Nuklearmedizin: Verfahren und Anwendungsgebiete
Die Nuklearmedizin ist ein eigenständiges Fachgebiet der bildgebenden Diagnostik und Therapie, das radioaktive Substanzen (radioaktive Medikamente) zur Darstellung physiologischer und pathologischer Stoffwechselvorgänge (Körperfunktionen und Krankheitsprozesse) sowie zur gezielten Behandlung bestimmter Erkrankungen nutzt. Im Gegensatz zu rein morphologischen Verfahren wie der Magnetresonanztomographie (Kernspintomographie) oder der Computertomographie (computergestützte Röntgenschichtaufnahme) fokussiert sich die nuklearmedizinische Diagnostik auf funktionelle Prozesse im Körper. Die bildgebenden Verfahren werden häufig mit strukturellen Bildgebungen kombiniert, um eine anatomisch-funktionelle Korrelation (Verknüpfung von Struktur und Funktion) zu ermöglichen.
Wichtige Verfahren der Nuklearmedizin
Die folgenden nuklearmedizinischen Verfahren bilden die Grundlage der diagnostischen und therapeutischen Anwendungen:
- Szintigraphie
Planare Ganzkörper- oder Organdurchleuchtung mit einer Gammakamera (Spezialkamera zur Messung radioaktiver Strahlung), z. B. Myokardszintigraphie (Darstellung der Herzdurchblutung), Knochenszintigraphie (Darstellung des Knochenstoffwechsels), Nierenszintigraphie (Darstellung der Nierenfunktion). - Single-Photon-Emissions-Tomographie (Einzelphotonen-Emissions-Tomographie)
Schnittbildverfahren unter Verwendung von γ-strahlenden Radiotracern (radioaktiven Substanzen) wie Technetium-99m. Häufig in Kombination mit Computertomographie (SPECT/CT). - Positronen-Emissions-Tomographie (bildgebendes Verfahren mit Positronenstrahlung)
Darstellung von Stoffwechselaktivitäten mit β⁺-strahlenden Nukliden (radioaktiven Isotopen) wie 18F oder 68Ga. Anwendbar z. B. zur Tumor-, Hirn- oder Myokarddiagnostik (Krebs-, Gehirn- oder Herzuntersuchung). - PSMA-PET (Prostataspezifische Membranantigen-Positronen-Emissions-Tomographie)
Spezialisierte PET zur Visualisierung von PSMA-exprimierenden Prostatakarzinomzellen (Oberflächenmerkmale von Prostatakrebszellen). Tracer: 68Ga-PSMA-11 oder 18F-PSMA-1007. - PET/CT (Kombination aus Positronen-Emissions-Tomographie und Computertomographie)
Hybridverfahren zur Fusion funktioneller PET- mit struktureller CT-Bildgebung (Darstellung von Funktion und Anatomie in einem Bild).
Ferner kommen folgende Verfahren zur Anwendung, die in der Basisdiagnostik der Nuklearmedizin ebenfalls eine wichtige Rolle einnehmen:
- SPECT/MRT (Kombination aus Einzelphotonen-Emissions-Tomographie und Magnetresonanztomographie)
Insbesondere in der neurologischen Diagnostik und Epilepsieabklärung. - PET/MRT (Kombination aus Positronen-Emissions-Tomographie und Magnetresonanztomographie)
Hybridbildgebung mit exzellenter Weichteilauflösung (hohe Darstellungsqualität von inneren Organen), insbesondere bei neurodegenerativen Erkrankungen, onkologischen Fragestellungen des kleinen Beckens und pädiatrischen Indikationen (Anwendungen bei Kindern). - Theragnostik (kombinierte Diagnose- und Therapieverfahren)
Kombinierte Anwendung diagnostischer und therapeutischer Radiopharmaka (radioaktiver Medikamente), z. B. 68Ga-DOTATATE für Diagnostik und 177Lu-DOTATATE zur Therapie bei neuroendokrinen Tumoren. - Radiojodtherapie (Behandlung mit radioaktivem Jod)
Spezifische nuklearmedizinische Therapie mit 131I bei benignen Schilddrüsenerkrankungen (gutartigen Erkrankungen der Schilddrüse) sowie bei differenzierten Schilddrüsenkarzinomen (bestimmten Formen von Schilddrüsenkrebs). - Radionuklidtherapie mit Lutetium-177 (Behandlung mit radioaktiven Lutetium-Isotopen)
Zielgerichtete Behandlung von Prostatakarzinomen (Prostatakrebs) bzw. neuroendokrinen Tumoren mit β-Strahlern (radioaktive Partikel). - Sentinel-Lymphknoten-Szintigraphie (Darstellung des Wächterlymphknotens)
Präoperative Darstellung des ersten drainierenden Lymphknotens bei Mammakarzinom (Brustkrebs), Melanom (schwarzem Hautkrebs) oder Prostatakarzinom zur Beurteilung der nodalen Metastasierung (Ausbreitung auf Lymphknoten). - Ventilations-/Perfusionsszintigraphie (Lungenfunktionsszintigraphie)
Diagnostik der Lungenembolie oder präoperative pulmonale Funktionszuweisung (Zuweisung der Lungenfunktion vor Operation). - Leukozytenszintigraphie (Entzündungsszintigraphie mit markierten weißen Blutkörperchen)
Detektion von Entzündungs- oder Infektionsherden, z. B. bei Fieber unklarer Genese oder Verdacht auf Endoprotheseninfektion (infizierter Gelenkersatz). - Myokard-PET (Herz-PET)
Erfassung der Myokardperfusion und -vitalität (Durchblutung und Lebensfähigkeit des Herzmuskels) mittels 13N-Ammoniak oder 82Rubidium. Höherer diagnostischer Wert als Myokardszintigraphie bei komplexen Fällen.
Anwendungsgebiete der Nuklearmedizin
Die nuklearmedizinischen Verfahren kommen in einer Vielzahl klinischer Kontexte zum Einsatz. Die wichtigsten Anwendungsgebiete lassen sich folgenden Fachbereichen zuordnen:
- Onkologie
- Tumor-Screening und Primärdiagnostik (Erstuntersuchung)
- Staging und Restaging (Ausbreitungsdiagnostik und Wiederauftreten)
- Therapieansprechen und Rezidivkontrolle (Wirksamkeit und Rückfall)
- Radioligandentherapie (gezielte Strahlentherapie mit Radiopharmaka)
- Endokrinologie
- Diagnostik und Therapie bei Schilddrüsenerkrankungen
- Nebenschilddrüsenszintigraphie (Darstellung hormonaktiver Nebenschilddrüsen)
- Diagnostik bei Nebennierentumoren (hormonaktive Tumoren)
- Kardiologie
- Myokardperfusionsszintigraphie (Herzdurchblutungsuntersuchung)
- Myokardvitalitätsdiagnostik (Lebensfähigkeit des Herzmuskels)
- Ventrikelfunktionsanalyse (Pumpfunktion des Herzens)
- Neurologie
- Frühdiagnostik neurodegenerativer Erkrankungen (z. B. Parkinson-Syndrome, Alzheimer-Krankheit)
- Epilepsiediagnostik (Lokalisation der Anfallsherde)
- Hirntumordiagnostik und -rezidivbeurteilung
- Pulmologie
- Diagnostik der Lungenembolie
- Funktionelle Lungendiagnostik präoperativ
- Rheumatologie und Orthopädie
- Entzündungs- und Infektionsdiagnostik (z. B. bei Endoprothesenlockerung)
- Skelettszintigraphie bei Tumoren, Frakturen oder Osteomyelitis (Knochenentzündung)
- Urologie
- PSMA-PET zur Primär- und Rezidivdiagnostik bei Prostatakarzinom
- Sentinel-Lymphknoten-Diagnostik (Wächterlymphknotendarstellung)
- Nierenszintigraphie zur Funktionsanalyse
Die Nuklearmedizin stellt damit ein unverzichtbares Instrumentarium zur funktionellen Bildgebung, zielgerichteten Diagnostik und personalisierten Therapie dar. Die kontinuierliche Entwicklung neuer Radiotracer und Hybridverfahren wird die klinische Relevanz der nuklearmedizinischen Verfahren in den kommenden Jahren weiter erhöhen.
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