Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) – Medikamentöse Therapie
Therapieziel
-
Verbesserung der Symptomatik (Krankheitszeichen)
Grundprinzipien der Therapieplanung (gemäß S3-Leitlinie)
- Kinder unter 6 Jahren
- Primär psychosoziale (einschließlich psychotherapeutische) Intervention (seelische Behandlung)
- Keine Pharmakotherapie (medikamentöse Behandlung) vor dem Alter von 3 Jahren
- ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) mit leichtem Schweregrad
- Primär psychosoziale (einschließlich psychotherapeutische) Intervention (seelische Behandlung)
- In Einzelfällen bei behandlungsbedürftiger residualer Symptomatik (Restbeschwerden) ergänzende Pharmakotherapie (medikamentöse Behandlung) möglich
- ADHS mit moderatem Schweregrad
- Entscheidung abhängig von individuellen Bedingungen des Patienten, Umfeld, Präferenzen und Behandlungsressourcen
- Nach umfassender Psychoedukation (aufklärende Schulung):
- Entweder intensivierte psychosoziale (einschließlich intensivierte psychotherapeutische) Intervention (seelische Behandlung)
- Oder pharmakologische Behandlung (Medikamentengabe)
- Oder Kombination beider Ansätze
- ADHS mit schwerem Schweregrad
- Primär Pharmakotherapie (medikamentöse Behandlung) nach intensiver Psychoedukation (aufklärende Schulung)
- Möglichkeit der Integration einer parallelen intensiven psychosozialen (einschließlich psychotherapeutischen) Intervention (seelische Behandlung)
- Bei residualer behandlungsbedürftiger Symptomatik (Restbeschwerden): psychosoziale (einschließlich psychotherapeutische) Interventionen (seelische Behandlungen) ergänzen
- Erwachsene mit ADHS
- Behandlung im multimodalen therapeutischen Gesamtkonzept (kombinierter Behandlungsplan) mit Kombination aus psychosozialen (seelischen) und pharmakologischen (medikamentösen) Interventionen
- Vor Behandlungsbeginn: ausführliche Psychoedukation (aufklärende Schulung)
- Weitere psychosoziale Interventionen (seelische Behandlungen) siehe unter „Weitere Therapie/Psychotherapie“
Therapieempfehlungen
- ADHS mit leichtem Schweregrad
- Primär psychosoziale (einschließlich psychotherapeutische) Intervention (seelische Behandlung)
- Medikamentöse Therapie bei moderater bzw. schwerer ADHS [S3-Leitlinie]
- Stimulanzien (anregende Arzneimittel)
- Methylphenidat (MPH; indirektes Sympathomimetikum) – Mittel der ersten Wahl
- Amphetamine – Mittel der zweiten Wahl
- Lisdexamfetamin (Prodrug aus der Stoffgruppe der Amphetamine) – kann alternativ eingesetzt werden
- Metaanalyse:
- Methylphenidat bei Kindern und Amphetamin bei Erwachsenen mit höherer Wirksamkeit
- Bei Kindern und Jugendlichen nur Methylphenidat und Modafinil mit signifikanter Überlegenheit gegenüber Placebo
- Bei Erwachsenen Wirksamkeit belegt für Amphetamine, Methylphenidat, Bupropion und Atomoxetin [3]
- Weitere Wirkstoffe (Arzneistoffe)
- Atomoxetin (Noradrenalin-Reuptake-Inhibitor) – indiziert bei ADHS mit koexistierenden Angststörungen oder wenn Stimulanzien ungeeignet/nicht verträglich
- Guanfacin (Alpha-2A-Rezeptor-Agonist) – Einsatz bei Kindern und Jugendlichen (6-17 Jahre) nur, wenn Stimulanzien nicht möglich/nicht vertragen/unwirksam
- Bei unzureichender Wirksamkeit ggf. trizyklische Antidepressiva oder Antipsychotika (Neuroleptika)
- Sicherheitsaspekte
- FDA-Hinweis: Unter Atomoxetin möglicherweise erhöhte Suizidalität (Selbstmordgefährdung) – engmaschige Beobachtung insbesondere zu Therapiebeginn empfohlen
- Schwedische Studie: Kein Zusammenhang zwischen ADHS-Pharmakotherapie (medikamentöser Behandlung) und erhöhter Suizidalität (Selbstmordgefährdung) [1]
- Wirksamkeitsaspekte
- Methylphenidat bei Erwachsenen psychologischer Gruppentherapie (Gesprächsbehandlung in der Gruppe) überlegen
- Zusätzliche Gruppentherapie verstärkt den Effekt der Medikation nicht [2]
- Stimulanzien (anregende Arzneimittel)
- Wichtiger Hinweis
- Keine Pharmakotherapie (medikamentöse Behandlung) ohne begleitende Psychotherapie/Verhaltenstherapie (seelische Behandlung)
- Siehe auch unter „Weitere Therapie“
Weitere Hinweise
- Modafinil ist ein Arzneistoff zur Behandlung der Narkolepsie (zwanghafte Schlafanfälle am Tag); aufgrund von Fallberichten besteht der Verdacht, dass die Anwendung von Modafinil in der Schwangerschaft zu schweren, angeborenen Fehlbildungen führen kann [4].
- Die Teratogenität von Modafinil wurde in einer bevölkerungsbasierten Studie bestätigt [5].
Fazit: keine Anwendung während der Schwangerschaft; Kontrazeption (Verhütung) ist notwendig, allerdings kann Modafinil die Wirksamkeit oraler Kontrazeptiva ("Pille") beeinträchtigen, deshalb sind alternative oder zusätzliche sichere Verhütungsmaßnahmen erforderlich. - AkdÄ Drug Safety Mail: Fallbericht eines 14-jährigen Jungen, der nach abruptem Absetzen eine Rebound-Hypertonie und ein posteriores Enzephaopathie-Syndrom entwickelte [6].
ADHS-Medikation reduziert Risikoverhalten
Eine bevölkerungsbasierte schwedische Registerstudie mit 148.581 Personen (6-64 Jahre) und Target-Trial-Emulation zeigt: Die medikamentöse Behandlung von ADHS senkt über zwei Jahre das Risiko für suizidales Verhalten (-17 %), Substanzmissbrauch (-15 %), Verkehrsunfälle (-12 %) und Kriminalität (-13 %); kein signifikanter Effekt bei erstmaligen unfallbedingten Verletzungen. Bei wiederkehrenden Ereignissen wurden signifikante Reduktionen für alle fünf untersuchten Endpunkte gefunden. Die Effekte waren stärker ausgeprägt bei Personen mit entsprechender Vorgeschichte und unter Stimulanzien im Vergleich zu Nicht-Stimulanzien [7].
Supplemente (Nahrungsergänzungsmittel; Vitalstoffe)
Geeignete Nahrungsergänzungsmittel für die Gesundheit von Nerven und Psyche sollten die folgenden Vitalstoffe enthalten:
- Vitamine (A, C, E, D3, B1, B2, Niacin (Vitamin B3), Pantothensäure (Vitamin B5), B6, B12, Folsäure, Biotin)
- Mineralstoffe (Kalium, Magnesium)
- Spurenelemente (Molybdän, Selen, Zink)
- Fettsäuren (Omega-3-Fettsäuren: Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA))
- Sekundäre Pflanzenstoffe (Beta-Carotin, Grüntee-Polyphenole, Epigallocatechingallate)
- Weitere Vitalstoffe (Coenzym Q10 (CoQ10), Phosphatidylserin, Fruchtsäuren – Citrat (gebunden in Magnesiumcitrat und Kaliumcitrat))
Bei Vorliegen einer Insomnie (Schlafstörung) infolge einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) s. u. Insomnie/Medikamentöse Therapie/Supplemente.
Beachte: Die aufgeführten Vitalstoffe sind kein Ersatz für eine medikamentöse Therapie. Nahrungsergänzungsmittel sind dazu bestimmt, die allgemeine Ernährung in der jeweiligen Lebenssituation zu ergänzen.
Für Fragen zum Thema Nahrungsergänzungsmittel stehen wir Ihnen gerne kostenfrei zur Verfügung.
Nehmen Sie bei Fragen dazu bitte per E-Mail – info@docmedicus.de – Kontakt mit uns auf, und teilen Sie uns dabei Ihre Telefonnummer mit und wann wir Sie am besten erreichen können.
Literatur
- Chen, Qi et al. Drug treatment for attention-deficit/hyperactivity disorder and suicidal behavior: register based study. BMJ 1014; online 18. Juni 2014
- Philipsen A et al.: Effects of Group Psychotherapy, Individual Counseling, Methylphenidate, and Placebo in the Treatment of Adult Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder. A Randomized Clinical Trial. JAMA Psychiatry. 2015;72(12):1199-1210. doi:10.1001/jamapsychiatry.2015.2146.
- Cortese S et al.: Comparative efficacy and tolerability of medications for attention-deficit hyperactivity disorder in children, adolescents, and adults: a systematic review and network meta-analysis. Lancet Psychiatry Published:August 07, 2018 doi:https://doi.org/10.1016/S2215-0366(18)30269-4
- Rote-Hand-Brief zu Modafinil: Mögliches Risiko schwerer angeborener Fehlbildungen. 09. 05. 2019
- Damkier P, Broe A: First-Trimester Pregnancy Exposure to Modafinil and Risk of Congenital Malformations. JAMA. 2020;323(4):374-376. doi:10.1001/jama.2019.20008
- AkdÄ Drug Safety Mail: Guanfacin: Rebound-Hypertonie und posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom nach abruptem Absetzen | AkdÄ Drug Safety Mail 2021–61
- Chang Z et al.: ADHD drug treatment and risk of suicidal behaviours, substance misuse, accidental injuries, transport accidents, and criminality: emulation of target trials. BMJ. 2025;390:e083658. doi:10.1136/bmj-2024-083658
Leitlinien
- S2e-Leitlinie: Aufmerksamkeitsstörungen, Diagnostik und Therapie. (AWMF-Registernummer: 030 - 135), Oktober 2011 Langfassung
- S3-Leitlinie: ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. (AWMF-Registernummer: 028-045), Mai 2017 Kurzfassung Langfassung