Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) – Strahlentherapie
Das Ovarialkarzinom (Eierstockkrebs) stellt mit einer Inzidenz (Krankheitshäufigkeit) von etwa 8-9 pro 100.000 Frauen pro Jahr eine der tödlichsten gynäkologischen Tumorerkrankungen dar. Aufgrund der meist späten Diagnosestellung im Stadium III oder IV erfolgt die kurative Therapie primär chirurgisch (operativ) und systemisch (medikamentös). Die Strahlentherapie (Bestrahlung) spielt eine untergeordnete, jedoch selektiv bedeutende Rolle im Rahmen der Rezidivtherapie (Behandlung bei Rückfall), Palliation (lindernde Behandlung) und in bestimmten Ausnahmefällen der Konsolidierungstherapie (festigende Behandlung nach Chemotherapie).
Zielsetzung und Wirkung
Therapeutische Zielsetzung (Behandlungsziel)
Die Strahlentherapie beim Ovarialkarzinom verfolgt primär folgende Ziele:
- Lokale Tumorkontrolle bei inoperablen oder rezidivierten Läsionen (nicht entfernbaren oder erneut aufgetretenen Herden)
- Symptomkontrolle bei palliativer Indikation (z. B. bei Blutung, Schmerzen, Obstruktion [Verlegung])
- Tumorreduktion bei nicht resezierbaren Lokalrezidiven (nicht operativ entfernbaren Rückfällen im Beckenbereich)
- Konsolidierung nach systemischer Therapie bei isolierten peritonealen (Bauchfell) oder lymphogenen (Lymphknoten betreffenden) Manifestationen
Wirkmechanismus (Wirkweise)
Die ionisierende Strahlung verursacht DNA-Doppelstrangbrüche und führt über direkte zytotoxische Effekte (zellschädigende Wirkungen) sowie indirekt über Radikalbildung zum Zelltod. Da Ovarialkarzinome häufig hohe Proliferationsraten (Zellteilungsraten) aufweisen, können sie in ausgewählten Situationen strahlensensibel (empfindlich gegenüber Strahlung) reagieren, insbesondere bei kleinvolumigen Herden (kleinen Tumorbereichen).
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Palliative Therapie bei symptomatischen Tumormanifestationen (z. B. ossäre Metastasen [Knochenmetastasen], pelvine Raumforderungen [Beckenraumtumoren] mit Schmerzen, Blutung oder Obstruktion)
- Lokal-rezidivierende Ovarialkarzinome, insbesondere bei begrenzter Tumorlast, wenn eine weitere chirurgische Intervention nicht möglich oder nicht sinnvoll erscheint
- Zerebrale Metastasen bei Ovarialkarzinomen (selten, aber dokumentiert)
- Isolierte Lymphknotenmetastasen, vor allem paraaortal (entlang der Hauptschlagader) oder mediastinal (im Brustraum)
- Konsolidierende Radiotherapie bei kompletter Remission (vollständigem Rückgang) systemisch vorbehandelter, lokalisierter Manifestationen (nur im Rahmen klinischer Studien oder Einzelfallentscheidungen)
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
Absolute Kontraindikationen (klare Ausschlussgründe)
- Vorbestehende Hochdosisbestrahlung im Zielgebiet
- Dekompensierte Organinsuffizienz (z. B. Leber, Niere [Funktionsversagen wichtiger Organe])
- Schwangerschaft
Relative Kontraindikationen (nur unter Abwägung)
- Diffuse peritoneale Tumorausbreitung (weitverbreiteter Befall des Bauchfells)
- Tumorprogression unter systemischer Therapie (Fortschreiten trotz medikamentöser Behandlung)
- Schlechter Allgemeinzustand (ECOG ≥3 [Einschränkung der Selbstversorgung])
Das Verfahren (Anwendung und Durchführung)
- Planung: Einsatz der Computertomographie (CT, Röntgenschichtbildgebung) und Magnetresonanztomographie (MRT, Kernspintomographie) zur Zielvolumenbestimmung und Organkonturierung
- Techniken: Dreidimensionale konformale Radiotherapie (3D-CRT), intensitätsmodulierte Radiotherapie (IMRT), seltener stereotaktische Körperbestrahlung (SBRT) bei isolierten Metastasen (Tochtergeschwülste)
- Fraktionierung (Aufteilung der Bestrahlung):
- Palliativ: 20-30 Gy in 5-10 Fraktionen (Einzelsitzungen)
- Konsolidierung/kurative Absicht: bis zu 50,4 Gy in 28 Fraktionen
- Zielvolumen: Abhängig von der Lokalisation – pelvine Rezidive (Beckenrückfälle), paraaortale Lymphknoten, ossäre oder zerebrale Metastasen
- Schutz der Risikoorgane: Ovarialkarzinome metastasieren häufig in das Peritoneum (Bauchfell) – eine präzise Dosisplanung mit Schonung von Dünndarm, Blase und Rektum (Enddarm) ist essenziell
Aktueller Stellenwert im Therapiekonzept
Die Strahlentherapie beim Ovarialkarzinom hat sich von einem früheren, teils prophylaktischen Einsatz (Ganzbauchbestrahlung [Bestrahlung der gesamten Bauchhöhle]) hin zu einer gezielten, volumenbegrenzten Therapie gewandelt. Aufgrund der hohen systemischen Ausbreitungstendenz (Streuung im Körper) und der Effektivität moderner Chemotherapie (z. B. Carboplatin/Paclitaxel) sowie PARP-Inhibitoren (Medikamente, die bei BRCA-Mutationen wirken) ist die Radiotherapie nicht Teil der Standard-Primärtherapie. Ihr Wert liegt vor allem:
- in der individualisierten Rezidivbehandlung (beim Rückfall)
- in der Palliation lokal symptomatischer Läsionen (Linderung bei Beschwerden durch örtliche Tumoren)
- bei Patientinnen mit systemischer Kontraindikation für Chemotherapie (wenn eine medikamentöse Therapie nicht möglich ist)
In prospektiven Studien wie AGO-OVAR und MITO-Studienreihen war die Rolle der Radiotherapie begrenzt. Aktuelle Empfehlungen stützen sich daher primär auf retrospektive Daten (Rückblick auf bereits durchgeführte Behandlungen) und Expertenkonsens. Ein Vorteil der Radiotherapie ist die Möglichkeit zur organ- und funktionserhaltenden Therapie mit schneller Symptomlinderung.
Leitlinien
- S3-Leitlinie: Diagnostik, Therapie und Nachsorge maligner Ovarialtumoren. (AWMF-Registernummer: 032-035OL), Oktober 2024 Kurzfassung Langfassung