Ganzwirbelsäulenaufnahme
Die Ganzwirbelsäulenaufnahme stellt ein konventionelles Röntgenverfahren (Röntgenuntersuchung) zur vollständigen bildgebenden Darstellung der gesamten Wirbelsäule dar – von der Schädelbasis bis zum Sakrum (Kreuzbein). Sie dient vor allem der Beurteilung von Achsabweichungen (z. B. Skoliose [Seitverbiegung der Wirbelsäule]), posttraumatischen oder degenerativen Veränderungen sowie der präoperativen Planung bei Wirbelsäulenerkrankungen. Die Untersuchung kann in anterior-posteriorer (a.p. [von vorn nach hinten]) und lateraler Projektion (seitliche Aufnahme) im Stehen oder Liegen durchgeführt werden und ermöglicht eine Beurteilung der sagittalen und frontalen Wirbelsäulenbalance (Wirbelsäulenstatik von der Seite und von vorn).
Synonyme
- Röntgen-Ganzwirbelsäule
- Ganzwirbelsäulenröntgen
- Full-Spine-Radiographie
- Übersichtsaufnahme der gesamten Wirbelsäule
Beurteilbare Strukturen
- Wirbelkörper C1 bis Os sacrum (erster Halswirbel bis Kreuzbein)
- Bandscheibenräume (Zwischenräume der Bandscheiben)
- Dornfortsätze und Pedikel (hintere und seitliche Wirbelknochenfortsätze)
- Lumbosakraler Übergang (Übergang zwischen Lendenwirbelsäule und Kreuzbein)
- Beckenschaufeln und Oberschenkelköpfe (zur Bestimmung der Beckenkippung)
- Sagittale und frontale Wirbelsäulenachse (Seiten- und Vorderansicht der Wirbelsäule)
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Skoliose (inkl. Verlaufskontrolle nach Skoliosebehandlung)
- Kyphose (Rundrücken), Hyperlordose (übermäßiges Hohlkreuz)
- Beurteilung der sagittalen Balance (präoperativ/postoperativ)
- Morbus Scheuermann (Wachstumsstörung der Wirbelsäule im Jugendalter)
- Spondylolisthesis (Wirbelgleiten)
- Vertebrale Achsabweichungen infolge von Fehlbildungen oder Traumata (Verletzungen)
- Verlaufskontrolle nach Wirbelsäulenoperationen mit Implantaten
- Beurteilung von Systemerkrankungen mit axialer Beteiligung (z. B. ankylosierende Spondylitis [Morbus Bechterew])
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Schwangerschaft (relative Kontraindikation – Nutzen-Risiko-Abwägung erforderlich)
- Unzureichende Mobilität zur Positionierung bei stehender Aufnahme (ggf. alternative Lagerung)
Vor der Untersuchung
- Abklärung einer bestehenden Schwangerschaft
- Entfernen von Kleidung mit Metallbestandteilen im Aufnahmebereich
- Klärung der Lagerungsfähigkeit (Stehen oder Liegen)
- In einigen Fällen ist eine Bestimmung des Risser-Zeichens bei jugendlichen Patienten erwünscht (Reifebeurteilung des Beckenknochens)
Das Verfahren
- Durchführung: Die Ganzwirbelsäulenaufnahme erfolgt in der Regel in zwei Standardprojektionen – a.p. (anterior-posterior [von vorne nach hinten]) und seitlich (lateral). Dabei wird der Patient stehend gelagert, um die natürliche Belastung der Wirbelsäule und deren Statik unter physiologischen Bedingungen darzustellen.
- Technik: Moderne digitale Röntgensysteme nutzen Stitching-Techniken (Bildzusammensetzung), bei denen mehrere Teilaufnahmen digital zusammengesetzt werden, um Artefakte zu minimieren und eine vollständige Darstellung sicherzustellen.
- Positionierung: Arme angelegt oder in definierter Halteposition, Blick nach vorn, beide Beine gleichmäßig belastet.
- Strahlenschutz: Gonadenschutz (Schutz der Keimdrüsen) bei Männern und gegebenenfalls Schilddrüsenschutz bei Kindern, sofern keine diagnostische Beeinträchtigung resultiert.
Mögliche Befunde
- Skoliotische Verbiegungen mit Winkelmessung nach Cobb (Winkel zur Bestimmung des Skoliosegrads)
- Verlagerung des Lotzentrums (Plumb Line [senkrechte Referenzlinie zur Körperachse])
- Kyphose oder Lordosewinkel außerhalb des Normbereichs
- Hinweise auf Spondylolyse (Wirbelbogendefekt) oder Spondylolisthesis (Wirbelgleiten)
- Höhenminderung von Wirbelkörpern (z. B. bei osteoporotischer Fraktur [Bruch infolge Knochenschwund])
- Segmentale Instabilitäten (beweglichere Wirbelabschnitte als normal)
- Nachweis operativer Implantate und deren Stellung
- Asymmetrische Beckenlage (ungleiches Becken)
Nach der Untersuchung
- Die Bildauswertung erfolgt durch den Radiologen (Facharzt für bildgebende Diagnostik) unter Verwendung digitaler Messmethoden (z. B. Cobb-Winkel, sagittale Balanceparameter).
- Bei Verlaufskontrollen sollten identische Lagerungsbedingungen eingehalten werden, um Vergleichbarkeit zu gewährleisten.
- Je nach Befund kann eine weiterführende Bildgebung (z. B. Magnetresonanztomographie [MRT, Schnittbildverfahren ohne Strahlenbelastung], Computertomographie [CT, Röntgenschichtbild]) notwendig werden.