Reisemedizinische Beratung

Die reisemedizinische Beratung (durch einen Arzt) ist eine strukturierte Präventionsmaßnahme vor, während und nach Auslandsreisen. Sie identifiziert individuelle Gesundheitsrisiken, gleicht den Impfstatus ab, plant Expositions- und Chemoprophylaxen (Vorbeugemaßnahmen gegen Infektionen) und definiert Maßnahmen für Notfälle und Nachsorge [1-3].

Zeitpunkt der Beratung [1-3]:

  • Ideal 4-8 Wochen vor Abreise
  • Bei Langzeitaufenthalten, Expeditionen oder komplexen Vorerkrankungen früherer Beginn sinnvoll
  • Kurzfristige Beratungen fokussieren Prioritäten (Nachholimpfungen, Stand-by-Strategien, Expositionsschutz)

Anamnese und Risikoprofil

  • Vorerkrankungen u. a.: Allergien, Operationen, frühere Reiseerkrankungen, Schwangerschaft, Immunsuppression (Abwehrschwäche)
  • Reisedaten: Reiseziel, Reiseroute, Aufenthaltsdauer, Jahreszeit, Höhenprofil, Gesundheitsinfrastruktur (medizinische Versorgung), Evakuationsoptionen
  • Reiseart und Exposition: Rucksackreise, ländliche Regionen, Süßwasser-/Meerwasserkontakt, Tierkontakt, Outdoor-Aktivitäten, Nachtaktivität (Vektorzeiten)
  • Medikamente inkl. Wechselwirkungen und Kontraindikationen (Gegenanzeigen) geplanter Prophylaxen/Therapien (inkl. QT-Risiken, CYP-Interaktionen)
  • Impfdokumente, bisherige Impfreaktionen, Kontraindikationen zu Lebendimpfstoffen [1-3]

Impfstatus und reisemedizinische Impfungen

  • Routineimpfungen prüfen und vervollständigen (z. B. Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten), Masern, Polio (Kinderlähmung), Influenza (Grippe))
  • Reisespezifische Impfungen nach Destination, Exposition und Einreisebestimmungen (z. B. Gelbfieber, Hepatitis A/B, Typhus, Tollwut, Japanische Enzephalitis, Meningokokken je nach Risiko)
  • Dokumentation im internationalen Impfausweis; behördliche Nachweise (z. B. Gelbfieberzertifikat) beachten [1-3]

Chemoprophylaxen und Expositionsprophylaxe

  • Malariarisiko (Gefahr einer Tropenkrankheit) nach Region, Saison, Höhenlage, Reiseroute; Auswahl zwischen kontinuierlicher Chemoprophylaxe (Dauerschutz) und Stand-by-Medikation (Notfallmedikation) gemäß Risikostratifizierung und Komorbidität (Begleiterkrankung)
  • Expositionsschutz gegen Vektoren: Repellents (DEET ≥ 30 %, Icaridin 20 %), imprägnierte Kleidung (Permethrin), physikalischer Schutz (lange, helle Kleidung, Moskitonetze), Zimmerhygiene (Fliegengitter, Klimaanlage) [1-3]
  • Weitere Vektoren (Überträger) wie Zecken oder Sandmücken: habitat- und zeitbezogene Schutzmaßnahmen
  • Weiteres s. u. Malariaprophylaxe

Reiseapotheke und Arzneimittelmanagement

  • Grundausstattung: Analgetika (Schmerzmittel), Antidiarrhoika (Durchfallmittel) und orale Rehydratationslösung (Elektrolytlösung), Antiemetikum (Mittel gegen Übelkeit), Antihistaminikum (Allergiemittel), topisches Glukokortikoid (Kortisonsalbe), Antiseptika (Desinfektionsmittel), Verbandmaterial, Fieberthermometer, Insektenschutz, Sonnenschutz
  • Bedarfsmedikation nach Konstitution: z. B. Laxans (Abführmittel), Spasmolytikum (krampflösendes Mittel), Antivertiginosum (Mittel gegen Schwindel), ggf. Antibiotikum nach Risiko, Malariastand-by (Notfallmedikation), ggf. sterile Sets bei schlechter Versorgung
  • Lagerung/Transport: Handgepäck, Temperaturführung (typisch +8 bis +25 °C), Lichtschutz für photosensitive Präparate; Interaktionen und Haltbarkeiten prüfen [1]
  • Weiteres s. u. Reiseapotheke

Umwelt- und Klimarisiken

  • Hitze/Feuchte: schrittweise Akklimatisation (Anpassung), Trink-/Elektrolytstrategie (Salz-Wasser-Haushalt), Aktivitätsplanung, Hitzeschutz
  • Kälte/Feuchte/Wind: Mehrschichtprinzip (Zwiebelsystem), Haut- und Extremitätenschutz
  • Höhe: langsamer Aufstieg, Ruhetage, Symptommonitoring (Beobachtung von Beschwerden); ggf. präventives Acetazolamid (Mittel zur Höhenanpassung) nach Indikation
  • UV-Exposition: UV-Index, Kleidung/LSF, Augenschutz

Hygiene, Nahrungsmittel und Trinkwasser

  • Sichere Wasserquellen, ggf. Filtration/Desinfektion/UV-Aufbereitung; Eis vermeiden
  • „Cook it, peel it, or leave it“ (Koche es, schäle es oder lass es liegen); Street-Food-Risiken abwägen; Händehygiene (≥ 60 % Alkohol)
  • Frühzeitige Therapie bei Reisediarrhoe je nach Schweregrad (Rehydratation, ggf. medikamentös) [1-3]

Besondere Personengruppen

  • Kinder/Jugendliche: Impfkalender, altersgerechte Dosierungen, kindertaugliche Repellents
  • Schwangere/Stillende: strenge Risiko-Nutzen-Abwägung bei Impfungen/Prophylaxen, Malariagebiete möglichst meiden
  • Ältere/Reisende mit chronischen Erkrankungen (z. B. Herz-/Lungenerkrankungen, Diabetes mellitus, Nierenerkrankungen): Belastungstests, Medikamenten- und Geräteplanung, Hypoxietest (Sauerstofftest) bei Bedarf
  • Immunsupprimierte (Abwehrgeschwächte): Lebendimpfstoff-Kontraindikationen (Verbot bestimmter Impfungen), erweitertes Infektions- und Expositionsmanagement
  • Psychische Gesundheit: Schlaf-/Jetlag-Management, Angst- und Stressstrategien, Notfallkontakte [2, 3]

Rechtliches, Versicherung und Dokumente

  • Reisekrankenversicherung (Versicherung für Auslandsreisen) und Rücktransportversicherung, Kosten-/Evakuationsszenarien
  • Nachweise und Bescheinigungen: internationaler Impfausweis, Gelbfieberzertifikat (falls verlangt), ärztliches Attest zur Dauermedikation (englisch, Präparat/Dosis/Indikation), Originalverpackungen, ggf. Mengenbegrenzungen (z. B. 30-Tage-Bedarf)
  • Länderspezifische Einfuhrbestimmungen für Arzneimittel prüfen (z. B. Betäubungsmittel, Psychopharmaka) [1]

Rückkehr- und Notfallmanagement

  • Alarmzeichen nach Reise: Fieber, anhaltende Diarrhoe (Durchfall), Ikterus (Gelbsucht), Hautulzera (Geschwüre), respiratorische (Atem-) oder neurologische Symptome → zeitnahe Abklärung
  • Dokumentation von Expositionen, Impfereignissen und Zwischenfällen; Fortführung/Anpassung von Prophylaxen

Fazit

Die reisemedizinische Beratung bündelt Risikoanalyse, Impfvorsorge, Expositions-/Chemoprophylaxen, Reiseapotheke, Umwelt- und Hygienestrategien sowie rechtliche Aspekte. Sie ist zentral, um Krankheitsrisiken auf Reisen zu senken und Handlungsfähigkeit im Notfall zu sichern.

Siehe unsere Checklisten – Gesundheit, Sicherheit und Prävention auf Reisen

Literatur

  1. Terry AC, Haulman NJ. Travel medical kit. Med Clin North Am. 2016;100(2):261-277. doi:10.1016/j.mcna.2015.09.007
  2. Charan S, Prakash A, Medhi B. Travel medicine: a comprehensive guide to safe world travel. Indian J Pharmacol. 2023;55(6):351-355. doi:10.4103/ijp.ijp_532_23
  3. Ngiam JN, Ong MEH, Feng M et al. Artificial intelligence models for pre-travel consultation and risk assessment. J Travel Med. 2024;31(1):taad124. doi:10.1093/jtm/taad124