Beinachsenaufnahme (Ganzbeinaufnahme)

Die Beinachsenaufnahme (Röntgenaufnahme des gesamten Beins) – auch Ganzbeinaufnahme genannt – ist ein standardisiertes, konventionelles Röntgenverfahren zur bildgebenden Darstellung der gesamten unteren Extremität (Beinabschnitt von der Hüfte bis zum Fuß) in stehender Position. Sie dient der Achsvermessung von Hüfte, Knie und Sprunggelenk in einer Ebene und ist essenzieller Bestandteil der präoperativen Planung bei gelenkerhaltenden oder gelenkersetzenden Eingriffen. Durch die Ganzbeinaufnahme lässt sich die mechanische Beinachse bestimmen und pathologische Abweichungen wie Varus- oder Valgusfehlstellungen (O-Bein- bzw. X-Bein-Fehlstellungen) exakt quantifizieren.

Synonyme

  • Ganzbeinstandaufnahme
  • Beinachsenvermessung im Stand
  • Ganzbeinaufnahme unter Belastung
  • Full-length leg radiograph

Beurteilbare Strukturen

  • Hüftgelenk (Gelenk zwischen Oberschenkelknochen und Becken)
    • Beurteilung der Gelenkzentren zur Achsbestimmung
  • Femur (Oberschenkelknochen)
    • Achsverlauf, Längenverhältnisse, Rotation
  • Kniegelenk (Gelenk zwischen Oberschenkel und Schienbein)
    • Stellung (Varus, Valgus), Gelenkspaltweite
  • Tibia (Schienbein)
    • Longitudinalverlauf, tibiale Gelenkfläche
  • Sprunggelenk (Gelenk zwischen Schienbein und Fuß)
    • Stellung des Talus (Sprungbein), Referenzpunkt für die mechanische Achse
  • Mechanische Beinachse (Belastungslinie des Beins)
    • Verbindungslinie zwischen Hüftkopfzentrum und Sprunggelenksmitte
  • Anatomische Beinachse (Verlauf entlang der Knochenschäfte)
    • Bezug zur Schaftachse von Femur und Tibia

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Präoperative Planung bei Beinachsenkorrekturen (Operationsplanung bei Beinfehlstellungen)
    • z. B. valgische oder varische Umstellungsosteotomie (chirurgische Korrektur von X- oder O-Beinen)
  • Endoprothetische Versorgung (Einsetzen eines künstlichen Gelenks)
    • z. B. Knie- oder Hüftgelenksendoprothese
  • Verlaufskontrolle nach operativen Eingriffen (Bildgebung zur Nachsorge)
    • Beurteilung der postoperativen Achsverhältnisse
  • Differenzierung von Beinlängendifferenzen (Unterschiede in der Beinlänge)
    • funktionell versus strukturell bedingte Unterschiede
  • Diagnostik bei Gonarthrose oder Coxarthrose (Abnutzung im Knie- oder Hüftgelenk)
    • Feststellung belastungsinduzierter Achsabweichungen
  • Planung bei kindlichen Wachstumsstörungen (Entwicklungsbedingte Achsabweichungen im Kindesalter)
    • z. B. Epiphysenfugenstörungen (Wachstumsfugenprobleme), Beinfehlstellungen

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Schwangerschaft (relative Kontraindikation, bei zwingender Indikation mit Bleischürze und nach Rücksprache)
  • Unfähigkeit, einige Sekunden sicher aufrecht zu stehen
  • Akute Schmerzsymptomatik mit Belastungsunfähigkeit

Vor der Untersuchung

  • Entfernung störender metallischer Gegenstände im Bereich der unteren Extremität
  • Aufklärung über die geringe Strahlenexposition und den Ablauf der Untersuchung
  • Information zur Notwendigkeit des aufrechten Stehens während der Aufnahme

Das Verfahren

  • Technik: Stehende Röntgenaufnahme der gesamten unteren Extremitäten in a.-p.-Projektion (von vorn nach hinten), häufig mit Zusatzfiltern für gleichmäßige Belichtung
  • Positionierung: Der Patient steht barfuß mit gestreckten Knien auf einer Podestplattform, die Patellae (Kniescheiben) zeigen exakt nach vorn
  • Strahlenquelle: Zentralstrahl auf Höhe der Kniegelenke, Detektorgröße ≥ 35 × 120 cm (digitale Aufnahmetechnik oder Zusammensetzung mehrerer Einzelbilder)
  • Messpunkte: Markierung des Hüftkopfmittelpunktes, der Mitte des Kniegelenkspalts und des oberen Talus zur Bestimmung der mechanischen Achse
  • Belastung: Beide Beine werden unter Eigengewicht belastet (physiologische Statik)

Mögliche Befunde

  • Normale mechanische Achse: Gerade Linie durch Hüftkopfzentrum, interkondylären Punkt des Knies und Sprunggelenkszentrum
  • Varusfehlstellung: Mediale Abweichung der mechanischen Achse (O-Bein)
  • Valgusfehlstellung: Laterale Abweichung der mechanischen Achse (X-Bein)
  • Beinlängendifferenz: Differenzierte Analyse durch seitengleiche Aufnahme
  • Rotationsfehler: Erkennbar anhand der Überlagerung von Patella und Femurkondylen
  • Fehlpositionierung von Implantaten (Fehllage eines künstlichen Gelenks oder einer Platte): z. B. nach endoprothetischen Eingriffen
  • Gelenkasymmetrie oder Dislokationen (Verschiebung von Gelenken): z. B. nach Trauma (Verletzung)

Nach der Untersuchung

  • Überprüfung der Bildqualität auf vollständige Abbildung beider Extremitäten
  • Bildauswertung durch Radiologen (Fachärzte für Bildgebung) oder Orthopäden mit digitaler Achsvermessung
  • In der Regel keine Nachbeobachtung erforderlich

Mögliche Komplikationen

  • Keine direkten Komplikationen des Verfahrens
  • Bei längerem Stehen bei geschwächten Patienten mögliche Kreislaufprobleme (selten)

Vergleich mit anderen Verfahren

Methode Technik Vorteile Nachteile
Beinachsenaufnahme Konventionelles Röntgen unter Belastung, Ganzbeinaufnahme im Stand Belastungssituation realitätsnah, Achsvermessung über gesamtes Bein möglich Nur zweidimensional, keine Weichteilbeurteilung
EOS-System Biplanare Niedrigdosis-Röntgentechnik mit 3D-Rekonstruktion im Stand Geringe Strahlenbelastung, 3D-Auswertung, präzise Achsanalyse Hohe Geräteanschaffungskosten, nicht flächendeckend verfügbar
CT mit 3D-Rekonstruktion Computertomographische Auswertung mit Achsberechnung Hohe Präzision bei Knochendetails, 3D-Möglichkeit Keine Belastungssituation, hohe Strahlenbelastung, teuer
MRT-Beinachsenvermessung Magnetresonanztomographie (MRT) unter Lagerung, nicht unter Belastung Keine Strahlenbelastung, Weichteildiagnostik möglich Kein Standbild unter Belastung, teuer, nicht primär für Achsvermessung geeignet

Fazit

Die Beinachsenaufnahme ist das etablierte Standardverfahren zur Achsanalyse der unteren Extremität im klinischen Alltag. Ihre einfache Durchführung, die Möglichkeit der Belastungsdarstellung sowie die gute Verfügbarkeit machen sie zur zentralen Bildgebung in der orthopädischen Diagnostik und Operationsplanung. Moderne Alternativen wie das EOS-System erweitern die diagnostische Präzision, sind jedoch noch nicht flächendeckend etabliert.