Erythrozyten

Erythrozyten (rote Blutkörperchen) sind kernlose Blutzellen, die für den Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid zwischen Lunge (Atemorgan) und Körpergeweben verantwortlich sind. Sie entstehen im Knochenmark (Ort der Blutbildung) im Rahmen der Erythropoese (Bildung roter Blutkörperchen) und stellen den zahlenmäßig größten zellulären Anteil des Blutes dar.

Die Produktion der Erythrozyten wird durch das Hormon Erythropoetin (EPO) (blutbildendes Hormon) stimuliert und reguliert. Erythropoetin wird beim Erwachsenen überwiegend in der Niere gebildet (ca. 85-90 %, vor allem durch peritubuläre interstitielle Zellen) sowie zu etwa 10-15 % in der Leber durch Hepatozyten (Leberzellen). Die Erythropoese unterliegt einer engen Regulation durch den Sauerstoffpartialdruck (Sauerstoffgehalt) im Gewebe.

Erythrozyten dienen primär dem Transport von Sauerstoff zu den Körpergeweben sowie dem Rücktransport von Kohlendioxid zur Lunge.

Der Durchmesser eines Erythrozyten beträgt etwa 7,5 µm. Die Dicke liegt bei ca. 2 µm am Rand und etwa 1 µm im zentralen Bereich, was die charakteristische bikonkave Form (beidseitig eingedellte Form) erklärt.

Die durchschnittliche Lebensdauer eines Erythrozyten beträgt etwa 120 Tage. Der Abbau erfolgt überwiegend im retikuloendothelialen System (Abwehr- und Filtersystem), insbesondere in Milz, Leber und Knochenmark.

Synonyme

  • Rote Blutkörperchen
  • Erythrozytenzahl
  • Erythrozytenkonzentration

Das Verfahren

  • Benötigtes Material: EDTA-Blut (in der Regel 2-3 ml; Bestimmung im Rahmen des kleinen Blutbildes)
  • Vorbereitung des Patienten: Keine spezielle Vorbereitung erforderlich
  • Störfaktoren:
    • Hämokonzentration (Bluteindickung) oder Hämodilution (Blutverdünnung) (z. B. Dehydratation (Flüssigkeitsmangel), Volumeninfusionen (Infusionen))
    • Akute Blutverluste
    • Höhenaufenthalt
    • Schwangerschaft
    • Präanalytische Fehler (Fehler vor der Messung) (unzureichendes Mischen des EDTA-Röhrchens, Gerinnsel (Blutklümpchen))
  • Methode:
    • Automatisierte Zählung mittels Hämatologie-Analysegeräten (Blut-Analysegeräte) (Impedanz- oder optische Durchflusszytometrie)
    • Ergänzende morphologische Beurteilung im Blutausstrich bei Auffälligkeiten

Normbereiche (je nach Labor)

Subgruppe / Geschlecht / Alter Referenzbereich
Männer 4,5-5,9 Mio/µl
Frauen 4,0-5,5 Mio/µl

Begleitparameter im Erythrozytensystem (typische Referenzbereiche)

Parameter Referenzbereich Männer Referenzbereich Frauen
Hämoglobin 14-18 g/dl 12-16 g/dl
Hämatokrit ca. 0,40-0,52 ca. 0,37-0,47
MCV 80-100 fl 80-100 fl
MCH 28-33 pg 28-33 pg
MCHC 32-36 g/dl 32-36 g/dl
RDW ca. 11,5-14,5 % ca. 11,5-14,5 %

Normbereiche sind methoden- und laborabhängig.

Legende und erythrozytäre Indizes

  • Polyglobulie (Synonym: Erythrozytose) (zu viele rote Blutkörperchen) – Erhöhung der Erythrozytenzahl über den physiologischen Normwert.
  • MCH (mean corpuscular hemoglobin) – mittlerer Hämoglobingehalt pro Erythrozyt; Differenzierung der Anämie (Blutarmut) in hypo-, normo- und hyperchrome Formen (blass, normal, stark gefärbt).
  • MCV (mean corpuscular volume) – mittleres Erythrozyteneinzelvolumen; Einteilung in mikro-, normo- und makrozytäre Anämien.
    • Berechnung: MCV = Hämatokrit / Erythrozytenzahl
    • Rechnerischer Zusammenhang: MCV = MCH / MCHC
    • Hinweis: Bei älteren Patienten bestehen häufig Variationen des MCV, wodurch die pathogenetische Zuordnung erschwert sein kann.
    • Makrozytose (vergrößerte rote Blutkörperchen): MCV > 100 fl bei meist nahezu normaler Hämoglobinkonzentration.
  • MCHC (mean corpuscular hemoglobin concentration) – mittlere Hämoglobinkonzentration der Erythrozytenmasse.
    • Berechnung: MCHC = Hämoglobin / Hämatokrit bzw. MCH / MCV
  • RDW (red cell distribution width, Erythrozytenstreubreite) – Maß für die Größenvariabilität der Erythrozyten.

Einteilung der Anämie nach MCV

  • < 80 fl: mikrozytäre Anämie
  • 80-100 fl: normozytäre Anämie
  • > 100 fl: makrozytäre Anämie

RDW – klinische Interpretation

  • Erhöhte RDW-Werte
    • Hinweis auf Anisozytose (ungleiche Zellgrößen)
    • Assoziiert mit erhöhter Mortalität (Sterblichkeit) bei älteren Patienten [1]
  • Erniedrigte RDW-Werte
    • Häufiger bei Makro- oder Mikrozytose

Erythrozytenmorphologie

  • Basophile Tüpfelung (punktförmige Einschlüsse) – feine basophile Granula in Erythrozyten; typisch bei mikrozytärer Anämie (MCV < 80) und bei Bleivergiftung-
  • Dakrozyten (tränenförmige rote Blutkörperchen) (Tränentropfen-Erythrozyten) – tropfenförmige Erythrozyten; typische Ursachen sind autoimmunhämolytische Anämie (AIHA), Myelofibrose/Osteomyelofibrose, myeloproliferative Syndrome und Knochenmarkskarzinose.
  • Fragmentozyten/Schistozyten (Bruchstücke roter Blutkörperchen) – mechanisch geschädigte Erythrozyten; Ausschluss thrombotischer Mikroangiopathien (Erkrankungen kleiner Blutgefäße) wie thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) oder (atypisches) hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) obligat.
  • Geldrollenbildung (Pseudoagglutination) (kettenartige Anordnung) – Folge erhöhter Plasmaproteine oder hoher Thrombozytenzahlen; typisch bei Paraproteinämien wie multiplem Myelom sowie bei Kryoglobulinämien.
    • Hinweis: Kryoglobuline finden sich bei zahlreichen Infektions- und Autoimmunerkrankungen.
  • Megalozyten (sehr große rote Blutkörperchen) – vergrößerte, meistens ovale Erythrozyten (> 8 µm); typisch bei Reifungsstörungen der Erythropoese (Vitamin-B12-Mangel, Folsäuremangel, selten Kupfermangel); weitere Assoziationen sind myelodysplastisches Syndrom (MDS), Alkoholismus, Hypothyreose und Lebererkrankungen.
  • Hereditäre Sphärozytose (Kugelzellanämie) (angeborene Kugelzellen-Blutarmut) – angeborene hämolytische Anämie mit normochromen, normozytären Erythrozyten (MCV 80-100).

Indikationen 

  • Basisdiagnostik im Rahmen des kleinen Blutbildes
  • Abklärung von Anämien
  • Abklärung erhöhter Hämoglobin- oder Hämatokritwerte (Verdacht auf Polyglobulie/Erythrozytose)
  • Verlaufskontrolle bei chronischen Erkrankungen
  • Therapiekontrolle (z. B. Eisen-, Vitamin-B12- oder Folsäuresubstitution, Erythropoetin-Therapie)
  • Beurteilung der Blutbildung bei Nieren-, Leber- oder Knochenmarkerkrankungen

Interpretation

  • Erhöhte Werte
    • Primäre Polyglobulie (z. B. Polycythaemia vera)
    • Sekundäre Erythrozytose bei chronischer Hypoxie (z. B. Lungenerkrankungen, Schlafapnoe, Höhenaufenthalt)
    • Erythropoetin-Überproduktion (z. B. bei Nierenerkrankungen oder Erythropoetin-produzierenden Tumoren)
    • Relative Erythrozytose bei Flüssigkeitsmangel
  • Erniedrigte Werte
    • Anämien unterschiedlicher Genese (z. B. Eisenmangel, Vitamin-B12- oder Folsäuremangel)
    • Akute oder chronische Blutverluste
    • Knochenmarkerkrankungen (z. B. aplastische Anämie, myelodysplastische Syndrome (MDS))
    • Chronische Entzündungen oder chronische Nierenerkrankungen

Literatur

  1. Pérez-Martín A, et al. Red cell distribution width and mortality following hospital discharge in patients over 70 years of age. Med Clin (Barc). 2014;143(2):49-56. https://doi.org/10.1016/j.medcli.2013.05.027