Anämiediagnostik und Eisenstoffwechsel

Die Labordiagnostik ist ein zentrales Instrument zur Beurteilung von Anämien (Blutarmut) und Störungen im Eisenstoffwechsel (Eisenhaushalt). Sie ermöglicht die differenzierte Einschätzung des Eisenstatus, der Erythropoese (Bildung roter Blutkörperchen), der Hämoglobinsynthese (Bildung des roten Blutfarbstoffs) sowie hämatologischer, metabolischer und genetisch bedingter Ursachen einer Anämie.

Im Gegensatz zu bildgebenden Verfahren liefert die Labordiagnostik häufig frühzeitige und richtungsweisende Hinweise auf pathophysiologische Veränderungen und unterstützt somit die Differentialdiagnose, Therapieplanung und Verlaufskontrolle.

Das diagnostische Spektrum gliedert sich in die folgenden Hauptbereiche:

Speicher- und Transportparameter des Eisens

Marker der Erythropoese und Erythrozytenreifung

Erythrozytenindices und Zellmorphologie

  • Erythrozytenanzahl (Zahl der roten Blutkörperchen) – Basisparameter zur Quantifizierung der roten Blutkörperchen.
  • Erythrozytenverteilungsbreite (RDW) (Maß für Größenunterschiede roter Blutkörperchen) – Maß für die Größenvariabilität der Erythrozyten; erhöht bei Anisozytose.
  • Erythrozytenindices (MCV, MCH, MCHC)
    • MCV (mittleres Erythrozytenvolumen) – Mikrozytär bei Eisenmangel, makrozytär bei Vitamin-B12- oder Folsäuremangel.
    • MCH (mittleres Hämoglobin pro Erythrozyt) – Vermindert bei hypochromen Anämien.
    • MCHC (mittlere Hämoglobinkonzentration) – Hilfreich zur Abgrenzung hypochromer Anämien.

Hämoglobin- und Hämatokritwerte

  • Hämoglobin (Hb) (roter Blutfarbstoff) – Zentraler Marker der Anämiediagnostik, erniedrigt bei sämtlichen Anämieformen.
  • Hämatokrit (Hkt) (Anteil der festen Blutbestandteile) – Anteil der zellulären Bestandteile am Blutvolumen, korreliert mit Hämoglobingehalt.

Hämolysemarker und Bilirubinstoffwechsel

Differentialdiagnostische Spezialparameter

  • Homocystein (Stoffwechselzwischenprodukt) – Erhöht bei funktionellem Folsäure- oder Vitamin-B12-Mangel.
  • C-reaktives Protein (CRP) (Entzündungsmarker) – Entzündungsparameter; bei Erhöhung ist eine funktionelle Eisenverwertungsstörung (Anemia of Chronic Disease) möglich.
  • Interleukin-6 (IL-6) (entzündliches Botenmolekül) – Proinflammatorisches Zytokin, erhöht bei chronischer Entzündung mit konsekutivem Hepcidinanstieg.
  • Hydroxybutyrat-Dehydrogenase (HBDH) (spezifisches Enzym bei Zellzerfall) – Isoenzym der LDH, bei Hämolyse erhöht.
  • Hämoglobin-Elektrophorese – Nachweis von Hämoglobinopathien (z. B. Thalassämien, Sichelzellkrankheit), empfohlen bei mikrozytärer Anämie ohne Eisenmangel.

Übersichtstabelle: Eisenstoffwechsel – Anämiediagnostik

Parameter Funktion Diagnostische Bedeutung
Ferritin Eisenspeicher ↓ Eisenmangel, ↑ Entzündung, Hämochromatose
Transferrin Eisentransportprotein ↑ Eisenmangel, ↓ Entzündung
Transferrinsättigung (TfS) Anteil eisenbeladenes Transferrin ↓ Eisenmangel, ↑ Hämochromatose
Serumeisen Freies Eisen im Blut Stark tageszeitabhängig, unspezifisch
Löslicher Transferrinrezeptor (sTfR) Funktioneller Eisenmangelmarker ↑ Eisenmangel, keine Entzündungsbeeinflussung
Zinkprotoporphyrin (ZPP) Ersatz bei Eisenmangel in der Häm-Synthese ↑ Eisenmangel, Bleibelastung
Retikulozyten Unreife Erythrozyten ↑ Regeneration, ↓ bei aplastischer Anämie
Retikulozyten-Hämoglobin (CHr) Funktionelles Maß für Eisenverfügbarkeit ↓ bei funktionellem Eisenmangel
Erythropoetin Hormon der Erythropoese ↑ bei renaler Anämiekompensation, ↓ bei renaler Insuffizienz
Folsäure DNA-Synthese ↓ bei megaloblastärer Anämie
5-Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) Bioaktive Folatform ↓ bei gestörter Resorption oder Methylierungsdefekt
Vitamin B12 Zellteilung, Myelinsynthese ↓ bei makrozytärer Anämie, neurolog. Symptome
Methylmalonsäure (MMA) Funktioneller Marker für Vitamin-B12-Mangel ↑ bei intrazellulärem Cobalaminmangel
Erythrozytenanzahl Quantität der roten Blutkörperchen ↓ Anämie
RDW Größenverteilung der Erythrozyten ↑ bei Anisozytose, kombinierter Anämie
MCV Zellgröße ↓ mikrozytär, ↑ makrozytär
MCH Hämoglobingehalt pro Zelle ↓ bei hypochromer Anämie
MCHC Hämoglobinkonzentration pro Zelle ↓ bei hypochromer Anämie
Hämoglobin Sauerstofftransport ↓ bei Anämie
Hämatokrit Zellanteil im Blutvolumen ↓ bei Anämie
Haptoglobin Bindung freien Hämoglobins ↓ bei Hämolyse
LDH Zellzerfallmarker ↑ bei Hämolyse
Bilirubin (indirekt) Hämoglobinabbauprodukt ↑ bei Hämolyse
Coombs-Test (direkt) Autoimmunhämolyse-Nachweis Positiv bei immunhämolytischer Anämie
Homocystein Methionin-Stoffwechsel ↑ bei Folsäure- oder Vitamin-B12-Mangel
CRP Entzündungsmarker ↑ bei chronischer Entzündung, funktionellem Eisenmangel
Interleukin-6 Zytokin, reguliert Hepcidin ↑ bei Anemia of Chronic Disease
Hämoglobin-Elektrophorese Hämoglobintypisierung Nachweis von Hämoglobinopathien (z. B. Thalassämie, Sichelzellanämie)
HBDH Hämolyse-sensitives LDH-Isoenzym ↑ bei Hämolyse