Kohlenhydrate, Fette und Proteine (Eiweiß) in der Schwangerschaft: Wie hoch ist der zusätzliche Bedarf?
Die Ernährung in der Schwangerschaft ist entscheidend für die Gesundheit von Mutter und Kind. Neben einem moderaten Energie-Mehrbedarf ab dem 2. Trimenon spielt die Zusammensetzung der Makronährstoffe (Hauptnährstoffe) eine zentrale Rolle. Kohlenhydrate, Fette und Proteine (Eiweiß) tragen in unterschiedlicher Weise zur Deckung des erhöhten Bedarfs bei und sichern die optimale fetale Entwicklung.
Kohlenhydrate – Hauptenergielieferanten
Glucose ist die wichtigste Energiequelle des Feten und deckt etwa 90 % seines Bedarfs. Der mütterliche Stoffwechsel passt sich entsprechend an, um eine kontinuierliche Versorgung sicherzustellen.
- Empfohlener Anteil: 55-60 % der täglichen Energiezufuhr [1]
- Bedeutung: Eine adäquate Kohlenhydratzufuhr verhindert die Gluconeogenese (Glucoseneubildung) aus Aminosäuren und damit den Abbau von Muskelgewebe der Mutter.
- Klinische Relevanz: Bereits leichte Hungerzustände – etwa durch das Auslassen des Frühstücks – können zu maternaler Hypoglykämie (Unterzuckerung) und Unwohlsein führen.
Empfehlung: bevorzugt komplexe Kohlenhydrate (Vollkornbrot, Vollkornkekse, Getreideflocken, Kartoffeln, Hülsenfrüchte). Sie sorgen für eine gleichmäßige Glucosefreisetzung, beugen Heißhunger vor und stabilisieren den Stoffwechsel.
Fette – Qualität vor Quantität
Im Gegensatz zu Kohlenhydraten sollte die Fettzufuhr in der Schwangerschaft bewusst eingeschränkt und qualitativ optimiert werden.
- Empfohlener Anteil: 25-30 % der täglichen Energiezufuhr, entspricht etwa 70 g pro Tag
- Ist-Situation: In Deutschland beträgt der mittlere Fettanteil rund 40 %.
- Physiologie: Cholesterin- und Triglyzeridspiegel sind in der Schwangerschaft natürlicherweise erhöht.
Qualitative Empfehlungen:
- Reduktion tierischer Fette zugunsten pflanzlicher Fette mit ungesättigten Fettsäuren
- Ideale Verteilung: je ein Drittel gesättigte, einfach ungesättigte und mehrfach ungesättigte Fettsäuren
Essentielle Fettsäuren:
Besonders relevant sind mehrfach ungesättigte Fettsäuren:
- Omega-6-Fettsäuren (Linolsäure, γ-Linolensäure): enthalten in Distel-, Soja-, Sonnenblumen- und Maiskeimöl
- Omega-3-Fettsäuren (α-Linolensäure, EPA, DHA): vorkommend in Leinöl und fettreichen Meeresfischen
Funktionelle Bedeutung:
- Aufbau von Zellmembranen
- Synthese von Blutlipiden
- Produktion hormonähnlicher Botenstoffe (Prostaglandine)
- Entwicklung von Gehirn, zentralem Nervensystem und Retina [2]
Omega-3-Fettsäuren (EPA, DHA):
Diese sind besonders bedeutsam für den rasch heranwachsenden Organismus. Während der Stillzeit werden sie über die Muttermilch weitergegeben, weshalb eine kontinuierliche maternale Zufuhr essentiell bleibt.
Versorgungssituation:
Die tägliche Zufuhr von ca. 1 g Linolsäure wird in der üblichen deutschen Ernährung oft nicht erreicht. Daher sollten pflanzliche Öle regelmäßig verwendet werden.
Praktische Empfehlungen:
- 1-2 Fischmahlzeiten pro Woche, bevorzugt Hering, Makrele, Lachs, Sardelle, Atlantikstör, Steinbutt oder Schwertfisch. Diese enthalten wertvolle einfach und mehrfach ungesättigte Fettsäuren.
- Süßwasserfische liefern dagegen vor allem gesättigte Fettsäuren und sind weniger geeignet.
- Auf Räucherfisch und stark gesalzene Produkte (z. B. Salzheringe) sollte in der Schwangerschaft verzichtet werden.
Proteine – Baustoff für Wachstum und Entwicklung
Proteine sind für das Wachstum des Feten, der Plazenta sowie für maternales Gewebe essentiell. Eine Speicherung für die Stillzeit ist nicht möglich, weshalb die tägliche Zufuhr kontinuierlich gesichert sein muss.
- Empfohlene Zufuhr:
- bis 6. Monat: 0,9 g/kg Körpergewicht/Tag
- ab 6. Monat: 1,5 g/kg Körpergewicht/Tag
Qualitative Aspekte:
- 1/3 tierische Quellen: fettarme Milch und Milchprodukte, Eier
- 2/3 pflanzliche Quellen: Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Getreide
- Durch Kombinationen wie Kartoffeln + Ei, Kartoffeln + Quark oder Hülsenfrüchte + Getreideprodukte wird die biologische Wertigkeit erhöht.
Zusatznutzen: Milch und Milchprodukte liefern neben hochwertigem Eiweiß auch Calcium (0,5 Liter Milch ≈ 600 mg Calcium), das für die fetale Knochenmineralisierung unverzichtbar ist.
Kartoffeln – mehr als nur Kohlenhydrate
Die Kartoffel ist ein hochwertiges Grundnahrungsmittel mit vielfältigen Nährstoffen:
- Kohlenhydrate als Energielieferant
- Proteine in moderatem Anteil
- Vitamine (C, B1)
- Mineralstoffe (Kalium, Phosphor)
- Spurenelemente (Fluor, Kupfer, Zink)
- Ballaststoffe, die in der Schwangerschaft für eine geregelte Verdauung wichtig sind.
Grundregeln für die Ernährung in der Schwangerschaft
- Schwangere sollten weder hungern noch dursten.
- Eine abwechslungsreiche, hochwertige Ernährung mit regelmäßig verteilten Mahlzeiten ist essentiell.
- Die Qualität der Makronährstoffe ist mindestens so wichtig wie die Menge.
Fazit
Die Zusammensetzung der Makronährstoffe ist in der Schwangerschaft entscheidend:
- Kohlenhydrate: 55-60 % der Energiezufuhr, vorzugsweise komplexe Quellen
- Fette: 25-30 % der Energiezufuhr, mit Fokus auf essentielle mehrfach ungesättigte Fettsäuren (EPA, DHA)
- Eiweiß: 0,9-1,5 g/kg KG/Tag, durch Kombination pflanzlicher und tierischer Quellen
Diese ausgewogene Makronährstoffversorgung trägt wesentlich zur gesunden Entwicklung von Mutter und Kind bei.
Literatur
- Butte NF, King JC. Energy requirements during pregnancy and lactation. Public Health Nutr. 2005;8(7A):1010-27. doi: 10.1079/PHN2005793.
- Middleton P, Gomersall JC, Gould JF, Shepherd E, Olsen SF, Makrides M. Omega-3 fatty acid addition during pregnancy. Cochrane Database Syst Rev. 2018;2018(11):CD003402. doi: 10.1002/14651858.CD003402.pub3.