Hebammenkreißsaal oder regulärer Kreißsaal: Unterschiede, Vorteile und Nachteile

In der modernen Geburtshilfe spielt die individuelle Betreuung während der Geburt eine zentrale Rolle. Neben dem klassischen, ärztlich geleiteten Kreißsaal hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland zunehmend ein neues Modell etabliert: der Hebammenkreißsaal. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff – und worin unterscheiden sich beide Betreuungsformen in Praxis, Sicherheit und Ergebnis?

Konzept des Hebammenkreißsaals

Der Begriff Hebammenkreißsaal bezeichnet ein klinisches Geburtshilfekonzept, bei dem gesunde, risikoarme Schwangere ihre Kinder unter alleiniger Verantwortung von Hebammen entbinden. Ärzte sind zwar im selben Haus verfügbar, werden aber nur bei Komplikationen oder auf Wunsch hinzugezogen.

Das Modell wurde aus Großbritannien und Skandinavien übernommen, wo sogenannte midwife-led units bereits seit den 1990er-Jahren etabliert sind. In Deutschland wird es zunehmend als „Hebammenkreißsaal“ bezeichnet und ist in zahlreichen Kliniken als eigene Einheit implementiert [1, 2].

Abgrenzung zu anderen Geburtsorten

Begriff Beschreibung Ärztliche Präsenz Zielgruppe
Hebammenkreißsaal Hebammengeleiteter Bereich innerhalb einer Klinik, mit direkter Anbindung an den ärztlichen Kreißsaal Ärzte nicht anwesend, aber bei Bedarf sofort verfügbar Gesunde Frauen mit risikoarmer Einlingsschwangerschaft in Schädellage
Regulärer Kreißsaal Konventioneller, ärztlich geleiteter Geburtsbereich mit Standard-Monitoring und Interventionsmöglichkeit Ärztlich permanent besetzt Alle Schwangeren, auch Risikogeburten
Geburtshaus/Hausgeburt Außerklinische Geburt unter alleiniger Hebammenbetreuung, ohne unmittelbare ärztliche Infrastruktur Kein Arzt vor Ort, Notfalltransfer erforderlich Nur für sehr risikoarme Schwangerschaften geeignet

Ziele des Hebammenkreißsaals

Das Modell verfolgt mehrere zentrale Ziele:

  • Stärkung der physiologischen Geburt: Förderung natürlicher Geburtsprozesse ohne routinemäßige medizinische Eingriffe
  • Reduktion von Interventionen: Weniger Periduralanästhesie (PDA), Wehenmittel, Saugglocke oder Kaiserschnitt
  • Kontinuität der Betreuung: Eine Hebamme begleitet die Schwangere durch alle Phasen der Geburt.
  • Sicherheit durch Nähe: Im Falle von Komplikationen erfolgt eine unmittelbare Überleitung in den regulären Kreißsaal, ohne Ortswechsel.

Unterschiede in Struktur und Betreuung

Aspekt Hebammenkreißsaal Regulärer Kreißsaal
Betreuung Eins-zu-eins-Hebammenbetreuung Wechselndes Team aus Hebammen und Ärzten
Interventionen Minimal-Intervention (keine Dauer-CTG-Pflicht, zurückhaltende PDA-Anwendung) Standardisiertes Monitoring, häufigere Interventionen
Atmosphäre Ruhiger, weniger technisiert Medizinisch-technisch geprägt
Komplikationsmanagement Verlegung bei Bedarf, Arzt sofort verfügbar Ärztliche Betreuung jederzeit
Geburtserlebnis Häufig positiveres Empfinden von Selbstbestimmung [3] Sicherheit durch permanente ärztliche Überwachung

Vorteile und mögliche Grenzen

Vorteile

  • Geringere Interventionsraten (z. B. weniger Kaiserschnitte, Episiotomien (Dammschnitte), Periduralanästhesie (PDA)) [1, 4, 5]
  • Vergleichbare Sicherheit für Mutter und Kind bei korrekter Indikationsstellung [2, 5]
  • Höhere Zufriedenheit und subjektiv positiveres Geburtserleben [3]
  • Einsparpotenzial durch weniger Eingriffe und kürzere Verweildauer

Mögliche Grenzen

  • Nur für risikoarme Schwangerschaften geeignet
  • Teilweise höhere Verlegungsraten (etwa 40-50 %) bei Wunsch nach Schmerzmitteln oder Auffälligkeiten [1, 2]
  • Einschränkung in der medikamentösen Analgesie
  • Zusätzlicher Organisationsaufwand für Kliniken (Ressourcen, Personalplanung)

Ärztlich-praktische Bewertung

Für das geburtshilfliche Team bietet der Hebammenkreißsaal:

  • Entlastung bei risikoarmen Geburten,
  • höhere Zufriedenheit der Gebärenden,
  • Förderung der natürlichen Geburt,
  • aber auch die Notwendigkeit klarer Kriterien und abgestimmter Kommunikationswege.

Damit dieses Konzept funktioniert, müssen Indikationsgrenzen eindeutig definiert sein, und die ärztliche Rückfallebene muss jederzeit verfügbar bleiben.

Fazit

Der Hebammenkreißsaal ist kein alternativer Geburtsort, sondern eine alternative Betreuungsform innerhalb der Klinik. Er bietet Frauen mit komplikationsloser Schwangerschaft die Möglichkeit zu einer selbstbestimmten, interventionsarmen Geburt – bei gleichzeitig hoher Sicherheit.

Für Ärzte stellt dieses Modell eine sinnvolle Ergänzung dar, um den physiologischen Geburtsverlauf zu fördern, Interventionsraten zu senken und die Patientinnenzufriedenheit zu erhöhen. Studien belegen, dass die mütterliche und neonatale Sicherheit bei korrekter Risikoselektion mit der des regulären Kreißsaals vergleichbar ist.

Literatur

  1. Merz W, Tascon-Padron L, Puth M-T et al.: Maternal and neonatal outcome of births planned in alongside midwifery units: a cohort study from a tertiary center in Germany. BMC Pregnancy Childbirth. 2020;20:267. doi: 10.1186/s12884-020-02962-4.
  2. Andraczek T, Magister S, Bautzmann S, Poppke S, Stepan H, Tauscher A: Birth in the Midwife-Led Delivery Room of a Perinatal Center – Learning Curve, Outcomes and Benchmark. Z Geburtshilfe Neonatol. 2023;227(5):364-376. doi: 10.1055/a-2082-2176.
  3. Murray-Davis B, Grenier LN, Li J, Malott AM, Mattison CA, Cameron C, Hutton EK, Darling EK: Comparing birth experiences and satisfaction with midwifery care before and after the implementation of Canada’s first Alongside Midwifery Unit (AMU). PLOS ONE. 2024;19(8):e0306916. doi: 10.1371/journal.pone.0306916.
  4. Landeszentrum Gesundheit NRW. Daten und Fakten zum hebammengeleiteten Kreißsaal. 2023. Online-PDF
  5. Sriram S et al.: Midwife-Led Versus Obstetrician-Led Perinatal Care for Low-Risk Women: A Comparative Study. J Clin Med. 2024;13(22):6629. doi: 10.3390/jcm13226629.