Zerebrale Atherosklerose – Ursachen
Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die zerebrale Atherosklerose ist eine chronische Erkrankung, die durch strukturelle Veränderungen der Arterienwand charakterisiert ist und über viele Jahre hinweg schrittweise fortschreitet. Die initiale Schädigung der inneren Gefäßwand (Endothel) führt zu einer sogenannten endothelialen Dysfunktion. Diese Dysfunktion wird durch verschiedene Faktoren wie oxidiertes LDL (Low Density Lipoprotein, deutsch: Lipoprotein niederer Dichte) in Form von kleinen, dichten LDL-Partikeln (small dense LDL) begünstigt.
Entwicklungsschritte der Atherosklerose:
- Endothelzellschaden: Der initiale Endothelzellschaden bildet die Grundlage der Atherosklerose. Er führt zu einer Funktionsstörung der inneren Gefäßwandschicht und ermöglicht das Eindringen von lipidhaltigen Partikeln (z. B. LDL) in die Gefäßwand.
- Anlagerung von Blutzellen: Monozyten (weiße Blutkörperchen und Vorläufer der Makrophagen) und Thrombozyten (Blutplättchen, die eine zentrale Rolle in der Blutgerinnung spielen) heften sich an das geschädigte Endothel an und wandern in die Intima (die innerste Schicht der Gefäßwand) ein.
- Bildung von Schaumzellen: Die Monozyten entwickeln sich in der Intima zu Makrophagen und nehmen oxidierte LDL-Partikel auf. Diese Makrophagen werden zu sogenannten Schaumzellen (foam cells), die sich in Intima und Media (mittlere Schicht der Arterie, bestehend aus Muskelschicht) einlagern und Entzündungsreaktionen auslösen.
- Produktion von Zytokinen und Wachstumsfaktoren: Schaumzellen und Endothelzellen beginnen, Zytokine (Botenstoffe) und Wachstumsfaktoren zu produzieren, welche die Proliferation (Vermehrung) von glatten Muskelzellen in der Media anregen und die Entzündungsreaktion verstärken.
- Migration von glatten Muskelzellen in die Intima: Glatte Muskelzellen wandern in die Intima und synthetisieren dort Kollagen und Proteoglykane, die zur Entstehung fibröser Plaques (krankhafte Ablagerungen an den Gefäßwänden) führen.
- Zellnekrose und Einlagerung von Calcium: Schaumzellen sterben innerhalb der Plaques ab und setzen gespeicherte Lipide und Cholesterin frei. Kalziumablagerungen (Ca2+) führen zur weiteren Verhärtung der Plaques. Diese Kalzifizierung schränkt die Elastizität der Gefäßwände ein und verengt die Gefäße zunehmend.
- Instabile Plaques: Instabile Plaques zeichnen sich durch eine dünne, fibröse Kappe und eine große Lipidkernansammlung aus. Ihre Ruptur kann zur akuten Bildung eines Thrombus (Blutgerinnsel) führen, was einen plötzlichen Gefäßverschluss zur Folge haben kann, wie es beispielsweise bei einem Myokardinfarkt (Herzinfarkt) oder einem Schlaganfall der Fall ist.
Neuere Erkenntnisse und Fokus auf die Adventitia
Aktuelle Forschung lenkt die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Adventitia (äußere Gefäßschicht) in der Pathogenese der Atherosklerose. Im Mittelpunkt stehen dabei die Vasa vasorum, kleinste Blutgefäße, die die äußeren Schichten der großen Arterien versorgen. Eine Schädigung der Vasa vasorum, etwa durch Entzündungsprozesse, Umweltnoxen (schädliche Substanzen) oder Infektionen, könnte der Schlüssel zum besseren Verständnis der Atherosklerose sein.
Wichtige Forschungsfragen [8]:
- Wie können Umweltnoxen, Infektionen und andere Faktoren denselben Schädigungsmechanismus auslösen?
- Was bewirkt eine Infektion mit den Vasa vasorum und warum werden diese Gefäße geschädigt?
- Warum sind bei einer lokalisierten Infektion entfernte Gefäße wie die Aorta (Hauptschlagader) betroffen?
Alternative Theorie zur Entstehung der Atherosklerose [8, 10]:
Ein weiterer Ansatz stammt von Haverich, dem Direktor der Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie an der MHH in Hannover. Haverich stellt die gängige Lehrmeinung infrage und vertritt die Ansicht, dass die Fettablagerungen (Plaques) nicht primär aus dem Blut stammen, sondern Überreste abgestorbener Zellen der Gefäßwand sind. Entzündungsreaktionen, die durch Viren, Bakterien und Feinstaub verursacht werden, sieht er als Hauptursache an. Diese Entzündungen führen zum Verschluss der Vasa vasorum und damit zum Absterben der Tunica media (mittlere Gefäßwandschicht), was wiederum die Entstehung von Plaques begünstigt.
Damit wäre die Atherosklerose eine mikrovaskuläre Erkrankung der Adventitia, die sich von außen nach innen entwickelt und deren Plaques eher das Ergebnis von Reparaturprozessen des Immunsystems als primäre Fettablagerungen sind.
Zusammenfassung und klinische Relevanz
Die zerebrale Atherosklerose entwickelt sich über einen langwierigen Prozess, der bereits im Jugendalter beginnen kann. Sie zeichnet sich durch eine komplexe Interaktion zwischen Entzündungszellen, Endothelzellschädigung und Gefäßumbau aus. Instabile Plaques stellen ein hohes Risiko für akute vaskuläre Ereignisse wie Schlaganfälle dar. Neuere Erkenntnisse deuten darauf hin, dass auch die Adventitia eine entscheidende Rolle in der Krankheitsentwicklung spielt, was potenziell neue Therapieansätze eröffnet.
Ätiologie (Ursachen)
Biographische Ursachen
- Familiengeschichte – Koronare Herzkrankheit (KHK) oder Myokardinfarkt in enger Verwandtschaftsbeziehung (1. Grades) – insbesondere bei Erkrankung der Männer vor dem 55. Lebensjahr beziehungsweise bei Frauen vor dem 65. Lebensjahr; Vorhandensein einer Atherosklerose-bedingten Gefäßerkrankung
- Lebensalter – zunehmendes Alter
Verhaltensbedingte Ursachen
- Ernährung
- Fehl- und Überernährung, z. B. zu hohe Kalorienzufuhr und fettreiche Ernährung (hohe Aufnahme von gesättigten Fettsäuren)
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
- Genussmittelkonsum
- Alkohol (Frau: > 40 g/Tag; Mann: > 60 g/Tag) – (Hypertriglyzeridämie)
- Tabak (Rauchen) [1, 2] – Rauchen ist einer der zentralen Risikofaktoren für die Atherosklerose und damit für alle kardiovaskuläre Erkrankungen
- Körperliche Aktivität
- Bewegungsmangel
- Psycho-soziale Situation
- Psychische Belastung
- Stress
- Schlafqualität
- Schlafdauer: ≤ 6 Stunden versus 7-8 Stunden Schlaf (+27 % erhöhtes Risiko für die Bildung von Plaques an den Gefäßen) [11]
- Unregelmäßiger Schlaf (unterschiedlich lang bzw. unterschiedliche Zeiten des Einschlafens) [12]:
- Variation der Schlafdauer um mehr als 2 Stunden: 1,12-fach höhere Wahrscheinlichkeit von Plaques in der Halsschlagader und 1,91-mal häufiger anomale Resultate beim Knöchel-Arm-Index (< 0,9).
- unregelmäßigen Einschlafzeiten, die im Wochenverlauf um mehr als 90 Minuten variierten: 1,43-mal häufiger hohe Calcium-Scores als diejenigen, die immer etwa um die gleiche Zeit (Variation < 30 Minuten) einschliefen.
- Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
- Androide Körperfettverteilung, das heißt abdominales/viszerales, stammbetontes, zentrales Körperfett (Apfeltyp) – es liegt ein hoher Taillenumfang bzw. ein erhöhter Taille-Hüft-Quotient (THQ; englisch: waist-to-hip-ratio (WHR)) vor; vermehrtes Bauchfett wirkt stark atherogen und fördert inflammatorische Prozesse ("Entzündungsprozesse")
Bei der Messung des Taillenumfangs gemäß der Richtlinie der International Diabetes Federation (IDF, 2005) gelten folgende Normwerte:
- Männer < 94 cm
- Frauen < 80 cm
Krankheitsbedingte Ursachen
- Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck)
- Depression
- Diabetes mellitus (Insulinresistenz)
- Hyperlipidämie/Dyslipidämie (Fettstoffwechselstörung) – Hypercholesterinämie; Hypertriglyzeridämie
- Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) – diese geht im Regelfall mit einem erhöhten Cholesterin-Serumspiegel einher; auch die latente (subklinische) Hypothyreose ist ein Risikofaktor für die Atherosklerose [3]
- Metabolisches Syndrom
- Osteoporose [4] – signifikanter Risikofaktor für eine koronare Herzkrankheit (KHK): dieses erklärt sich durch die Tatsache, dass die sogenannten Osteoklasten (Knochen-abbauende Zellen) – ebenso die Sklerose (Verkalkung) der Arterien stimulieren.
- Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparates)
- Subklinische Inflammation (engl. "silent inflammation") – permanente systemische Inflammation (Entzündung, die den gesamten Organismus betrifft), die ohne klinische Symptomatik verläuft
Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten
- Apolipoprotein E – Genotyp 4 (ApoE4)
- CRP (C-reaktives Protein)
- Cholesterin – Gesamtcholesterin, LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin
- Fibrinogen
- Hyperhomocysteinämie
- Lipoprotein (a)
- Nüchterninsulin
- Triglyceride
Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Luftschadstoffe: Feinstaub
Weitere Ursachen
- Infektionen:
- Chlamydia pneumonia
- Cytomegalie-Virus (CMV) [5]
- Porphyromonas gingivalis (Parodontitis-Keim)
- Chronische Infektionen – beispielsweise Urogenitaltrakt, Respirationstrakt
Literatur
- Deutsches Krebsforschungszentrum. Tabakatlas Deutschland 2015. Heidelberg
- Secretan B, Straif K, Baan R et al.: A review of human carcinogens – Part E: tobacco, areca nut, alcohol, coal smoke, and salted fish. Lancet Oncol. 2009 Nov;10(11):1033-4.
- Hak AE, Pols HA, Visser TJ et al.: Subclinical hypothyroidism is an independent risk factor for atherosclerosis and myocardial infarction in elderly women: The Rotterdam Study. Ann Intern Med 2000 (15. Februar); 132: 270-8
- Nawroth P et al.: Osteoporose und koronare Herzkrankheit – zwei Seiten der gleichen Münze? Medizinische Klinik Volume 98 (8), 437-446. doi: 10.1007/s00063-003-1283-8
- Reinhardt B et al.: Human cytomegalovirus infection impairs endothelial cell chemotaxis by disturbing VEGF signaling and actin-polymerization. Cardiovasc Res (2014) doi: 10.1093/cvr/cvu204
- Lee HJ et al.: Waist-to-hip ratio is better at predicting subclinical atherosclerosis than body mass index and waist circumference in postmenopausal women. doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.maturitas.2014.12.015
- West HW et al.: Exposure to parental smoking in childhood is associated with increased risk of carotid atherosclerotic plaque in adulthood: the cardiovascular risk in young Finns study. Circulation. 2015 Apr 7;131(14):1239-46. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.114.013485. Epub 2015 Mar 23.
- Haverich A, Kreipe HH: Ursachenforschung Arteriosklerose: Warum wir die KHK nicht verstehen. Dtsch Arztebl 2016; 113(10): A-426 / B-358 / C-358
- Chun S et al.: Sugar-sweetened Carbonated Beverage Consumption and Coronary Artery Calcification in Asymptomatic Men and Women. doi: http://dx.doi.org/10.1016/j.ahj.2016.03.018
- Haverich A: A Surgeon’s View on the Pathogenesis of Atherosclerosis. Circulation. 2017;135:205-207. doi https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.116.025407 Originally published January 16, 2017
- Ordovás J et al.: Association of Sleep Duration and Quality With Subclinical Atherosclerosis. Journal of the American College of Cardiology Volume 73, Issue 2, January 2019. http://www.onlinejacc.org/content/73/2/134.abstract
- Full KM et al.: Sleep Irregularity and Subclinical Markers of Cardiovascular Disease: The Multi‐Ethnic Study of Atherosclerosis Journal of the American Heart Association. 2023;12:e027361 https://doi.org/10.1161/JAHA.122.027361