Knirscherschiene

Bei einer Knirscherschiene handelt es sich um eine in der zahnärztlichen Praxis therapeutisch eingesetzte Aufbissschiene. Sie dient zum einen der Harmonisierung des Zusammenspiels von Kiefergelenken und Kaumuskulatur, zum anderen soll sie während der Tragezeit unphysiologische Zahnkontakte in Form von Reiben und Pressen und die daraus resultierenden Schäden an Zahnhartsubstanz, Zahnhalteapparat, Kiefergelenken und Muskulatur verhindern.

Zähneknirschen und Zähnepressen (Bruxismus) sind sogenannte Parafunktionen (Nebenfunktionen neben der eigentlichen Kaufunktion), bei denen Kräfte auf die beteiligten Strukturen einwirken, die wesentlich stärker sind als beim eigentlichen Kauvorgang und die auch deutlich länger andauern. Sie können durch Vorkontakte (vorzeitige Kontakte eines Zahnes oder einer Zahngruppe) entstehen; sehr oft handelt es sich allerdings um fehlerhafte Verhaltensweisen, die der Patient unbewusst als Reaktion auf Belastungen und Stress entwickelt. Verschärft sich die Lebenssituation, kann das bis dahin nicht von Schmerzen begleitete Pressen und Knirschen zu akuten Schmerzphasen im Bereich der Kiefergelenksstrukturen, der Kaumuskulatur oder der Zähne führen.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Das Behandlungskonzept mit einer Knirscherschiene besteht darin, den Unterkiefer aus seiner Verzahnung mit dem Oberkiefer zu befreien und ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, sich losgelöst von den Vorgaben durch das Relief der Gegenzähne in einer Lage einzustellen, die aus einer entspannten Muskel- und Kiefergelenkssituation resultiert. Eventuell vorhandene Vorkontakte (vorzeitige Kontakte eines Zahnes oder einer Zahngruppe) werden so während der Tragezeit der Schiene umgangen. Außerdem ist die Irritation der unbewussten automatisierten Bewegungsabläufe durch die Schiene ein erwünschter Effekt. Eine Knirscherschiene wird also angewendet

  • zur Harmonisierung der Zahn-, Muskel- und Gelenksfunktionen
  • zum Lösen der unbewussten Automatismen
  • zur Reduktion der Parafunktionen Knirschen und Pressen
  • zur Aufhebung von Störfaktoren der statischen und dynamischen Okklusion (Zahnkontakte zwischen Ober- und Unterkiefer in Ruhe bzw. in Bewegung) und
  • zum Schutz der Zahnhartsubstanzen vor weiterer Attrition (Substanzverlust durch reflektorisches Berühren der Zähne) und Abrasion (Substanzverlust durch Reibung).

Das Verfahren

Die Therapie des Bruxismus mit einer Knirscherschiene sollte in ein interdisziplinäres Konzept eingebunden sein wie beispielsweise:

  • Physiotherapie, Wärme- und Kältebehandlung, manuelle Therapie und Massage zur Reduktion von Muskelverspannung und schmerzhaften Muskelknötchen
  • Orthopädie bei Beteiligung der Wirbelsäulenstrukturen
  • Psychotherapie bei psychischer Komorbidität wie z. B. Depressionen oder psychosoziale Belastungssituationen u. a.
  • Stressbewältigungstraining
  • Entspannungstechniken wie Autogenes Training, Yoga, progressive Muskelrelaxation u. a.

Arbeitsschritte in der zahnärztlichen Praxis:

  • Aufklärung des Patienten über Entstehung und Wirkungsweise von Parafunktionen: Anleitung zur Selbstbeobachtung ist wichtig
  • Aufklärung des Patienten hinsichtlich der täglichen Tragezeit (zu Beginn nachmittags und nachts)
  • Aufklärung bezüglich der der voraussichtlichen Dauer der Schienentherapie
  • Abformung beider Kiefer
  • zentrische Bissnahme, sofern in der verspannten Ausgangssituation möglich
  • Gesichtsbogenanlage (dient der Übertragung von patientenspezifischen Schädelpunkten ins zahntechnische Labor)

Arbeitsschritte im zahntechnischen Labor:

  • Modellherstellung von Ober- und Unterkiefer
  • Übertragen der Modelle in einen Artikulator (Gerät zur Nachahmung der patientenspezifischen Unterkieferbewegungen) entsprechend den Einstellungen des Gesichtsbogens
  • Anfertigen der Knirscherschiene in der Regel für den Oberkiefer aus transparentem hartem Kunststoff nach spezifischen Konstruktionsvorgaben

Arbeitsschritte in der zahnärztlichen Praxis:

  • Einsetzen und Anpassen der Schiene am Patienten; schaukelfreier Sitz, mit etwas Spannung fest anliegend
  • Kontrolle der Okklusionskontakte mit dem Unterkiefer: gleichmäßig im Seitenzahnbereich beidseits, d. h. keine Vorkontakte in statischer und dynamischer Okklusion; der Unterkiefer darf nicht in eine Zwangsbisslage geraten, sondern muss muskulär entspannt geführt werden können
  • Erster Kontrolltermin nach spätestens einer Woche, bei akuten Schmerzen auch früher
  • regelmäßige Kontrollen, idealerweise zeitnah zu den physiotherapeutischen Terminen, um notwendige Schienenkorrekturen in der Phase muskulärer Entspannung vornehmen zu können

Die Behandlung mit einer Schiene ist reversibel (umkehrbar); sollte sie Erfolg zeigen, können sich irreversible zahnärztliche Maßnahmen anschließen:

  • Einschleifen von Störungen in der statischen und dynamischen Okklusion
  • kieferorthopädische Behandlung
  • Rekonstruktion von einzelnen Zähnen oder Zahngruppen unterschiedlichen Ausmaßes

Literatur

  1. Terminologie der DGFDT (Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und Therapie) und der DGzPW (Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde); Wissenschaftliche Stellungnahme der DGZMK (Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde) 09/2005
  2. Zur Therapie der funktionellen Erkrankungen des kraniomandibulären Systems; Wissenschaftliche Stellungnahme der DGZMK (Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde) 10/2005
  3. Zähneknirschen und Zähnepressen – wie wirken sich solche Gewohnheiten auf unsere Gesundheit aus? Wissenschaftliche Stellungnahme der DGZMK (Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde) 06/1999
  4. Memorix Zahnmedizin; Weber, Th.; Thieme Verlag 2010