Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) – Prävention
Zur Prävention der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) muss auf eine Reduktion individueller Risikofaktoren geachtet werden.
Verhaltensbedingte Risikofaktoren
- Ernährung
- Proinflammatorische Ernährung während der Schwangerschaft – Diese erhöht das Risiko für die Entwicklung von ADHS [8].
- Einfache, leicht resorbierbare Kohlenhydrate – Mono- und Disaccharide können ungünstig auf die kindliche Entwicklung wirken.
- Omega-6-Fettsäure Arachidonsäure – Vorkommen vor allem in Thunfisch und Schweinefleisch, mögliche ungünstige Auswirkungen auf die Hirnentwicklung.
- Trans-Fettsäuren – In frittierten Produkten, Backwaren, Süßigkeiten, Margarine und Milchprodukten enthalten, fördern entzündliche Prozesse.
- Glutenhaltige Lebensmittel – Getreide wie Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel, Grünkern und Hafer können bei genetischer Prädisposition die Symptome verstärken.
- Lakritzkonsum während der Schwangerschaft – Konsum von mehr als 500 mg Glycyrrhizinsäure erhöht das Risiko für ADHS um den Faktor 3,3 [5].
- Mikronährstoffdefizit an ungesättigten Fettsäuren (Omega-3-/Omega-6-Fettsäuren) – Ungesättigte Fettsäuren fördern die Hirnentwicklung. Eine Supplementierung während der Schwangerschaft wirkt möglicherweise positiv auf die kindliche Hirnentwickung [1, 2, 6, 7].
- Mikronährstoffdefizit an Zink – Ein Mangel an Zink beeinträchtigt kognitive und emotionale Entwicklungsprozesse [3, 4].
- Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – Siehe „Prävention mit Mikronährstoffen“.
- Genussmittelkonsum
- Alkohol während der Schwangerschaft – Erhöht das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen, einschließlich ADHS.
- Tabak (Rauchen) während der Schwangerschaft – Signifikant erhöhtes Risiko für ADHS.
- Psycho-soziale Situation
- Soziale Belastungen des Kindes – Vernachlässigung und instabile familiäre Verhältnisse sind wesentliche Risikofaktoren.
- Stress während der Schwangerschaft – Pränataler Stress beeinflusst die neurologische Entwicklung des Kindes negativ [8].
Präventionsfaktoren (Schutzfaktoren)
- Ernährung
- Omega-3-Fettsäuren – Regelmäßige Zufuhr durch fettreichen Fisch (z. B. Lachs, Makrele) oder Nahrungsergänzungsmittel fördert die Hirnentwicklung.
- Ausgewogene Ernährung in der Schwangerschaft – Vermeidung entzündungsfördernder Nahrungsmittel wie Trans-Fettsäuren und hoher Zuckerzufuhr.
- Mikronährstoffe
- B-Vitamine (v. a. B6, B9, B12) – Wirken synergistisch bei der Homocystein-Regulation und sind an der Synthese monoaminerger Neurotransmitter beteiligt. Bei defizitärer Ernährung kann eine Supplementierung erwogen werden, insbesondere in Schwangerschaft und Stillzeit.
- Zink – Essenziell für Neurotransmitterstoffwechsel, Synapsenfunktion und Neurogenese. Niedrige Zinkspiegel wurden mit erhöhter ADHS-Prävalenz in Verbindung gebracht. Die empfohlene tägliche Zufuhr für Schwangere liegt bei 10-11 mg/Tag. Eine adäquate Versorgung ist insbesondere im letzten Trimenon bedeutsam.
- Eisen – Eisenmangel beeinträchtigt die Myelinisierung und Dopaminaktivität. In Beobachtungsstudien war ein niedriger Ferritinspiegel (< 30 µg/l) mit ADHS assoziiert. Eine eisenreiche Ernährung oder Supplementierung bei Risikogruppen (z. B. vegetarische Ernährung, Frühgeburt) kann präventiv sinnvoll sein.
- Magnesium – Magnesium reguliert neuronale Erregbarkeit und die Stressreaktivität der HPA-Achse. Niedrige Spiegel korrelieren mit Hyperaktivitätssymptomatik. Eine Zufuhr von ≥ 250 mg/Tag im Kindesalter kann präventive Effekte entfalten, insbesondere bei nachgewiesenem Mangel.
- Omega-3-Fettsäuren (insbesondere DHA) – Docosahexaensäure (DHA) ist ein zentraler Baustein neuronaler Membranen. Eine mütterliche Supplementierung (≥ 200 mg DHA/Tag) während der Schwangerschaft und Stillzeit wird mit verbesserten kognitiven Funktionen des Kindes assoziiert. Eine Ernährung mit regelmäßiger Aufnahme fettreicher Seefische oder Supplementen (mind. 250 mg EPA+DHA/Tag) wird empfohlen.
- Genussmittelkonsum
- Verzicht auf Alkohol und Nikotin während der Schwangerschaft – Reduziert nachweislich das Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen.
- Förderung des Stillens – Stillen unterstützt die kognitive und emotionale Entwicklung und reduziert ADHS-Risiken.
- Psycho-soziale Unterstützung
- Stressreduktion während der Schwangerschaft – Techniken wie Yoga, Meditation oder psychologische Unterstützung können präventiv wirken.
- Stabile familiäre Verhältnisse – Förderung von Bindung und emotionaler Stabilität nach der Geburt.
- Stillen – Reduziert nachweislich das Risiko für die Entwicklung von ADHS und sollte gefördert werden [9].
Sekundärprävention
Die Sekundärprävention zielt darauf ab, ADHS frühzeitig zu erkennen und die Symptome gezielt zu behandeln.
- Früherkennung und Diagnostik
- Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen – Überprüfung der neurologischen Entwicklung bei Kindern durch Kinderärzte.
- Screening-Verfahren – Frühzeitige Identifikation von Verhaltensauffälligkeiten durch standardisierte Tests.
- Ernährungsinterventionen
- Anpassung der Ernährung – Einführung einer ausgewogenen Ernährung, die reich an Omega-3-Fettsäuren und arm an Zucker und Trans-Fettsäuren ist.
- Mikronährstoffbasierte Therapieansätze
- Zink – Bei ADHS-assoziierten Symptomen und Serum-Zink < 70 µg/dl ist eine Supplementierung (z. B. 10-20 mg/Tag über 8-12 Wochen) empfohlen. Studien zeigen eine signifikante Verbesserung von Hyperaktivität und Impulsivität bei Zinkmangel.
- Eisen – Bei Ferritinwerten < 30 ng/ml sollte Eisen substituiert werden. Es gibt Hinweise auf Zusammenhänge zwischen Eisenmangel und gesteigerter ADHS-Symptomatik (z. B. motorische Unruhe).
- Magnesium + Vitamin B6 – Die kombinierte Gabe zeigte in mehreren kleineren Studien synergistische Effekte bei Reizbarkeit und Schlafstörungen bei ADHS. Eine Anwendung ist v. a. bei nachgewiesenem Mangel zu prüfen.
- Omega-3-Fettsäuren (Eicosapentaensäure (EPA)/Docosahexaensäure (DHA)) – Interventionsstudien zeigen kleine bis moderate Effekte auf Aufmerksamkeitsdefizite (v. a. bei EPA ≥ 500 mg/Tag). Besonders bei Kindern mit niedrigen Ausgangswerten oder begleitender emotionaler Dysregulation kann eine therapeutische Wirkung auftreten.
- Individuelle Beratung
- Elternberatung – Schulung der Eltern über ADHS-Risikofaktoren und präventive Maßnahmen.
Tertiärprävention
Die Tertiärprävention konzentriert sich auf die langfristige Betreuung und die Vermeidung von Folgekomplikationen bei bestehendem ADHS.
- Langzeittherapie
- Multimodale Therapieansätze – Kombination aus Verhaltenstherapie, Elterntraining und, wenn nötig, medikamentöser Behandlung.
- Regelmäßige Verlaufskontrollen – Anpassung der Therapie durch Fachärzte.
- Unterstützende Maßnahmen
- Förderung von Selbstmanagement – Entwicklung von Strategien zur Selbstregulation und Organisation.
- Schulische Unterstützung – Individuelle Förderung durch Lehrkräfte und Schulpsychologen.
- Psychosoziale Unterstützung
- Selbsthilfegruppen – Austausch mit anderen Betroffenen zur emotionalen Unterstützung.
- Familientherapie – Stärkung des familiären Zusammenhalts und Bewältigung von Konflikten.
- Mikronährstoffbasierte Langzeitstrategien
- Vitamin D – Vitamin-D-Mangel (25(OH)D < 20 ng/ml) ist bei ADHS-Patienten häufig und mit verminderter exekutiver Kontrolle assoziiert; Langfristige Substitution auf Zielspiegel von 30-50 ng/ml sollte angestrebt werden (z. B. 1.000-2.000 IE/Tag).
- Zink – Zur Erhaltung stabiler Zinkspiegel und langfristigen Unterstützung kognitiver Kontrolle kann eine niedrig dosierte Erhaltungssupplementation (5-10 mg/Tag) sinnvoll sein – insbesondere bei einseitiger Ernährung oder erhöhtem Bedarf.
- Magnesium – Eine dauerhafte Supplementation (z. B. 200-300 mg/Tag) kann zur Reizkontrolle und Reduktion von Stresssymptomatik beitragen. Insbesondere bei komorbiden Schlafstörungen oder nervöser Unruhe bewährt.
- Omega-3-Fettsäuren (DHA/EPA) – Langzeiteinnahme (EPA ≥ 500 mg, DHA ≥ 200 mg/Tag) zeigt in kontrollierten Studien positive Effekte auf Exekutivfunktionen, Arbeitsgedächtnis und Impulsregulation – insbesondere bei fortbestehender Symptomatik trotz Pharmakotherapie.
Literatur
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- Johnson M, Ostlund S, Fransson G, Kadesjö B, Gillberg C (2009). Omega-3/omega-6 fatty acids for attention deficit hyperactivity disorder: a randomized placebo-controlled trial in children and adolescents. J Atten Disord 12 (5): 394-401.
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