Stillen nach der Geburt: Wie gelingt der Stillstart und was tun bei Stillproblemen?

Stillen ist Nähe, Ernährung und Trost zugleich. Muttermilch passt sich dem Baby an, schützt vor Infektionen und unterstützt die gesunde Entwicklung. Auch für Mütter hat Stillen Vorteile: schnellere Rückbildung, langfristig weniger Risiko für bestimmte Krebsarten und Typ-2-Diabetes [1]. Gleichzeitig gilt: Stillen ist ein Lernprozess – für Mutter und Kind. Mit Wissen, Ruhe und der richtigen Unterstützung klappt der Start in den meisten Fällen gut.

Die ersten Stunden: Was jetzt wirklich zählt

Haut-zu-Haut-Kontakt
Direkt nach der Geburt (wenn medizinisch alles stabil ist) das Baby nackt auf die nackte Brust legen. Dieser ungestörte Kontakt steigert Oxytocin, das Bindungshormon, beruhigt und fördert den Milchfluss. Viele Neugeborene starten dann einen instinktiven „Breast Crawl“ (zur Brust kriechen) und finden selbstständig zur Brust [2].

Frühes erstes Anlegen
Empfohlen wird, innerhalb der ersten Stunde erstmals anzulegen – so werden Saugreflex und Milchbildung optimal angeregt [2, 3]. Kolostrum („Vormilch“) kommt zunächst in Tropfen, ist aber besonders reich an Abwehrstoffen und vollkommen ausreichend.

Untersagte Routine – ungestörter Start
Wiegen, Messen, Anziehen möglichst verschieben, bis Baby und Brust sich „gefunden“ haben. Ununterbrochener Hautkontakt und Rooming-in erleichtern das häufige, bedarfsorientierte Stillen [3].

Tipp: In den ersten 24 Stunden gibt es oft kurze, wache Phasen und viel Schlaf. Jedes wache Zeichen („suchen“, „schmatzen“, Zunge zeigen) ist eine Einladung anzulegen – nicht auf die Uhr schauen.

So klappt das Anlegen – Schritt für Schritt

  1. Bequeme Position finden
    Seitenlage im Bett, Wiege- oder Kreuzwiegegriff, „Football-Haltung“ (unter dem Arm) – ausprobieren, was bequem ist. Kissen oder Handtuch unter Arm/Rücken entlasten.
  2. Warten, bis der Mund weit offen ist
    Baby dicht an den Körper holen, Nase auf Höhe der Brustwarze. Öffnet es den Mund weit, rasch zur Brust führen – nicht die Brust zur Baby-Lippe „ziehen“.
  3. Tiefe, schmerzfreie Anlegung prüfen
    Nicht nur die Spitze, sondern auch ein Stück des Warzenhofs sollte im Mund sein; Lippen leicht nach außen gestülpt, rhythmisches Saugen hör-/sichtbar. Schmerzen sind ein Warnsignal – dann Position korrigieren lassen.
  4. Brustkompression nutzen
    Sanft mit der Hand die Brust „mitgeben“, damit die Milch leichter fließt – das hält das Baby bei Laune.

Wie oft und wie lange stillen?

Nach Bedarf statt nach Uhrzeit
Neugeborene trinken im Schnitt 8-12-mal/24 h – manchmal häufiger, manchmal seltener. Vor allem abends kommt Clusterfeeding vor (mehrere kurze Stillmahlzeiten hintereinander). Das ist normal und steigert die Milchbildung [3].

Woran ist erkennbar, dass genug Milch ankommt?

  • Nasse Windeln: ab Tag 4 meist > 6/Tag
  • Stuhl: senf-gelb, weich (Kolostrum-Phase zunächst sehr variabel)
  • Zufriedenheit nach vielen Stillmahlzeiten, waches Trinken
  • Gewicht: anfänglicher Verlust bis ca. 7-10 % ist üblich; danach stetige Zunahme (Kinderarzt/Hebamme kontrollieren) [3]

Tipp: Ein Stilltagebuch (Zeiten, Dauer, Windeln, Stuhl, Besonderheiten) unterstützt die Einschätzung – vor allem in der ersten Woche.

Häufige Stillprobleme – und was wirklich hilft

Wunde oder rissige Brustwarzen

Meist ist der Latch zu flach, d. h., das Baby hat die Brust nicht tief genug im Mund. Lösung: Anlegetechnik korrigieren, Position wechseln, bei Bedarf kurz lösen (Finger sanft in den Mundwinkel) und neu anlegen. Einen Tropfen Muttermilch auf der Brustwarze antrocknen lassen, reine Lanolin-Salbe kann zusätzlich beruhigen. Wunde Stellen heilen in der Regel rasch, wenn das Anlegen stimmt [3].

Harte, gespannte Brust/Milchstau

Häufiges Anlegen bleibt die beste „Therapie“. Vor dem Stillen Wärme (duschen, warmes Tuch), sanfte Massage/Brustkompression, nach dem Stillen Kühlen. Ein enger BH oder Druckstellen (Träger, Liegen) vermeiden. Bei Fieber, Schüttelfrost oder starker Rötung an Mastitis (Brustdrüsenentzündung) denken und ärztlich abklären – Stillen möglichst fortsetzen [3].

Gefühl „zu wenig Milch“

Sehr verbreitet – oft ist die Milchmenge tatsächlich ausreichend. Hilft: häufiges, ungestörtes Stillen, Hautkontakt, ggf. nachts ein zusätzliches Anlegen, Stress reduzieren, ausreichend essen und trinken. Pumpen kann vorübergehend unterstützen, ersetzt aber nicht den Babysaugstimulus. Realistische Erwartungen und frühe Beratung beugen Verunsicherung vor [1, 4].

Baby schläft beim Stillen ein

Leicht wecken (Fußsohlen streicheln, Windel wechseln), Seitenwechsel, Brustkompression. Manche Babys trinken in kurzen „Intervallen“ – mehrere kurze, gute Schluckphasen sind effektiver als eine lange, dösige Stillzeit.

Nach Kaiserschnitt oder schwieriger Geburt

Schmerzmanagement optimieren, früher Hautkontakt und Unterstützung beim sicheren Lagern (z. B. Seitenlage, Football). Auch wenn der Milcheinschuss sich gelegentlich etwas verzögert, lässt sich durch häufiges Anlegen ein optimaler Stillstart erreichen [3].

Ernährung, Trinken, Alltag – was ist sinnvoll?

  • Essen nach Appetit, ausgewogen und regelmäßig. Eine „Spezialdiät“ ist meist unnötig – wichtig ist Vielfalt.
  • Trinken nach Durst – Übermäßiges Trinken steigert die Milchmenge nicht; Dehydration (Flüssigkeitsmangel) hingegen kann belasten.
  • Koffein in moderaten Mengen ist meistens unproblematisch – Alkohol möglichst vermeiden.
  • Brustpflege sanft halten: keine aggressiven Reinigungen oder ständiges Desinfizieren (trocknet aus).
  • Schlaf und Entlastung organisieren: Kurze Power-Naps, Aufgaben abgeben, „Still-Nest“ einrichten (Wasser, Snacks, Tücher griffbereit).

Mentale Gesundheit und Unterstützung

Stillprobleme können verunsichern und emotional belasten. Das ist normal – und kein Zeichen des Versagens. Offene Gespräche mit Partner, Familie, Hebamme oder Stillberaterin helfen, Druck herauszunehmen. Studien zeigen, dass anhaltende Stillprobleme die seelische Gesundheit beeinträchtigen können; frühe, einfühlsame Unterstützung ist daher wichtig [4]. Merksatz: Jede Stillmahlzeit zählt. Teilstillen ist immer noch Stillen.

Wann ärztlich abklären?

  • Fieber, Schüttelfrost, stark schmerzhafte Rötung/Überwärmung der Brust → Verdacht auf Mastitis (Brustdrüsenentzündung)
  • Gewichtsverlust des Babys > 10 % oder ausbleibende Gewichtszunahme
  • Deutlich blutende, stark schmerzende Brustwarzen trotz korrigierter Technik
  • Anhaltende Zweifel oder Schmerzen – lieber einmal mehr fachlich draufschauen lassen

Hilfe bei Stillproblemen: Was tun bei zu wenig Milch, wunden Brustwarzen und unruhigem Baby?

Literatur

  1. Pérez-Escamilla R, Tomori C, Hernández-Cordero S: Breastfeeding: crucially important, but increasingly challenged  in a market-driven world. The Lancet. 2023;401:446-460. doi: 10.1016/S0140-6736(22)01932-8.
  2. Widström A-M et al.: Newborn behaviour to locate the breast when skin-to-skin: a possible method for early initiation of breastfeeding. Acta Paediatr. 2011;100(1):79-85. doi: 10.1111/j.1651-2227.2010.01983.x.
  3. S3-Leitlinie: Stilldauer und Interventionen zur Stillförderung. (AWMF-Registernummer: 027-072), Februar 2020 
  4. Rowles G et al.: Investigating the impact of breastfeeding difficulties on maternal mental health. Sci Rep. 2025;15:14426. doi: 10.1038/s41598-025-98357-6.