Orale Provokationstests

Bei oralen Provokationstests handelt es sich um diagnostische Verfahren, bei denen ein Verdacht auf eine allergische oder nicht-allergische Unverträglichkeitsreaktion überprüft wird, indem das potenzielle Allergen unter kontrollierten Bedingungen oral verabreicht wird. Orale Provokationstests gelten als Goldstandard in der Diagnostik von Nahrungsmittelallergien und Medikamentenunverträglichkeiten.

Die orale Provokation ermöglicht es, eine klinisch relevante Überempfindlichkeit objektiv zu bestätigen oder auszuschließen. Das Verfahren wird ausschließlich unter ärztlicher Überwachung und in speziell ausgestatteten Einrichtungen durchgeführt, da schwere Reaktionen bis hin zur Anaphylaxie auftreten können.

Das Verfahren

Benötigtes Material

  • Testsubstanz in definierter Dosierung (z. B. reines Nahrungsmittelallergen, Medikament)
  • Matrix zur oralen Applikation (z. B. Apfelmus, Kompott bei Nahrungsmitteltests)
  • Notfallmedikamente (Adrenalin, Antihistaminika, Kortikosteroide, Sauerstoff)
  • Standardisierte Dokumentationsbögen zur Symptomaufzeichnung

Vorbereitung des Patienten

  • Karenz des zu testenden Stoffes für mindestens 1–2 Wochen
  • Absetzen antiallergischer Medikation (z. B. Antihistaminika) mindestens 72 Stunden vorher
  • Stabiler klinischer Zustand (kein Infekt, keine akute Asthma-Exazerbation)
  • Aufklärung über Risiken und schriftliche Einwilligung
  • Nüchternheit oder leichte Mahlzeit je nach Testvorgabe

Störfaktoren

  • Einnahme von Medikamenten, die Reaktionen maskieren oder verstärken können (z. B. Antihistaminika, Betablocker)
  • Aktuelle Infektionen oder akute Grunderkrankungen
  • Schwangerschaft (relative Kontraindikation)
  • Psychogene Reaktionen (Nocebo-Effekte)

Normwerte

Für orale Provokationstests existieren keine numerischen Normwerte.
Die Bewertung erfolgt anhand:

  • Auftreten oder Ausbleiben klinischer Symptome
  • Erfassung der Reaktionsschwere und -latenz
  • Bedarf an Notfallmedikation

Indikationen

  • Verdacht auf Nahrungsmittelallergie (z. B. Milch, Ei, Nüsse, Weizen)
  • Verdacht auf Medikamentenunverträglichkeit (z. B. β-Laktam-Antibiotika, NSAR)
  • Überprüfung einer Toleranzentwicklung nach bekannter Allergie
  • Abklärung unklarer Reaktionen nach Lebensmittelaufnahme oder Medikamenteneinnahme
  • Vorbereitung auf spezifische Immuntherapien (z. B. orale Desensibilisierung)

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Akute schwere Erkrankungen (z. B. Infektionen, unkontrolliertes Asthma, instabile kardiovaskuläre Situation)
  • Anamnestisch bekannte schwere anaphylaktische Reaktionen auf den Teststoff
  • Schwangerschaft
  • Schwere psychiatrische Erkrankungen (z. B. schwere Angststörungen)
  • Einnahme von Betablockern oder ACE-Hemmern (wegen erschwerter Notfallbehandlung)

Interpretation

Interpretation positiver Testergebnisse

  • Sofortreaktionen (z. B. Urtikaria, Angioödem, Dyspnoe, gastrointestinaler Symptomenkomplex)
  • Spätreaktionen (z. B. Ekzeme, gastrointestinale Beschwerden nach Stunden)
  • Anaphylaktische Reaktionen je nach Schweregrad (I–IV nach Ring und Messmer)

Interpretation negativer Testergebnisse

  • Ausschluss einer klinisch relevanten Überempfindlichkeit
  • Ermöglichung der Wiedereinführung des getesteten Stoffes in die Ernährung oder Therapie

Besonderheiten

  • Doppelt-blind, placebo-kontrollierte Provokationstests bieten höchste Sicherheit, werden jedoch im klinischen Alltag oft durch offene Provokationen ersetzt.
  • Der Schweregrad der Reaktion bestimmt das weitere Vorgehen und die therapeutischen Konsequenzen.

Weitere Hinweise

  • Durchführung nur unter ärztlicher Aufsicht und in entsprechend ausgestatteten Einrichtungen
  • Notfallausrüstung muss jederzeit verfügbar sein
  • Nachbeobachtungszeit von mindestens 2 Stunden nach Testende erforderlich
  • Dokumentation aller Symptome, Vitalparameter und therapeutischer Maßnahmen ist zwingend notwendig
  • Alternative Diagnostikoptionen bei Kontraindikationen: spezifisches IgE, Basophilenaktivierungstest (BAT), Lymphozytentransformationstest (LTT)