Freies Testosteron
Freies Testosteron (fT) ist die biologisch aktive, ungebundene Fraktion des Testosterons im Serum (Blutflüssigkeit). Testosteron ist ein Steroidhormon, das beim Mann überwiegend in den Leydig-Zellen (hormonbildende Zwischenzellen) des Hodens und in geringerem Anteil in der Nebennierenrinde (äußerer Teil der Nebenniere) gebildet wird; bei der Frau stammt Testosteron überwiegend aus der Nebennierenrinde und zu einem geringeren Anteil aus den Ovarien (Eierstöcke). Im Serum ist Testosteron größtenteils an Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG) und Albumin gebunden; nur ein kleiner Anteil liegt als freies Testosteron vor. In der klinischen Labordiagnostik wird freies Testosteron insbesondere zur funktionellen Androgenbeurteilung eingesetzt, wenn Gesamt-Testosteron und SHBG keine eindeutige Einordnung erlauben oder SHBG-Konstellationen die Interpretation des Gesamt-Testosterons verzerren.
Synonyme
- fT
- Ungebundenes Testosteron
Charakteristische Laborbefunde
- Erhöhtes SHBG bei normalem Gesamt-Testosteron kann mit erniedrigtem freiem Testosteron einhergehen.
- Niedriges SHBG kann bei (leicht) erniedrigtem Gesamt-Testosteron mit erhaltener Androgenwirkung und relativ erhaltener freier Fraktion einhergehen.
- Bei grenzwertigem Gesamt-Testosteron ist die zusätzliche Bestimmung bzw. Berechnung des freien Testosterons zur diagnostischen Einordnung sinnvoll, insbesondere bei klinischem Verdacht.
Metabolisierung: Im Androgen-Zielgewebe (Wirkgewebe) erfolgt im Regelfall die Umwandlung in das potentere Androgen Dihydrotestosteron (DHT, stärker wirksames Abbauprodukt des Testosterons) mithilfe des Enzyms 5-α-Reduktase (Umwandlungsenzym).
Testosteron unterliegt einer zirkadianen Rhythmik (Tag-Nacht-Rhythmus) mit höheren Konzentrationen am Morgen.
Das Verfahren
Benötigtes Material
- Blutserum
Vorbereitung des Patienten
- Blutentnahme morgens zwischen 7.00 und 11.00 Uhr; in der Praxis häufig 8.00-10.00 Uhr.
- Bei grenzwertigen Befunden Wiederholungsmessung an mindestens zwei getrennten Tagen unter vergleichbaren Bedingungen empfohlen.
- Bei Verlaufskontrollen möglichst identische Entnahmebedingungen.
Störfaktoren
- Zirkadiane Rhythmik, akute Erkrankungen oder systemische Entzündung (Ganzkörperentzündung).
- SHBG-verändernde Zustände oder Therapien: z. B. Schwangerschaft, Östrogene (weibliche Geschlechtshormone), Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion), Lebererkrankungen (Erkrankungen der Leber).
- Medikamente mit Einfluss auf die Androgenachse oder SHBG: z. B. Glucocorticoide (Kortisonpräparate), Opioide (starke Schmerzmittel), Antiandrogene (testosteronhemmende Medikamente).
- Methodenabhängigkeit: Direkte Immunoassays für freies Testosteron sind methodisch limitiert; bevorzugt Referenzmethodik oder valide Berechnung.
Methode
- Referenzmethode: Gleichgewichts-Dialyse mit anschließender Quantifizierung.
- Routinepraxis: berechnetes freies Testosteron aus Gesamt-Testosteron, SHBG und Albumin.
Normbereiche (je nach Labor)
Normbereiche sind methoden- und laborabhängig. Insbesondere ist zu unterscheiden zwischen direkt gemessenem freiem Testosteron und berechnetem freiem Testosteron.
Indikationen
- Verdacht auf Hormonstörungen wie Hypogonadismus (Testosteronmangel), adrenogenitales Syndrom (angeborene Störung der Nebennierenhormonbildung) oder Virilisierung (Vermännlichung) der Frau.
- Erektile Dysfunktion (Erektionsstörung), Libidoverlust (vermindertes sexuelles Verlangen) und Fertilitätsstörungen (Fruchtbarkeitsstörungen).
- Kryptorchismus (Hodenhochstand), Pubertas praecox (vorzeitige Pubertät) oder Pubertas tarda (verzögerte Pubertät).
- Therapiemonitoring unter Testosteron-Substitution (künstliche Hormonzufuhr) oder Antiandrogenen.
- Verdacht auf hormonell aktive Tumoren der Hoden, Ovarien oder Nebennieren.
Spezifische Aspekte der Reproduktionsmedizin
- Kinderwunschdiagnostik beim Mann: funktionelle Androgenbeurteilung bei auffälligem SHBG oder grenzwertigem Gesamt-Testosteron.
- Kinderwunschdiagnostik bei der Frau: Differenzierung adrenaler und ovarieller Androgenquellen, insbesondere beim Syndrom der polyzystischen Ovarien (PCO-Syndrom, hormonelle Erkrankung der Eierstöcke).
- Assistierte Reproduktion (künstliche Befruchtung): Beurteilung der hormonellen Ausgangssituation vor Stimulation.
Interpretation
Interpretation erhöhter Werte
Frau
- Adrenogenitales Syndrom (AGS, angeborene Störung der Nebennierenhormonbildung).
- Androgenproduzierendes Nebennierenkarzinom (bösartiger Tumor der Nebenniere).
- Morbus Cushing (Erkrankung mit krankhaft erhöhter Cortisolproduktion).
- Nebennierenhypertrophie (Vergrößerung der Nebenniere).
- Ovarialtumoren (Tumoren der Eierstöcke).
- Pubertas praecox (vorzeitige Pubertät).
- Syndrom der polyzystischen Ovarien (PCO-Syndrom, hormonelle Erkrankung der Eierstöcke).
- Testosteronproduzierender Tumor (Tumor mit übermäßiger Testosteronbildung).
- Schwangerschaft (Gravidität).
- Menopause (Wechseljahre).
- Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion).
- Leberzirrhose (bindegewebiger Umbau der Leber).
Mann
- Androgen-Resistenz (verminderte Wirkung von Testosteron an den Zielorganen) bzw. Androgen-Rezeptor-Defekte (Funktionsstörung des Testosteron-Rezeptors).
- Hormonell aktive Tumoren wie Hodentumoren (Tumoren des Hodens) bzw. androgenproduzierendes Nebennierenkarzinom (bösartiger Tumor der Nebenniere).
- Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion).
- Leberzirrhose (bindegewebiger Umbau der Leber).
- Testosteronzufuhr (äußere Gabe von Testosteron).
Interpretation erniedrigter Werte
Frau
- Primäre Gonadeninsuffizienz (Funktionsverlust der Eierstöcke).
- Drogenabusus (Missbrauch von anabolen Steroiden).
- Leberzirrhose (bindegewebiger Umbau der Leber).
- Medikamentöse Therapie mit Antiandrogenen (testosteronhemmende Medikamente), Östrogenen (weibliche Geschlechtshormone) oder Anabolika (synthetische Muskelaufbauhormone).
- Morbus Addison (Nebennierenunterfunktion).
- Unterernährung inklusive Anorexia nervosa (Essstörung mit starkem Gewichtsverlust).
Mann
- Primärer (hypergonadotroper) Hypogonadismus, z. B. Klinefelter-Syndrom (chromosomale Störung mit zusätzlichem X-Chromosom).
- Sekundärer (hypogonadotroper) Hypogonadismus (Störung der hormonellen Steuerung durch Gehirn oder Hypophyse).
- Drogenabusus (Missbrauch von anabolen Steroiden).
- Leberzirrhose (bindegewebiger Umbau der Leber).
- Medikamentöse Therapie mit synthetischen Androgenen (künstliche männliche Hormone), Glucocorticoiden (Kortisonpräparate) oder Opioiden (starke Schmerzmittel).
- Unterernährung (Mangelernährung).
Weitere Hinweise
- Krankheiten mit vermehrter SHBG-Synthese können zu einer Abnahme des freien Testosterons führen.
- Eine Testosterontherapie soll nicht allein auf Basis eines einzelnen Laborwertes begonnen werden.
Weiterführende Diagnostik
- Gesamt-Testosteron, SHBG, Albumin.
- LH und FSH.
- Prolaktin.
- DHEA-S, Androstendion, 17-Hydroxyprogesteron.
- Spermiogramm bei Fertilitätsabklärung.
- Bildgebung bei Verdacht auf hormonell aktive Tumoren.
Literatur
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