Neugeborenen-Gelbsucht: Wann ist sie harmlos und wann behandlungsbedürftig?
Eine Gelbfärbung der Haut und Augen – medizinisch Ikterus – ist bei Neugeborenen ein häufiges und meist harmloses Phänomen. Rund 60-70 % aller reifen Babys und bis zu 80-90 % der Frühgeborenen entwickeln in den ersten Lebenstagen eine sichtbare Gelbsucht [1]. Ursache ist ein Anstieg des Bilirubins, eines Abbauprodukts des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. In den meisten Fällen verschwindet der Ikterus nach einigen Tagen von selbst. Bei erhöhten Bilirubinwerten kann er jedoch gefährlich werden und erfordert eine ärztliche Behandlung.
Ursachen und Formen der Neugeborenengelbsucht
- Physiologischer Ikterus
Bei den meisten Neugeborenen ist die Leber in den ersten Lebenstagen noch nicht vollständig ausgereift. Das Enzym UDP-Glucuronyltransferase, das Bilirubin wasserlöslich macht, arbeitet noch eingeschränkt. Dadurch reichert sich sogenanntes indirektes Bilirubin im Blut an. Dieser physiologische Ikterus tritt meist am 2.-3. Lebenstag auf, erreicht seinen Höhepunkt am 4.-5. Tag und klingt innerhalb von etwa 10 Tagen wieder ab [2]. - Pathologischer Ikterus
Wenn die Gelbfärbung zu früh (innerhalb der ersten 24 Stunden), zu stark oder zu lang anhaltend ist, kann eine krankhafte Ursache vorliegen. Häufige Auslöser sind Blutgruppenunverträglichkeiten (AB0- oder Rhesus-Inkompatibilität/-Unverträglichkeit), Infektionen, Leberfunktionsstörungen oder Stoffwechseldefekte (z. B. G6PD-Mangel, Galaktosämie) [3]. - Still-Ikterus und Muttermilch-Ikterus
Ein Still-Ikterus entsteht in den ersten Tagen durch eine unzureichende Milchaufnahme, was den Bilirubinabbau verzögert. Beim Muttermilch-Ikterus, der nach etwa einer Woche auftritt, hemmen bestimmte Inhaltsstoffe der Muttermilch den Bilirubinabbau in der Leber. Beide Varianten sind in der Regel ungefährlich und bessern sich spontan [4].
Wann die Gelbsucht harmlos ist
Eine physiologische Gelbsucht zeigt sich durch eine gleichmäßige, blassgelbe Hautfärbung, beginnend im Gesicht, die sich über den Körper ausbreitet. Das Kind ist wach, trinkt gut, wirkt vital und zeigt keine weiteren Symptome. Die Bilirubinwerte liegen dabei unterhalb der therapiebedürftigen Grenzwerte, die je nach Lebensalter, Reifegrad und Risikofaktoren variieren.
Regelmäßiges Stillen fördert die Ausscheidung von Bilirubin über den Stuhl und unterstützt so den natürlichen Rückgang der Gelbfärbung.
Wann eine Behandlung notwendig ist
Eine ärztliche Behandlung ist erforderlich, wenn:
- die Gelbfärbung bereits in den ersten 24 Stunden auftritt,
- der Bilirubinwert rasch ansteigt (> 5 mg/dl pro Tag),
- die Gelbfärbung länger als 14 Tage (bei Frühgeborenen: > 21 Tage) anhält,
- das Kind apathisch (teilnahmslos) wirkt, schlecht trinkt oder eine schrille Stimme entwickelt.
Das Ziel jeder Behandlung ist die Vermeidung eines Kernikterus (bilirubininduzierte neurologische Dysfunktion), die bei sehr hohen Bilirubinwerten (> 20-25 mg/dl bei Termingeborenen) zu irreversiblen Hirnschäden führen kann [5].
Therapieoptionen
- Phototherapie
Standardtherapie bei erhöhten Bilirubinwerten. Das blaue Licht (Wellenlänge 460 nm) wandelt das fettlösliche Bilirubin in wasserlösliche Isomere um, die über Urin und Stuhl ausgeschieden werden. - Austauschtransfusion
Wird eingesetzt, wenn die Phototherapie nicht ausreicht oder ein massiver Bilirubinanstieg droht, etwa bei Rhesusinkompatibilität. Dabei wird das Blut des Kindes schrittweise gegen Spenderblut ausgetauscht, um Bilirubin und Antikörper zu entfernen. - Supportive Maßnahmen
Häufiges Stillen, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Kontrolle der Körpertemperatur fördern den Abbau des Bilirubins.
Vorbeugung und Monitoring
Regelmäßige Bilirubinmessungen (z. B. transkutan) gehören heute zur Standardversorgung. Risikokinder – insbesondere Frühgeborene, Kinder mit Blutgruppenunverträglichkeiten oder mit Geschwistern, die bereits behandelt werden mussten – sollten engmaschig überwacht werden.
Eine gute Stillberatung in den ersten Tagen nach der Geburt kann das Risiko eines Still-Ikterus reduzieren.
Fazit
Neugeborenen-Gelbsucht ist meist ein harmloses, selbstlimitierendes Phänomen. Dennoch sollte sie medizinisch beobachtet werden, um einen pathologischen Verlauf frühzeitig zu erkennen. Dank moderner Diagnostik und effektiver Phototherapie lässt sich eine gefährliche Bilirubin-Anreicherung heute nahezu immer verhindern.
Literatur
- Watchko JF, Maisels MJ: Jaundice in low birthweight infants: pathobiology and outcome. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed. 2003;88(6):F455-F458.
doi: 10.1136/fn.88.6.F455. - Olusanya BO, Kaplan M, Hansen TWR: Neonatal hyperbilirubinaemia: a global perspective. Lancet Child Adolesc Health. 2018;2(8):610-620.
doi: 10.1016/S2352-4642(18)30139-1. - Kaplan M, Hammerman C: Bilirubin and the genome: the hereditary basis of unconjugated neonatal hyperbilirubinemia. Current Pharmacogenomics. 2005;3(1):21-42. doi: 10.2174/1570160053174992.
- Gourley GR, Arend RA, Heubi JE et al:. A controlled, randomized, double-blind trial of prophylaxis against jaundice among breastfed newborns. Pediatrics. 2005;116(2):385-391. doi: 10.1542/peds.2004-1807.
- Brites D, Brito MA: Bilirubin neurotoxicity: a narrative review on long-lasting pathological effects. Pediatric Medicine. 2021;4:34.
doi: 10.21037/pm-21-37.