Bisphenol A (BPA)
Bisphenol A (BPA) ist eine synthetisch hergestellte, weitverbreitete Industriechemikalie, die hauptsächlich in der Produktion von Polycarbonatkunststoffen und Epoxidharzen (Kunstharzen) eingesetzt wird. BPA wirkt als endokriner Disruptor (hormonähnlich wirkender Schadstoff) und kann in den Hormonhaushalt des Menschen eingreifen. In der Labordiagnostik (Untersuchung von Körpermaterialien im Labor) dient BPA der biomonitoring-gestützten Abschätzung einer Belastung mit Umweltchemikalien, insbesondere im Rahmen der Umweltmedizin (medizinische Bewertung von Umweltfaktoren).
Synonyme
- 2,2-Bis(4-hydroxyphenyl)propan
- Diphenylolpropan
- BPA
Vorkommen und Expositionsquellen
- Lebensmittelkontaktmaterialien – Migration von BPA aus Polycarbonatbehältern, Konservendosen (Innenbeschichtung), Trinkflaschen oder Beschichtungen von Getränkedosen
- Thermopapier – Kassenzettel, Parkscheine und Tickets als bedeutende Quelle für Hautkontakt
- Hausstaub und Innenraumluft – Freisetzung aus Kunststoffen, Farben, Versiegelungen und elektronischen Geräten
- Trinkwasser – Gelegentlicher Eintrag über kontaminierte Leitungen oder Kunststoffkomponenten in Aufbereitungssystemen
- Berufliche Exposition (berufsbedingter Kontakt) – Erhöhte Belastung bei Beschäftigten in der Kunststoffindustrie, Papierverarbeitung, Recyclinganlagen
Toxikologie und gesundheitliche Wirkung
- Endokrine Disruption (Störung des Hormonsystems) – Nachweis hormonähnlicher Wirkungen auf Östrogen- und Androgenrezeptoren (Hormonbindungsstellen); mögliche Effekte auf Fortpflanzung, Schilddrüse und Fettstoffwechsel
- Neurologische Effekte (Auswirkungen auf das Nervensystem) – Hinweise auf Auswirkungen auf Hirnentwicklung, Verhalten und kognitive Funktionen bei intrauteriner Exposition (während der Schwangerschaft)
- Reproduktionstoxizität (Fruchtbarkeitsschädigung) – Verminderte Spermienqualität, Menstruationsstörungen, Endometriose-ähnliche Veränderungen
- Immunmodulation (Beeinflussung des Immunsystems) – Hinweise auf entzündungsfördernde Effekte und mögliche Rolle bei Autoimmunerkrankungen
- Metabolisches Syndrom (Stoffwechselstörung) – Assoziation mit Adipositas (Fettleibigkeit), Insulinresistenz und Leberverfettung
Umweltrelevanz
- Persistenz (Umweltbeständigkeit) – BPA ist nicht vollständig biologisch abbaubar, kann in Kläranlagen nur unvollständig entfernt werden
- Ökotoxizität (Schädlichkeit für Tiere und Pflanzen) – Schädlich für Wasserorganismen, insbesondere Fische, Amphibien und Schnecken; Beeinflussung der Fortpflanzung
- Verbreitung über Abwasser und Müllverbrennung – Eintritt in Umwelt über Kunststoffabfälle, Deponiesickerwasser, Verbrennungsrückstände
- Bioakkumulation (Anreicherung im Körper) – Geringe Anreicherung im Menschen, aber kontinuierliche Aufnahme durch Umweltkontakt führt zu chronischer Belastung
Das Verfahren
- Benötigtes Material
- Spoturin (einzelne Urinprobe am Morgen, idealerweise Mittelstrahlurin)
- 24-Stunden-Urin (gesammelter Urin über 24 Stunden zur genaueren Belastungserfassung)
- Vorbereitung des Patienten
- Vermeidung von Kontakt mit kunststoffverpackten Lebensmitteln vor der Probeentnahme (wenn expositionsdiagnostisch relevant)
- Keine spezielle Vorbereitung erforderlich
- Störfaktoren
- Kunststoffe in Probengefäßen (Verunreinigung)
- Lipidhaltige Diät vor Probenentnahme (BPA ist fettlöslich)
- Lagerung in Kunststoffbehältern ohne BPA-freie Spezifikation
- Methode
- Hochleistungsflüssigkeitschromatographie mit Tandem-Massenspektrometrie (HPLC-MS/MS; hochpräzises chemisches Analyseverfahren)
- Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS; Trenn- und Nachweisverfahren für flüchtige Stoffe)
- Bestimmung erfolgt meist im Rahmen von Umwelt- oder Human-Biomonitoring-Programmen (Beobachtung körperfremder Stoffe im Menschen)
Normbereiche (je nach Labor)
Altersgruppe / Zustand | Referenzbereich BPA im Urin* |
---|---|
Allgemeinbevölkerung (Erwachsene) | < 2,0 µg/g Kreatinin |
Kinder | < 1,0 µg/g Kreatinin |
erhöhte Werte (Exposition) | > 5,0 µg/g Kreatinin |
*Die Messung erfolgt meist als Korrekturwert bezogen auf Kreatinin (Abbauprodukt im Urin zur Vergleichbarkeit der Werte).
Normbereiche sind methoden- und laborabhängig
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Überprüfung einer erhöhten Umweltbelastung bei unklaren hormonellen Störungen
- Diagnostik bei Verdacht auf endokrine Disruption (Beeinträchtigung des Hormonsystems) – z. B. bei Fruchtbarkeitsstörungen, Übergewicht, verfrühter Pubertät
- Umweltmedizinisches Screening bei Kindern, Schwangeren und sensiblen Bevölkerungsgruppen
- Begleitdiagnostik bei multipler chemischer Sensitivität (MCS; Unverträglichkeit gegenüber Chemikalien) oder chronischem Erschöpfungssyndrom (CFS)
Interpretation
- Erhöhte Werte
- Aufnahme durch verpackte Lebensmittel, Trinkwasser aus Kunststoffleitungen oder Getränkeflaschen
- Berufsbedingte Exposition in der Kunststoff- und Thermopapierverarbeitung
- Aufbewahrung und Erwärmung von Lebensmitteln in BPA-haltigen Behältern
- Erniedrigte Werte
- Keine relevante Exposition
- Gute Entgiftung durch körpereigene Enzyme (Glucuronidierung, Sulfatierung)
- Spezifische Konstellationen (optional)
- Kombination mit anderen Umweltparametern wie Phthalaten (weichmacherartige Substanzen), Nonylphenol, Schwermetallen (z. B. Blei, Cadmium)
- Kombination mit endokrinen Laborparametern (z. B. Estradiol, Testosteron, SHBG) zur besseren Beurteilung der hormonellen Wirkung
Weiterführende Diagnostik
- Ergänzende Bestimmung weiterer hormonwirksamer Substanzen (z. B. Phthalate, Parabene)
- Hormonuntersuchungen bei Verdacht auf hormonelle Störungen
- Prüfung der körpereigenen Entgiftungskapazität: z. B. Glutathion, Sulfotransferasen, UDP-Glucuronosyltransferasen
- Umweltanamnese (gezielte Befragung zu Umweltbelastungen) – z. B. beruflicher Kontakt, häusliches Umfeld, Ernährungsgewohnheiten
Literatur
- Rochester JR. Bisphenol A and human health: A review of the literature. Reprod Toxicol. 2013;42:132-155. https://doi.org/10.1016/j.reprotox.2013.08.008
- Vandenberg LN et al. Human exposure to bisphenol A (BPA). Reprod Toxicol. 2007;24(2):139-177. https://doi.org/10.1016/j.reprotox.2007.07.010
- Koch HM, Calafat AM. Human body burdens of chemicals used in plastic manufacture. Philos Trans R Soc Lond B Biol Sci. 2009;364(1526):2063-2078. https://doi.org/10.1098/rstb.2008.0208