 Jahren und Erwachsenen sprechen gegen eine aktive chronisch-entzündliche Darmerkrankung; die negative prädiktive Wertigkeit zur Ausschlussdiagnostik einer CED ist hoch (> 95 %) [3, 4]
- Erniedrigte bzw. sehr niedrige Werte im Vergleich zu vorhergehenden Messungen können auf eine klinische und endoskopische Remission unter Therapie hinweisen [3, 4]
- Histologisch minimale oder fehlende Entzündung kann trotz klinischer Symptome zu niedrigen oder nur gering erhöhten Werten führen; die Interpretation muss immer im Kontext von Klinik und weiterer Diagnostik erfolgen
- Spezifische Konstellationen
- Werte zwischen 50 und 100 µg/g Stuhl (Graubereich) – unspezifische leichte Erhöhung; empfohlen werden Verlaufskontrolle (z. B. in 4-8 Wochen) und klinische Re-Evaluation, insbesondere bei fehlenden Red-Flag-Symptomen [3, 4]
- Persistierend moderat erhöhte Werte (ca. 100-250 µg/g) können bei milder oder lokal begrenzter Entzündung, bei älteren Patienten oder unter NSAR-/PPI-Therapie auftreten; die weitere Abklärung erfolgt abhängig von klinischer Symptomatik und zusätzlichen Befunden [3, 4]
- Deutlich erhöhte Werte (> 250-300 µg/g) sind mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für relevante mukosale Entzündung assoziiert und sollten – insbesondere bei typischer Klinik – zu weiterführender endoskopischer Diagnostik führen [3, 4]
- Sehr hohe Werte (> 500-600 µg/g) finden sich häufig bei ausgeprägter Aktivität einer Colitis ulcerosa, eines schweren Schubes eines Morbus Crohn oder einer schweren infektiösen Kolitis
- Ein wiederholter Nachweis deutlich erhöhter Werte (> 300 µg/g) im Intervall von etwa 1 Monat kann als Prädiktor für ein klinisches Rezidiv einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) dienen und sollte Anlass zur frühzeitigen Anpassung der Therapie oder intensiveren Überwachung geben [3, 4]
- Normale Calprotectin-Werte bei Patienten mit abdominellen Beschwerden sprechen eher für funktionelle Darmerkrankungen (z. B. Reizdarmsyndrom) und gegen eine aktive organische Entzündung, schließen aber andere organische Ursachen ohne mukosale Entzündung nicht aus [3, 4]
- Serum-Calprotectin korreliert in Studien mit fäkalem Calprotectin und der Krankheitsaktivität; es kann ergänzend als Blutmarker in der Beurteilung der systemischen Entzündung bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt werden [2]
Weiterführende Diagnostik
- Laborchemische Entzündungsparameter (C-reaktives Protein, Blutsenkungsgeschwindigkeit, Blutbild) zur Beurteilung der systemischen Entzündungsaktivität
- Stuhldiagnostik auf enteropathogene Erreger (z. B. bakterielle Kultur, PCR-Panels, Clostridioides-difficile-Toxin) bei erhöhtem Calprotectin und Verdacht auf infektiöse Genese
- Endoskopische Diagnostik (Ileokoloskopie mit Biopsien) bei persistierend deutlich erhöhten Werten und/oder Red-Flag-Symptomen (z. B. Blut im Stuhl, Gewichtsverlust, Anämie (Blutarmut))
- Bildgebung (z. B. Magnetresonanztomographie (MRT) des Dünndarms) bei Verdacht auf Morbus Crohn mit Dünndармbefall
- Weitere fäkale Entzündungsmarker (z. B. Lactoferrin, neutrophile Elastase) können ergänzend eingesetzt werden, haben jedoch gegenüber fäkalem Calprotectin derzeit keinen klaren Vorteil in der Routinediagnostik [3, 4]
- Serum-Calprotectin als ergänzender Marker zur Einschätzung der Krankheitsaktivität und Prognose bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen [2]
Literatur
- Røseth AG, Fagerhol MK, Aadland E, Schjønsby H. Assessment of the neutrophil dominating protein calprotectin in feces: a methodologic study. Scand J Gastroenterol. 1992;27(9):793-798. https://doi.org/10.3109/00365529209011186
- Kalla R, Kennedy NA, Ventham NT, et al. Serum calprotectin: a novel diagnostic and prognostic marker in inflammatory bowel diseases. Am J Gastroenterol. 2016;111(12):1796-1805. https://doi.org/10.1038/ajg.2016.342
- Kapel N, Ouni H, Benahmed NA, Barbot-Trystram L. Fecal calprotectin for the diagnosis and management of inflammatory bowel diseases. Clin Transl Gastroenterol. 2023;14(9):e00617. https://doi.org/10.14309/ctg.0000000000000617
- Laserna-Mendieta EJ, Casabona-Francés S, Savarino EV, et al. Faecal calprotectin in inflammatory bowel diseases: a review focused on meta-analyses and routine usage limitations. Clin Chem Lab Med. 2019;57(9):1237-1247. https://doi.org/10.1515/cclm-2018-1063
- Roca M, Donat E, Rodríguez V, et al. Fecal calprotectin concentrations in healthy children aged 4–16 years. Sci Rep. 2020;10:658. https://doi.org/10.1038/s41598-020-77625-7
- Zeng J, Yu W, Gao X, et al. Establishing reference values for age-related fecal calprotectin in healthy children aged 0–4 years: a systematic review and meta-analysis. PeerJ. 2025;13:e19572. https://doi.org/10.7717/peerj.19572