Insulin-like-growth-factor-II (IGF-2)

Der Insulin-like Growth Factor II (IGF-2) ist ein insulinähnliches Peptidhormon (Eiweißhormon, das Insulin ähnelt) aus der Familie der somatomedinen Wachstumsfaktoren (Gruppe von wachstumsfördernden Eiweißstoffen). Es wird hauptsächlich in der Leber (Stoffwechselorgan) produziert, aber auch in zahlreichen anderen Geweben gebildet und spielt eine entscheidende Rolle in der fetalen Entwicklung (Wachstum des ungeborenen Kindes), im Zellwachstum (Vermehrung von Körperzellen) und in der Tumorbiologie (Wissenschaft von Tumoren). Die labordiagnostische Bestimmung erfolgt vorrangig im Rahmen spezieller endokrinologischer (hormonbezogener) und onkologischer (krebsbezogener) Fragestellungen.

Das Verfahren

Synonyme

  • Somatomedin A2
  • IGF-II

Benötigtes Material

  • Serum oder Plasma (EDTA oder Heparin) (Blutbestandteile ohne Zellen, gewonnen aus venösem Blut)

Präanalytik und Patienten-Vorbereitung

  • Blutentnahme morgens nüchtern empfohlen (vor dem Frühstück, um die Werte nicht zu verfälschen)
  • Keine spezielle Diät notwendig
  • Proben rasch zentrifugieren und tiefgefrieren (−20 °C oder −80 °C), da IGF-2 bei Raumtemperatur instabil ist (nicht haltbar)

Störfaktoren

  • Hämolyse (Zerfall von roten Blutkörperchen), Lipämie (fetthaltiges Blut) und längere Lagerung bei Raumtemperatur verfälschen das Ergebnis
  • Einfluss durch Glukokortikoide (körpereigene oder medikamentöse Kortisonverbindungen), Leberinsuffizienz (eingeschränkte Leberfunktion) oder Mangelernährung

Normwerte

Die Referenzbereiche (Normwerte) können je nach Labor unterschiedlich ausfallen. In der klinischen Praxis ist häufig der IGF-2/IGF-1-Quotient (Verhältnis zwischen zwei Wachstumsfaktoren) entscheidend.

Altersgruppe Referenzbereich IGF-2 (ng/ml)
Erwachsene 400–1100
Kinder Bis zu 2000 (altersabhängig)

Ein Quotient IGF-2 / IGF-1 >10 ist verdächtig auf IGF-2-produzierende Tumoren (sog. „non-islet cell tumor hypoglycemia“, NICTH – eine seltene Form von tumorbedingtem Unterzucker)

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Abklärung von Hypoglykämien unklarer Genese (niedriger Blutzucker ohne erkennbare Ursache)
  • Verdacht auf nicht-insulinvermittelte Hypoglykämie (Unterzuckerung ohne zu viel Insulin)
  • Diagnostik bei Mesenchymtumoren (Tumoren des Binde- und Stützgewebes), Hepatoblastom (seltener Lebertumor im Kindesalter) oder HCC (Leberzellkrebs)
  • Differentialdiagnostik (Unterscheidung ähnlicher Erkrankungen) bei IGF-1-Erhöhungen, insbesondere bei Akromegalie (Wachstumshormon-Überproduktion)
  • Forschungskontext bei fetaler Wachstumsregulation (Steuerung des Wachstums beim Fetus)

Interpretation

Erhöhte IGF-2-Spiegel

  • Tumorassoziierte Produktion (Bildung durch Tumoren), z. B. Leberzellkarzinom (bösartiger Lebertumor), Mesenchymtumoren (siehe oben), retroperitoneale Sarkome (bösartige Tumoren im Bauchraum)
  • Behandlung mit rekombinantem Wachstumshormon (künstlich hergestelltes Hormon zur Wachstumsförderung)
  • Hyperinsulinismus (übermäßige Insulinausschüttung)
  • Selten: genetische Syndrome mit Aktivierung des IGF2-Gens, z. B. Beckwith-Wiedemann-Syndrom (angeborenes Überwuchssyndrom)

Erniedrigte IGF-2-Spiegel

  • Leberfunktionsstörungen (verminderte Herstellung in der Leber)
  • Malnutrition, Anorexie (Mangelernährung, Essstörungen)
  • Chronische Erkrankungen, z. B. terminale Niereninsuffizienz (Nierenversagen im Endstadium)
  • Langzeitbehandlung mit Glukokortikoiden (dauerhafte Kortisontherapie)

Weiterführende Diagnostik

  • IGF-1 – anderer wachstumsfördernder Faktor zur Einschätzung der Hormonaktivität
  • IGFBP-3 (Insulin-like Growth Factor Binding Protein 3) – wichtigstes Transporteiweiß für IGF-1 und IGF-2 im Blut
  • Insulinspiegel – zur Unterscheidung von insulinvermittelter und nicht-insulinvermittelter Unterzuckerung
  • Glukose, C-Peptid, Proinsulin – ergänzende Werte bei der Abklärung von Unterzuckerungen
  • Bildgebung (CT, MRT, PET) – bildgebende Verfahren zur Tumorsuche bei paraneoplastischem Verdacht (tumorbedingte Symptome)

Wissenschaftlicher Hintergrund

IGF-2 ist strukturell dem Insulin (blutzuckerregulierendes Hormon) ähnlich, bindet aber hauptsächlich an den IGF-1-Rezeptor (Wachstumsfaktor-Rezeptor) und an den insulinähnlichen Rezeptor (IR-A). Seine biologische Wirkung wird durch Bindung an IGF-bindende Proteine (Eiweißstoffe, die IGF transportieren) moduliert – insbesondere IGFBP-3. Eine wichtige Rolle spielt IGF-2 auch in der Onkogenese (Entstehung von Krebs) – durch Förderung des Zellwachstums und Hemmung des programmierten Zelltods (Apoptose).

Literatur

  1. Le Roith D, Werner H, Beitner-Johnson D, Roberts CT Jr: Molecular and cellular aspects of the insulin-like growth factor I receptor. Endocr Rev. 1995;16(2):143-63. https://doi.org/10.1210/edrv-16-2-143
  2. Livingstone C: IGF2 and cancer. Endocr Relat Cancer. 2013;20(6):R321-R339. https://doi.org/10.1530/ERC-13-0231