Neutrophile Granulozyten

Neutrophile Granulozyten sind zelluläre Bestandteile des Blutes. Sie sind eine Untergruppe der Leukozyten (weiße Blutkörperchen) und werden zum unspezifischen, angeborenen Immunsystem gezählt.

Der stabkernige Granulozyt ist die vorletzte Reifestufe der Granulopoese (zelluläre Entwicklung von Granulozyten), er ist durch einen stabförmigen, unsegmentierten Zellkern charakterisiert.
Der segmentkernige Granulozyten ist die letzte Reifestufe der Granulopoese, er ist durch einen segmentierten Zellkern charakterisiert. Die segementkernigen Graulozyten sind die im peripheren Blut am häufigsten vorkommende Form von Granulozyten.

Die neutrophile Granulozyten werden im Rahmen der Differenzierung der Leukozyten bestimmt (s. u. "Differentialblutbild").

Das Verfahren

Benötigtes Material

  • 4 ml EDTA-Blut (gut mischen!); bei Kindern mind. 0,25 ml

Vorbereitung des Patienten

  • Nicht nötig

Störfaktoren

  • Keine bekannt

Indikationen

  • Akute und chronische Erkrankungen
  • Maligne (bösartige) Neubildungen

Normwerte

Alter
Absolutwerte
Prozentualer Anteil
(an Gesamt-Leukozytenzahl)
  Neutrophile stabkernige Granulozyten Neutrophile segmentkernige Granulozyten Neutrophile stabkernige Granulozyten Neutrophile segmentkernige Granulozyten
Säuglinge 0-1.500/μl 2.250-9.750/μl 0-10 % 22-65 %
Kinder 0-1.200/μl 2.000-7.800/μl 0-10 % 25-65 %
Erwachsene* 150-400/μl 3.000-5.800/μl 3-5 % 50-70 %

Interpretation

Interpretation erhöhter Werte (Neutrophilie)

  • Stress
  • Akute Erkrankungen
    • Hämorrhagie (Blutungen)
    • Hämolyse (Auflösung von roten Blutkörperchen)
    • kardiovaskulär (z. B. Myokardinfarkt, siehe Herzinfarkt-Diagnostik)
    • Verbrennungen
    • Intoxikationen (Vergiftungen)
  • Akute und chronische Entzündungsreaktionen
  • Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) (30-50 % und mehr; korreliert mit einer schlechten Lungenfunktion)
  • Autoimmunerkrankungen
  • Cushing-Syndrom – Gruppe von Erkrankungen, die zum Hyperkortisolismus (Hypercortisolismus) führen
  • Maligne Neubildungen
    • Chronische myeloische Leukämie (CML)
    • Metastasierende Malignome
    • Myeloproliferative Erkrankungen
    • Osteomyelosklerose
    • Polycythaemia vera (PV), benigne familiäre Polyzythämie; Störung der erythropoetischen Stammzelle; autonome Proliferation der drei Zellreihen
  • Medikamente
    • Epinephrin
    • Glucocorticoide
    • Hormonelle Kontrazeptiva
    • Lithium 

Interpretation erniedrigter Werte (Neutropenie)

  • Infektionen
    • Bakterien
      • Brucellose
      • Tuberkulose
    • Parasiten
      • Malaria
      • viszerale Leishmaniose (Synonyme: Kala-Azar; Orientbeule; auch bekannt als Dum-Dum-Fieber oder Schwarzes Fieber)
    • Viren; in einer Studie wurden in den vier Jahren nach der Blutanalyse bei 0,8 % der Teilnehmer mit normalen Neutrophilenwerten schwerwiegende virale Erkrankungen festgestellt; bei zuvor nachgewiesenen Vorliegen einer Neutropenie, war der Anteil um das drei- bis sechsfache höher [1]
      • Hepatitis-Viren
      • HIV
    • Weitere viralbedingte Neutropenien: Grippe-, Masern-, Röteln-, Ringelröteln (Parvovirus B19), Varizellen-, Epstein-Barr-Virus
  • Malnutrition: z. B. Vitamin-B12-, Folsäure-, Eisen-, Kupfermangel
  • Leukämien; in einer Studie erkrankten in den vier Jahren nach der Blutanalyse 0,4 % der Teilnehmer mit Neutrophilen im Referenzbereich an einer hämatologischen Erkrankung, bei denjenigen mit Neutropenie lag der Anteil zwischen 2 und 38 % [1]
    • akute myeloische Leukämie (AML)
    • myelodysplastisches Syndrom (MDS)
  • Solide Tumoren; ein Tumor wurde vor allem diagnostiziert, wenn die Neutropenie mit erhöhten CRP-Werten einherging; in solchen Fällen war die Tumorrate ca. vierfach höher als bei Neutropenie und normalen CRP-Werten [1]
  • Medikamentös-induzierte Autoimmunneutropenie: z. B. β-Lactam-Antibiotika, Analgetika (Schmerzmittel), Malariamittel, Protonenpumpenhemmer (Protonenpumpeninhibitoren, PPI; Häufigkeit: selten), Thyreostatika (Medikamente, die die Schilddrüsenhormonbildung unterdrücken); zytostatikainduzierte Neutropenie (im Rahmen einer Krebstherapie)
  • Angeborene Neutropenien

Weitere Hinweise

  • Toxische Neutrophile: bakterielle Infektionen (80 % Sensitivität)
  • Neutropenie:
    • < 1.000/µl = erhöhte Infektionsgefährdung 
    • < 500/µl kommt es regelmäßig zu schweren (bakteriellen) Infektionen (Gingivitiden (Zahnfleischentzündungen) und Ulzerationen/Geschwürbildung der Mundschleimhaut, rezidivierende Otitis media (wiederkehrende Mittelohrentzündungen), Tonsillitiden (Mandelentzündungen) und Hautabszesse) bis zur Sepsis (= schwere chronische Neutropenie (SCN))
      • weitere mögliche Symptomen sind:
        • Verminderung anderer Blutzellreihen, aber auch Organfehlbildungen, Gedeihstörung, Stoffwechselstörungen, Immunphänomene und Virusinfektionen
      • Diagnostik: Suche nach antigranulozytären Antikörper
      • 4 Jahre nach Feststellung einer schweren Neutropenie waren mehr als 52 % der Patienten verstorben [1]
  • Agranulozytose (schwerste Form einer Granulozytopenie; Verminderung der Granulozyten auf unter 500 Zellen/µl Blut bzw. fast vollständiges Fehlen der neutrophilen Granulozyten); häufige Auslöser sind:
    • Analgetika
      • nichtsaure Analgetika (Metamizol)
      • nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR; Diclofenac, Ibuprofen)
    • Antiarrhythmika (Chinidin; Ajmalin, Amiodaron)  
    • Antibiotika
      • Ampicillin
      • Cefotaxim
      • Cefuroxim
      • Clindamycin (bei Anwendung länger als 3 Wochen regelmäßig Blutbild kontrollieren)
      • Cotrimoxazol
      • Flucytosin
      • Fusidinsäure
      • Imipenem/Cilastatin
      • Lincomycin (bei Anwendung länger als 3 Wochen regelmäßig Blutbild kontrollieren)
      • Nafcillin
      • Oxacillin
      • Penicillin G
      • Sulfasalzin
      • Sulfone (Dapson)
    • Antidiabetika (Sulfonylharnstoff-Antidiabetika)
    • Antiepileptika (Phenytoin)
    • Antimalariamittel (Chinin)
    • Antiprotozoika
      • Nitroimidazole (Benznidazol)
    • Darmtherapeutika (Cimetidin, Mesalazin, Metoclopramid)
    • Deferipron (1 %), erneute Behandlung mit Deferipron kontraindiziert
    • Goldverbindungen (Natriumaurothiomalat)
    • Intestinaler Entzündungshemmer (Sulfasalzin)
    • Mitoxantron
    • Monoklonale Antikörper (Adalimumab, Alemtuzumab)
    • Neuroleptika (Clozapin: 0,8-2 %, davon zu 70-80 % in den ersten 18 Behandlungswochen mit Gipfel in 6.-10. Behandlungswoche, 90 % im ersten Jahr; Granulozytopenie 3%)
    • Psychopharmaka (Clozapin, Fluoxetin)
    • Thyreostatika (Carbimazol, Propylthiouracil, Thiamazol)
    • Ticlopidin-HCI
    • Virostatika (Boceprevir, Didanosin)
    • Zytostatika (Cyclophosphamid, Fluorouracil, Methylthiouracil (1-3 %))
  • Symptome
    • Fieber
    • Odynophagie – Schmerzen in Mund, Rachen oder in der Speiseröhre beim Schlucken von Flüssigkeiten oder festen Speisen
    • Schleimhaut-/Tonsillenulzerationen (Angina agranulocytotica: Entzündung des lymphatischen Rachenrings, die mit Ulzerationen (Geschwüren) einhergeht und eine Agranulozytose anzeigt)
    • Schweres Krankheitsgefühl
    • Bakterielle Infektionen mit Fieber, Schüttelfrost und Tachykardie (zu schneller Herzschlag: > 100 Schläge pro Minute)
    • Sepsis (Blutvergiftung)

Literatur

  1. Andersen CL et al.: Prevalence and clinical significance of neutropenia´discovered in routine complete blood cell counts: a longitudinal study. doi: 10.1111/joim.12467

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Onkologische Grunderkrankung, Fieber und Granulozytopenie (mit febriler Neutropenie) außerhalb der allogenen Stammzelltransplantation, Diagnostik und Therapie bei Kindern. (AWMF-Registernummer: 048 - 014), Januar 2016 Kurzfassung Langfassung