Sanft geboren im Wasser – wie sicher ist eine Wassergeburt?
Die Wassergeburt ist eine Form der natürlichen Entbindung, bei der die Gebärende ihr Kind in einem Becken mit warmem Wasser zur Welt bringt. Bei korrekter Durchführung – unter Beachtung medizinischer Voraussetzungen und Kontraindikationen (Gegenanzeigen) – gilt sie als sichere Geburtsmethode mit potentiellen Vorteilen für Mutter und Kind [1-3].
Physiologische Grundlagen
Ein zentrales Sicherheitsmerkmal der Wassergeburt ist der Diving-Reflex (Tauchreflex). Dieser angeborene Schutzmechanismus verhindert, dass das Neugeborene unter Wasser einatmet. Erst wenn das Gesicht die Wasseroberfläche durchbricht, beginnt der erste Atemzug. Bis zu diesem Zeitpunkt versorgt die pulsierende Nabelschnur das Kind weiterhin mit Sauerstoff [2, 3].
Der Reflex schützt zusätzlich vor einer Aspiration (Einatmen) von eventuell verunreinigtem Badewasser, das während der Pressphase fäkal belastet sein kann.
Für die Mutter wirkt das warme Wasser entspannend, reduziert Schmerzen und senkt nachweislich den Bedarf an Schmerzmitteln. Außerdem wird die Durchblutung gefördert und das Risiko von Dammrissen oder Episiotomien (Dammschnitte) vermindert [1, 3].
Historische Entwicklung
Erste Beschreibungen von Wassergeburten stammen bereits aus dem frühen 19. Jahrhundert. 1805 wurde in Frankreich erstmals über eine Geburt in einer Badewanne berichtet.
In den 1970er-Jahren griff der Franzose Michel Odent das Konzept der Wassergeburt auf und etablierte sie in Europa; 1983 veröffentlichte er seine ersten Daten im Lancet (eine der ältesten und renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften der Welt).
Seither fand die Methode zunehmende Verbreitung, insbesondere in Kliniken mit Schwerpunkt auf natürlichen Geburtsformen. In der Schweiz und in Deutschland wurden Wassergeburten ab den 1980er-Jahren eingeführt. Heute ist das Verfahren in vielen Kliniken etabliert und gilt als Option für sogenannte Low-Risk-Geburten [1, 3, 5].
Voraussetzungen für eine Wassergeburt
Damit die Wassergeburt sicher durchgeführt werden kann, sind folgende Bedingungen wesentlich [1, 3, 4, 5]:
- Wunsch der Schwangeren nach einer Wassergeburt
- Niedrigrisikoschwangerschaft (Einlingsschwangerschaft, Schädellage, unauffälliges CTG (Wehenschreiber))
- Kontinuierliche Überwachung durch Hebamme und ggf. Telemetrie
- Wassertemperatur zwischen 36-38 °C
- Regelmäßige bakteriologische Kontrolle von Becken und Leitungswasser (Trinkwasserqualität, Legionellenfreiheit)
- Sofortige Eingriffsmöglichkeit bei Geburtskomplikationen
- Organisatorische Voraussetzungen für eine schnelle Entbindung außerhalb des Wassers bei Bedarf
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
Eine Wassergeburt sollte nicht durchgeführt werden bei [1, 3]:
- Frühgeburt (< 37. SSW)
- Beckenendlage (BEL) oder Mehrlingsschwangerschaft
- Makrosomie (> 4.500 g)
- Plazentainsuffizienz (Mutterkuchenschwäche) oder pathologische CTG-Befunde
- Akuter Infektion der Mutter (z. B. Hepatitis, HIV)
- Wunsch nach Periduralanästhesie (PDA)
- Geburtsstillstand oder Zeichen einer intrauterinen Asphyxie (Sauerstoffmangel des ungeborenen Kindes in der Gebärmutter)
Ablauf der Wassergeburt
Die Gebärende kann bereits während der Eröffnungsphase in die Wanne steigen, um die Entspannung und Schmerzlinderung zu nutzen. Die Bewegungsfreiheit erlaubt verschiedene Geburtspositionen – liegend, hockend, kniend oder im Vierfüßlerstand.
Nach der Geburt des Kopfes wird die spontane Drehung und Entwicklung des Körpers abgewartet. Der Kopf des Neugeborenen wird nach der Geburt meist innerhalb von 60 Sekunden über die Wasseroberfläche geführt, sodass der erste Atemzug erfolgt.
Die Nabelschnur wird in der Regel erst nach Sistieren der Pulsation durchtrennt. Die Plazenta kann im oder außerhalb der Wanne geboren werden [1, 3].
Ergebnisse aktueller Studien
Die aktuelle Evidenz zeigt, dass Wassergeburten bei sorgfältiger Patientinnenauswahl nicht mit höheren Risiken für Mutter oder Kind verbunden sind [1, 2, 5].
In einer großen US-amerikanischen Kohortenstudie zeigte sich:
- Keine Zunahme postpartaler Infektionen oder neonataler Komplikationen,
- geringerer Bedarf an Schmerzmitteln,
- niedrigere Rate an Perinealrissen Grad II-III,
- höhere Zufriedenheit der Gebärenden [1].
Auch in systematischen Übersichten wurde kein Anstieg schwerwiegender Komplikationen wie Aspiration, Blutverlust oder Asphyxie beobachtet [2, 5].
Risiken und Beobachtungen
Einige Studien berichten über eine leicht erhöhte Rate an Nabelschnurabrissen im Wasser, insbesondere bei sehr kurzer Nabelschnur. Diese Komplikationen verlaufen in der Regel ohne klinische Konsequenzen für das Kind [1].
Die Infektionsrate der Neugeborenen ist trotz mikrobiologischer Belastung des Badewassers vergleichbar mit jener bei Landgeburten [4, 5].
Aspirationen wurden in keiner der neueren Studien dokumentiert. Der Diving-Reflex schützt die Atemwege zuverlässig, solange keine intrauterine Hypoxie (Sauerstoffunterversorgung des Fötus im Mutterleib/Gebärmutter) besteht [2].
Fazit
Wassergeburten gelten nach heutiger Datenlage als sichere Alternative zur konventionellen Geburt, wenn sie bei Low-Risk-Schwangeren und unter strengen Hygienebedingungen erfolgen.
Vorteile:
- Natürlicher, sanfter Übergang für das Neugeborene
- Schmerzlinderung durch Wärme und Auftrieb
- Geringerer Analgetikaverbrauch
- Weniger perineale Traumata und höhere Zufriedenheit
Risiken:
- Selten Nabelschnurabrisse
- Potentiell höhere Rate milder Uterusinfektionen
- Erfordert erfahrenes Personal und einheitliche Sicherheitsstandards
Unter Beachtung dieser Voraussetzungen kann die Wassergeburt als empfehlenswerte Option für gesunde Schwangere angesehen werden, die eine natürliche Entbindung wünschen.
Literatur
- Sidebottom AC, Vacquier M, Simon K et al.: Maternal and Neonatal Outcomes in Hospital-Based Deliveries With Water Immersion. Obstet Gynecol. 2020;136(4):707-715. doi: 10.1097/AOG.0000000000003956.
- Cluett ER, Burns E, Cuthbert A: Immersion in water during labour and birth. Cochrane Database Syst Rev. 2018;(5):CD000111. doi: 10.1002/14651858.CD000111.pub4.
- Kolberg HC, Diedrich K: Die Wassergeburt – Eine sanfte und sichere Alternative zur Landgeburt. Der Gynäkologe. 2005;38:506-513. doi: 10.1007/s00129-005-1693-1.
- Hoyme UB, Hesse M. Aspekte des antiinfektiösen Managements. Frauenarzt. 2019;60:536-540.
- Dekker R: Evidence on Waterbirth – Evidence Based Birth. https://evidencebasedbirth.com/waterbirth/