Rapid progrediente Glomerulonephritis – Labordiagnostik

Laborparameter 1. Ordnung – obligate Laboruntersuchungen

Diese Untersuchungen sind für die rasche Diagnose, Einordnung und Verlaufskontrolle einer rapid progredienten Glomerulonephritis (schnell fortschreitenden Nierenentzündung der Nierenkörperchen) erforderlich:

  • Kleines Blutbild – normochrome, normozytäre Anämie (Blutarmut) bei Niereninsuffizienz (Nierenversagen), Leukozytose (Erhöhung der weißen Blutkörperchen) bei entzündlicher Aktivität
  • Entzündungsparameter – CRP (C-reaktives Protein) [↑] bzw. BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit) [↑]
  • Urinstatus (Schnelltest auf: pH-Wert, Leukozyten, Nitrit, Eiweiß, Glucose, Blut), Sediment, ggf. Urinkultur (Erregernachweis und Resistogramm) – zur Beurteilung glomerulärer Hämaturie (Blut im Urin) und Proteinurie (Eiweiß im Urin)
  • Erythrozytenmorphologie (Phasenkontrastmikroskopie) – dysmorphe Erythrozyten (verformte rote Blutkörperchen), v. a. Akanthozyten („Mickey-Mouse-Zellen“) beweisend für glomeruläre Blutung (Blutung aus den Nierenkörperchen)
  • Elektrolyte – Natrium, Kalium, Calcium, Phosphat
  • Nierenparameter – Harnstoff, Kreatinin, ggf. Cystatin C
  • Spot-Urin-Protein/Kreatinin-Ratio – Quantifizierung der Proteinurie ohne 24-h-Sammelurin
  • Serumeiweiß und Albumin – Hypoalbuminämie (vermindertes Eiweiß im Blut) bei Proteinverlust
  • Autoimmunserologie – Antikörper (Abwehrstoffe) gegen GBM (glomeruläre Basalmembran), pANCA (anti-MPO), cANCA (anti-PR3), ANA, Anti-dsDNA
  • Komplementfaktoren – C3, C4 [↓ bei Immunkomplex-Glomerulonephritis (Entzündung der Nierenkörperchen durch Immunkomplexe)]
  • Kryoglobuline – bei Verdacht auf Hepatitis-C-assoziierte Kryoglobulinämie (Eiweißablagerungskrankheit) oder Vaskulitis (Gefäßentzündung)

Laborparameter 2. Ordnung – in Abhängigkeit von den Ergebnissen der Anamnese (Krankengeschichte), der körperlichen Untersuchung und den obligaten Laborparametern – zur differentialdiagnostischen Abklärung (Unterscheidung möglicher Ursachen)

Diese Parameter dienen der weiteren Ursachensuche, Differenzierung von Glomerulonephritiden (Nierenkörperchenentzündungen) und Identifizierung sekundärer Formen:

  • ASL-Titer (Anti-Streptolysin) – Hinweis auf poststreptokokkenassoziierte Glomerulonephritis (nach Streptokokkeninfektion auftretende Nierenentzündung)
  • Immunglobuline (Abwehrproteine) – IgG, IgA, IgM – Nachweis von IgA-Nephropathie (bestimmte Form der Nierenentzündung) oder Immundefekt (Abwehrschwäche)
  • Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Serologie – Ausschluss sekundärer Glomerulopathien (durch Virusinfektionen verursachte Nierenkrankheiten, z. B. membranöse GN, Kryoglobulinämie)
  • HIV-Serologie – bei unklarer Immunkomplex- oder Kollaps-Glomerulopathie (Nierenveränderung bei Virusinfektion)
  • Serumelektrophorese (Eiweißtrennung im Blut) inkl. Immunfixation (Feinanalyse) und freie Leichtketten – Ausschluss monoklonaler Gammopathien (bösartige oder vorbösartige Plasmazellerkrankungen, z. B. MGRS)
  • Lipidstatus (Blutfette) – Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin, Triglyceride (nur bei nephrotischem Begleitsyndrom – Eiweißverlust über den Urin mit Ödemen und Fettstoffwechselstörung)
  • Bicarbonat, Blutgasanalyse – Erfassung einer metabolischen Azidose (Übersäuerung des Blutes) bei Nierenversagen
  • Parathormon (PTH, Nebenschilddrüsenhormon) – Beurteilung des sekundären Hyperparathyreoidismus (Überfunktion der Nebenschilddrüsen bei chronischer Nierenerkrankung)
  • Anti-PLA2R-Antikörper – fakultativ bei dominanter Proteinurie (Eiweißausscheidung über den Urin) zur Abgrenzung primärer membranöser Glomerulonephritis

Red Flags (Warnzeichen) bei Rapid progredienter Glomerulonephritis

Die rapid progrediente Glomerulonephritis stellt einen nephrologischen Notfall (Nieren-Notfall) dar. Sie kann innerhalb weniger Tage bis Wochen zur irreversiblen terminalen Niereninsuffizienz (endgültigem Nierenversagen) führen. Frühzeitige Diagnostik und immunmodulatorische Therapie (Behandlung mit das Immunsystem beeinflussenden Medikamenten) sind entscheidend.

Klinische Warnzeichen

  • Rasch progrediente Leistungsminderung, Müdigkeit, Appetitlosigkeit
  • Oligurie (Urinmenge < 500 ml/Tag) oder Anurie (kein Urin) – Hinweis auf akutes Nierenversagen
  • Makrohämaturie (sichtbar blutiger Urin) oder schaumiger Urin (Eiweißausscheidung)
  • Periphere Ödeme (Wassereinlagerungen) – insbesondere im Bereich der Unterschenkel, periorbital (Augenlider)
  • Dyspnoe (Atemnot) – bei Volumenüberladung oder begleitender Lungenbeteiligung (z. B. alveoläre Blutung bei Goodpasture-Syndrom)
  • Husten mit Hämoptysen (blutigem Auswurf) – Hinweis auf pulmonorenales Syndrom (gleichzeitige Lungen- und Nierenbeteiligung)
  • Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck) – neu aufgetreten oder therapierefraktär (nicht auf Medikamente ansprechend)
  • Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen – Zeichen einer urämischen Enzephalopathie (Gehirnbeteiligung durch Giftstoffe im Blut)
  • Arthralgien (Gelenkschmerzen), Myalgien (Muskelschmerzen), Hautexantheme (Hautausschläge) – Hinweis auf systemische Vaskulitis (Gefäßentzündung)
  • Fieber, Gewichtsverlust – systemische Entzündungszeichen

Laborchemische Warnzeichen

  • Rasch ansteigendes Serumkreatinin (Blutwert für Nierenfunktion) – typischerweise > 50 % Zunahme innerhalb weniger Tage
  • GFR-Abfall (Glomeruläre Filtrationsrate – Maß für Nierenleistung) > 5 ml/min/1,73 m² pro Woche – dokumentiert rasche Progression
  • Hämaturie (Blut im Urin) – Nachweis dysmorpher Erythrozyten (verformter roter Blutkörperchen, Akanthozyten) im Urinsediment
  • Proteinurie (Eiweiß im Urin) – meist im nicht-nephrotischen Bereich (0,5-3 g/Tag), selten nephrotisch
  • Leukozyturie (weiße Blutkörperchen im Urin) ohne Bakteriurie (ohne Keime) – Ausdruck entzündlicher Aktivität
  • Anti-GBM-Antikörper (Antikörper gegen glomeruläre Basalmembran) positiv – diagnostisch für Goodpasture-Syndrom
  • ANCA (Antikörper gegen zytoplasmatische neutrophile Antigene) positiv (pANCA/anti-MPO oder cANCA/anti-PR3) – diagnostisch für ANCA-assoziierte Vaskulitis
  • Komplementfaktoren (Abwehrproteine) C3/C4 erniedrigt – Hinweis auf Immunkomplex-assoziierte Glomerulonephritis (durch Immunkomplexe ausgelöste Nierenentzündung)
  • Rascher Anstieg von CRP (C-reaktives Protein) und BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit) – Ausdruck einer systemischen Entzündung
  • Kryoglobuline (Kälteeiweiße) nachweisbar – bei Hepatitis-C-assoziierten oder autoimmunen Vaskulitiden
  • Metabolische Azidose (Übersäuerung des Blutes) und Hyperkaliämie (zu hoher Kaliumwert im Blut) – Zeichen akuter Nierenfunktionsverschlechterung
  • Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) erniedrigt – normochrome Anämie (Blutarmut) durch Erythropoetinmangel (Mangel an blutbildendem Hormon) oder Hämolyse (Zerfall roter Blutkörperchen)

Dringliche Handlungsindikationen

  • Bei Verdacht auf rapid progrediente Glomerulonephritis: sofortige nephrologische Vorstellung (Untersuchung durch Nierenspezialisten) und Nierenbiopsie (Gewebeentnahme aus der Niere) innerhalb von 24-48 h.
  • Bei bestätigtem Nachweis von Anti-GBM-Antikörpern oder positiver ANCA-Serologie (Antikörpernachweis im Blut):
    • unverzüglicher Beginn einer Immuntherapie (Behandlung mit das Immunsystem unterdrückenden Medikamenten) – z. B. Glucocorticoide (Kortison), Cyclophosphamid oder Rituximab
    • ggf. Plasmapherese (Blutplasmaaustausch) bei pulmonorenalem Syndrom (gleichzeitiger Lungen- und Nierenbeteiligung)
  • Parallele Überwachung: Diurese (Urinmenge), Elektrolyte (Salze im Blut), Kreatinin, Bicarbonat, Hämoglobin (roter Blutfarbstoff) täglich

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Rationelle Labordiagnostik zur Abklärung Akuter Nierenschädigungen und progredienter Nierenerkrankungen. (AWMF-Registernummer: 115 - 001) April 2021 Langfassung
  2. S3-Leitlinie: Diagnose und Therapie von Glomerulonephritiden(AWMF-Registernummer: 090 - 003), März 2025 Kurzfassung Langfassung