Blutvergiftung (Sepsis) – Ursachen
Pathogenese
Die Sepsis (Blutvergiftung) bezeichnet eine lebensbedrohliche Organdysfunktion (schwere Störung der Organfunktion) aufgrund einer fehlregulierten Körperantwort auf eine Infektion (Ansteckungskrankheit).
Auslöser sind Infektionen mit Erregern aller Art (Bakterien, deren Toxine, Viren oder Pilze), vor allem Staphyloccocus aureus (Eitererreger auf Haut und Schleimhäuten) oder E. coli (Darmbakterium); des Weiteren mit Anaerobier (Bakterien, die ohne Sauerstoff leben), Clostridium difficile (Darmkeim mit Risiko für schwere Durchfälle), Clostridium perfringens (Gasbrand-Erreger), Enterobacter (Darm- und Krankenhauskeim), Enterokokken (Darmbakterien), Haemophilus influenzae (Erreger von Atemwegsinfektionen), koagulasenegative Staphylokokken (Hautkeime, oft Katheter-assoziiert), Pneumokokken (Erreger der klassischen Lungenentzündung), Pseudomonas (typischer Krankenhauskeim), Streptococcus agalacticae, Streptococcus pneumoniae, Streptococcus pyogenes, Streptokokken, Streptokokken Gruppe A, Streptokokken Gruppe B oder Streptokokken Gruppe D.
Zu den viralen Erregern, die eine Sepsis auslösen können, zählen u. a. Influenza-A/B-Viren (Grippeviren), SARS-CoV-2 (Coronavirus, Erreger von Covid-19), Enteroviren, Herpesviren (HSV-1/2, VZV, CMV) sowie hämorrhagische Fieberviren (Blutfieber-Viren; z. B. Ebola, Dengue).
Beschreibung des Erregers
- Erreger: Die Sepsis wird durch eine Vielzahl von Mikroorganismen ausgelöst, darunter Bakterien, Viren, Pilze und deren Toxine. Zu den häufigsten bakteriellen Erregern gehören Staphylococcus aureus (Eitererreger auf Haut und Schleimhäuten), Escherichia coli (Darmbakterium) sowie verschiedene Streptococcus-Arten (Streptokokken).
- Pathogenität: Die Pathogenität (Krankheitspotential) der Sepsis-Erreger hängt von der Fähigkeit ab, das Immunsystem zu überwinden und eine systemische Entzündungsreaktion (Entzündung des ganzen Körpers) auszulösen. Diese Erreger besitzen Virulenzfaktoren (Besonderheiten, die krankmachend wirken), wie z. B. die Produktion von Endotoxinen und Exotoxinen (Giftstoffe von Bakterien), die eine überschießende Immunantwort hervorrufen.
- Virulenz: Die Virulenz (Aggressivität) der Erreger basiert auf verschiedenen Mechanismen, darunter die Fähigkeit zur Hemmung der Phagozytose (Aufnahme und Abbau von Erregern durch Abwehrzellen), Bildung von Biofilmen (Schutzschicht aus Schleim und Bakterien) und Produktion von Toxinen, die das Immunsystem schwächen.
Epidemiologie und Übertragungsweg
- Verbreitung: Die Sepsis ist weltweit verbreitet und stellt eine der häufigsten Ursachen für Krankenhausaufenthalte und Todesfälle dar. Insbesondere in Hochrisikogruppen wie älteren Menschen, immungeschwächten Personen und Patienten mit schweren Grunderkrankungen ist das Risiko für eine Sepsis erhöht.
- Auch virale Infektionen können eine Sepsis auslösen; insbesondere während der Covid-19-Pandemie war ein relevanter Anteil der Intensivpatienten (Patienten auf der Intensivstation) von einer SARS-CoV-2-assoziierten Sepsis betroffen.
- Hauptübertragungsweg: Die Übertragung erfolgt in der Regel endogen (vom Körper selbst ausgehend), wenn Bakterien aus ihrem ursprünglichen Besiedlungsort (z. B. Darm, Harnwege) in den Blutkreislauf gelangen. Eine exogene Übertragung (von außen kommende Ansteckung) kann bei postoperativen Infektionen oder bei der Manipulation mit Kathetern und anderen invasiven medizinischen Maßnahmen auftreten.
- Infektionsherde: Die häufigsten Eintrittspforten für eine Sepsis sind Infektionen des Atemtraktes (z. B. Pneumonie/Lungenentzündung), des Gastrointestinaltraktes (Magen-Darm-Trakt; z. B. Cholangitis/Gallenwegsentzündung, Peritonitis/Bauchfellentzündung), des Harntraktes (Urosepsis/Blutvergiftung ausgehend von einem Harnwegsinfekt) sowie Infektionen der Haut und Weichteile (z. B. nekrotisierende Fasziitis/sich ausbreitende schwere Weichteilinfektion).
Eine Urosepsis wird am häufigsten durch Enterobakterien (Darmbakterien) ausgelöst: E. coli (52 %), Proteus spp., Enterobacter spp., Klebsiella spp., P. aeruginosa und grampositive Bakterien wie Enterokokken (5 %) [1]. - Infektiosität: Die Ansteckungsfähigkeit einer Sepsis an sich ist gering, jedoch sind die Erreger, die eine Sepsis verursachen, übertragbar und können bei immungeschwächten Patienten ebenfalls zu schweren Verläufen führen.
Eintrittspforte des Erregers
- Haupteintrittspforte: Die häufigsten Eintrittspforten (Eintrittsstellen) sind die Haut und Schleimhäute, durch die die Erreger in das Gefäßsystem gelangen. Dies kann über kleine Verletzungen, Katheter (dünne Kunststoffschläuche in Gefäßen oder Hohlorganen), Atemwege oder den Gastrointestinaltrakt geschehen.
- Nebeneintrittspforten: Wunden, postoperative Infektionsstellen sowie Harnwege und zentrale Venenkatheter können ebenfalls Eintrittspforten darstellen.
Pathogenese des Erregers
- Initiale Vermehrung und Ansiedlung: Die Erreger gelangen über die Eintrittspforte ins Blut oder Gewebe und vermehren sich lokal. Sie produzieren Toxine (Giftstoffe), die zu einer Entzündungsreaktion führen.
- Systemische Ausbreitung: Über die Blutbahn kommt es zur generalisierten Verbreitung der Erreger. In dieser Phase treten meist die ersten Symptome einer Sepsis auf.
- Virulenzmechanismen: Erreger produzieren verschiedene Toxine und Mediatoren, die das Immunsystem schwächen. Sie können das Komplementsystem aktivieren und die Phagozytose hemmen.
- Bei viralen Infektionen entsteht die Sepsis vor allem durch eine ausgeprägte Immunaktivierung mit hoher Freisetzung antiviraler Mediatoren (z. B. Interferone, IL-6), endotheliale Dysfunktion (Funktionsstörung der Gefäßinnenwand), gestörte Mikrozirkulation (Durchblutung der kleinsten Gefäße) und die mögliche Auslösung eines Zytokinsturms (massive Überreaktion des Immunsystems).
Bei einer Sepsis kommt es im Verlaufe einer Infektion zur Freisetzung von Pathogenprodukten, sogenannten PAMPs ("pathogenassociated molecular patterns", z. B. Bakterien; typische Strukturen von Erregern) und/oder körpereigenen Signalmolekülen (sogenannten DAMPs; Alarmsignale aus geschädigten Körperzellen), die die Effektorzellen (z. B. Gefäß- und Gewebezellen, Blut- und Lymphzellen) betreffen. Dies wiederum führt zu einer massiven Mediatorenfreisetzung (z. B. CRP, PCT, TNF-α, IL-2, IL-6, IL-8), was Auswirkungen auf alle Organfunktionen hat (s. u. "Folgeerkrankungen").
Wirtsreaktion
- Lokale Immunantwort: Die initiale Immunantwort wird durch Makrophagen (Fresszellen), neutrophile Granulozyten (bestimmte weiße Blutkörperchen) und dendritische Zellen (spezialisierte Abwehrzellen) eingeleitet. Es kommt zur Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen (Botenstoffe des Immunsystems; z. B. TNF-α, IL-1), die die Immunzellen rekrutieren.
- Systemische Immunantwort: Bei der systemischen Verbreitung der Erreger werden große Mengen an Zytokinen freigesetzt, die eine Entzündungskaskade (Zytokinsturm) auslösen und zu einer Schädigung des Endothels (Gefäßinnenwand) führen.
- Bei viralen Erregern steht die überschießende antivirale Immunantwort mit Interferon-Signalkaskaden, ausgeprägter endothelialer Aktivierung und Mikrovaskulopathie (Erkrankung der kleinsten Blutgefäße) im Vordergrund (z. B. bei Covid-19, Influenza).
- Anpassungsmechanismen der Erreger: Erreger wie Staphylococcus aureus oder Escherichia coli besitzen Mechanismen, die die Apoptose (programmierter Zelltod) von Immunzellen induzieren und so der Immunabwehr entkommen.
Organaffinität und Gewebeschäden
- Bevorzugte Zielorgane: Betroffen sind vor allem die Lunge (Pneumonie/Lungenentzündung), das Gehirn (Meningitis/Hirnhautentzündung), die Leber, Nieren (akutes Nierenversagen/plötzliches Versagen der Nierenfunktion) und das Herz (Endokarditis/Herzinnenhautentzündung).
- Resultierende Gewebeschäden: Es kommt zu einer Schädigung des Endothels und zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität (Gefäßdurchlässigkeit), was zur Organdysfunktion führt. Die Blutgerinnung wird aktiviert, was zur Bildung von Mikrothromben (kleinsten Blutgerinnseln) führt und das Risiko für Multiorganversagen (Versagen mehrerer Organe) erhöht.
Klinische Manifestation
- Symptomatologie: Fieber, Schüttelfrost, Hypotonie (niedriger Blutdruck), Tachykardie (schneller Herzschlag) und Tachypnoe (beschleunigte Atmung) sind typische Symptome der Sepsis. Es kann auch zu Verwirrtheit und einer eingeschränkten Urinausscheidung (wenig Urin) kommen.
- Komplikationen: Schock (schwerer Kreislaufzusammenbruch), Multiorganversagen, disseminierte intravasale Koagulation (DIC; systemische Blutgerinnungsstörung), Atemversagen und Tod.
- Verläufe und Schweregrade: Leichte Verläufe beschränken sich auf eine Sepsis mit einem Organversagen, während schwere Verläufe zu einem septischen Schock und Multiorganversagen führen können.
Prognosefaktoren
- Wirtsfaktoren: Alter, Geschlecht (Männer haben ein höheres Risiko), bestehende Grunderkrankungen (z. B. Diabetes mellitus/Zuckerkrankheit, Immunsuppression/geschwächte Abwehrlage) und Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) sind entscheidende Faktoren.
- Erregerfaktoren: Die Virulenz des Erregers, die Menge der aufgenommenen Erreger sowie die Toxinproduktion beeinflussen die Schwere der Sepsis.
Häufigste Infektionsherde bei einer ambulant erworbenen Sepsis
- Unterer Respirationstrakt (z. B. Pneumonie/Lungenentzündung, Pleuraempyem/Eiteransammlung im Brustfell)
- Gastrointestinaltrakt (Magen-Darm-Trakt; z. B. intraabdominaler Abszess/Eiterherd in der Bauchhöhle, Cholangitis/Gallenwegsentzündung, Divertikulitis/Entzündung von Ausstülpungen im Dickdarm)
- Urogenitaltrakt (Harn- und Geschlechtsorgane; ca. 80 % der Fälle obstruktive Uropathie/Abflussbehinderung der Harnwege: z. B. Pyelonephritis/Nierenbeckenentzündung mit Obstruktion
Beachte: Die häufigste Ursache einer Urosepsis ist die Pyelonephritis.) → Urosepsis (9-31 % aller Septitiden gehen aus einer Infektion des Urogenitaltraktes und des männlichen Genitals hervor).
Fulminante Verlaufsformen
- Meningokokkensepsis (Blutvergiftung durch Meningokokken)
- OPSI-syndrome (overwhelming post splenectomy infektion syndrome) – Sepsis nach Splenektomie (Milzentfernung)
- Toxic-Shock-Syndrome (toxisches Schocksyndrom, TSS; Synonym: Tamponkrankheit) – schweres Kreislauf- und Organversagen durch Bakterientoxine (meist Enterotoxin des Bakterium Staphylococcus aureus, seltener Streptokokken, dann als Streptokokken-induziertes Toxisches Schocksyndrom bezeichnet)
- Schwere Sepsisfälle mit hoher Letalität (Sterblichkeit) werden u. a. hervorgerufen durch den Erreger Vibrio vulnificus (V. vulnificus). Vibrio vulnificus ist ein gramnegatives Bakterium aus der Familie der Vibrionaceae, welches obligat halophil (salzliebend) ist. Nach oraler Aufnahme roher infizierter Meeresfrüchte können gastrointestinale Symptome (Magen-Darm-Beschwerden) auftreten; daneben können durch den kontaktgeschädigter Haut mit kontaminiertem Meereswasser häufig plötzliches Fieber und Schüttelfrost in Verbindung mit multiplen Haut- und Weichteilinfektionen (Bullae/blasenförmige Hautveränderungen, Ekchymosen/Hautblutungen, nekrotisierende Fasziitis/sich rasch ausbreitende schwere Weichteilinfektion), die metastatisch – vor allem an der unteren Extremität – auftreten, beobachtet werden. Neben einer antiinfektiösen Therapie ist eine sofortige Herdsanierung der Haut- und Gewebeinfektion (z. B. Fasciitis/Entzündung der Muskelfaszie) erforderlich.
- Covid-19-assoziierte Sepsis – schwere systemische Verläufe bei SARS-CoV-2 mit ARDS (akutem Lungenversagen), endothelialer Dysfunktion, Mikrozirkulationsstörungen und Multiorganversagen.
Gender-Unterschiede (Gendermedizin)
- Auslöser einer Sepsis:
- Männer: meist Infektionen der oberen Atemwege (z. B. Bronchitis, Lungenentzündung)
- Frauen: meist Infektionen des Urogenitaltrakts (Harn- und Geschlechtsorgane)
- Grampositive bzw. gramnegative Erreger (Unterscheidung von Bakterien nach Färbung im Labor):
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die Sepsis (Blutvergiftung) ist eine schwerwiegende systemische Erkrankung, die durch eine Infektion mit einer Vielzahl von Mikroorganismen ausgelöst wird. Sie führt zu einer unkontrollierten systemischen Entzündungsreaktion und kann unbehandelt zum Multiorganversagen und Tod führen. Eine frühzeitige Diagnose und aggressive Therapie mit Antibiotika (Medikamenten gegen Bakterien), Flüssigkeitsgabe und ggf. intensivmedizinischer Überwachung (Behandlung auf der Intensivstation) sind entscheidend, um das Überleben der Patienten zu sichern. Risikopatienten sollten besonders engmaschig überwacht werden, um frühe Anzeichen einer Sepsis zu erkennen.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Alter
- Jüngsten haben das niedrigste Sepsisrisiko, die Ältesten das höchste [3]
- Studie, in der rückblickend untersucht wurde, wie sich Antibiotikaverordnung oder Nichtverordnung auf das Sepsisrisiko von Patienten auswirkte, die einen Hausarzt aufgesucht hatten [3]:
- Ohne Antibiotikatherapie: Sepsisrate der 15- bis 24-Jährigen bei 1:9.900 (Männer, M) bzw. 1:12.500 (Frauen, F); ab 85 Jahren: 1:215 (M) bzw. 1:321 (F)
- Mit Antibiotikatherapie: Sepsisrate der 15- bis 24-Jährigen bei 1:24.390 (M) bzw. 1:41.667 (F); 1:1200 (M) bzw. 1:1964 (F) ab 85 Jahren: 1:1.200 (M) bzw. 1:1.964 (F)
- Das höchste Sepsisrisiko bestand bei Infekten der Harnwege, gefolgt von Haut- und zuletzt Atemwegsinfektionen.
Krankheitsbedingte Ursachen
Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)
- Infektion mit Krankheitserregern (s. o.), nicht näher bezeichnet
Z. B. Harnwegsinfekt (HWI) und zugleich eGFR (estimated GFR, die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate) < 45 ml/min/1,73 m2; Mortalitätsrate (Sterberate) war bei Patienten mit einer eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 um 63 % gegenüber denjenigen mit normaler oder nur leicht eingeschränkter Nierenfunktion erhöht [2]. - Schwere virale Infektionen (z. B. Influenza, Covid-19/SARS-CoV-2, andere respiratorische oder hämorrhagische Virusinfektionen) können ebenfalls eine Sepsis auslösen, insbesondere bei älteren oder immunsupprimierten Patienten sowie bei vorbestehenden Organfunktionsstörungen.
Medikamente
- Antivirale Medikamente (Foscarnet) → Granulozytopenie (Verminderung der neutrophilen Granulozyten/gehören zur Gruppe der weißen Blutkörperchen)
Operationen
- Postoperativ (in der Regel Folge einer während der Operation erworbenen Infektion)
- Zust. n. Splenektomie (Milzentfernung)
Literatur
- Schiefer HG: Urosepsis. In: Schmelz H, Sparwasser C, Weidner W, (eds.): Facharztwissen Urologie. Heidelberg: Springer Medizin 2014; 51-7.
- Ahmed H et al.: Risk of adverse outcomes following urinary tract infection in older people with renal impairment: Retrospective cohort study using linked health record data. PLoS Med 15(9): e1002652 https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1002652
- Gulliford MC et al.: Probability of sepsis after infection consultations in primary care in the United Kingdom in 2002–2017: Population-based cohort study and decision analytic model. PLOS Medicine July 23, 2020 https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1003202