Umweltanalytik

Die Umweltanalytik bildet die methodische Grundlage des humanbiologischen Monitorings und ist somit ein integraler Bestandteil der Umweltmedizin. Sie umfasst die qualitative und quantitative Bestimmung umweltrelevanter Schadstoffe, ihrer Metaboliten und biologischer Effekte im menschlichen Körper. Das Biomonitoring nutzt diese analytischen Verfahren, um individuelle Schadstoffbelastungen zu erfassen und im medizinisch-toxikologischen Kontext zu bewerten. Im Vordergrund steht dabei die Verknüpfung exakter Laboranalysen mit der klinisch orientierten Umweltanamnese, um potenziell umweltbedingte Krankheitsursachen zu identifizieren und risikoadaptierte Folgeuntersuchungen einzuleiten.

Medizinische Zielsetzungen

  • Expositionsabschätzung – Bestimmung der individuellen Körperlast mit relevanten Umweltchemikalien
  • Gesundheitliche Risikobewertung – Korrelation der ermittelten Biomarker mit bekannten toxikologischen Schwellenwerten (z. B. HBM-Werte)
  • Verlaufskontrolle – Einsatz bei chronischer Exposition oder im Rahmen medizinisch begleiteter Sanierungsmaßnahmen
  • Schutz empfindlicher Patientengruppen – Anwendung insbesondere bei Schwangeren, Kleinkindern, Patienten mit Grunderkrankungen sowie beruflich Exponierten

Klinisch relevante Kategorien des Biomonitorings

  • Belastungsmonitoring – Erfassung exogener Stoffe und ihrer Metaboliten im biologischen Material (z. B. Blut-, Urinuntersuchung auf Schwermetalle oder Phthalate)
  • Effektmonitoring – Nachweis von Veränderungen biologischer Systeme, z. B. oxidativer Stress, Enzyminduktion oder DNA-Schäden
  • Suszeptibilitätsmonitoring – Untersuchung individueller Vulnerabilität gegenüber Umweltstoffen, z. B. durch Genpolymorphismen (z. B. GSTM1, CYP1A1) oder epigenetische Marker

Erfasste Stoffgruppen und Einzelsubstanzen

1. Organische Umweltchemikalien

2. Schwermetalle (zumeist im Blut oder 24h-Urin bestimmt)

  • Aluminium
  • Blei
  • Cadmium
  • Chrom
  • Cobalt
  • Eisen
  • Kupfer
  • Mangan
  • Quecksilber
  • Thallium
  • Zink

Diese Schwermetalle, die zumeist im Blut oder 24-Stunden-Urin bestimmt werden, weisen in Abhängigkeit von Konzentration und Expositionsdauer ein breites Spektrum toxischer Wirkungen auf. Zu den klinisch bedeutsamen Effekten zählen insbesondere nephrotoxische (nierenschädigend), neurotoxische (nervenschädigend), hämatotoxische (Blutzellen-schädigend) und potenziell kanzerogene (krebserregend) Reaktionen. Bevorzugt betroffene Zielorgane sind die Niere, die Leber, das zentrale Nervensystem sowie das blutbildende System.

Laborparameter im Biomonitoring: Umweltgifte, Schwermetalle und Schadstoffmarker im Überblick

Parameter Stoffgruppe Analytisches Material Bemerkung
Aluminium Schwermetall Blut, Urin Neuro- und nephrotoxisch
Arsen Schwermetall Urin, Haare Karzinogen, DMPS-testfähig
Blei Schwermetall Blut, Urin Hämatotoxisch, neurotoxisch
Cadmium Schwermetall Blut, Urin Nephrotoxisch, kanzerogen
Chrom Schwermetall Blut, Urin Chrom VI kanzerogen
Cobalt Schwermetall Blut, Urin Allergisierend, toxisch
Eisen Spurenelement Blut Referenzparameter
Kupfer Spurenelement Blut Referenzparameter, Leberdiagnostik
Mangan Schwermetall Blut, Urin Neurotoxisch bei Überexposition
Quecksilber Schwermetall Blut, Urin, Haare Neurotoxisch, DMPS-testfähig
Thallium Schwermetall Urin Hochtoxisch
Zink Spurenelement Blut, Urin Bestandteil antioxidativer Systeme
Bisphenol A (BPA) Endokriner Disruptor Urin Hormonaktive Wirkung
DEHP-Metabolite Phthalate Urin Reproduktions- und Lebertoxizität
PFOA, PFOS PFAS Serum Immunmodulierend, persistent
Glyphosat Pestizid Urin Breitenwirkendes Herbizid
Chlorpyrifos-Metabolite Pestizid Urin Neurotoxisch
3-PBA Pyrethroid-Metabolit Urin Insektizidbelastung
NDMA, NDEA Nitrosamine Urin, Blut Potenziell kanzerogen
Formaldehyd-Addukte Aldehyde Blut Kontakt- und Atemwegsallergen
Styrol-MA, PGA Lösungsmittelmetabolite Urin ZNS-toxisch
Toluol, Xylol, Benzol-Metabolite Lösungsmittel Urin, Blut Kanzerogenität (Benzol)
PBDE Flammschutzmittel Serum, Muttermilch Lipophil, neurotoxisch
PCB-Kongenere Chlororganische Verbindungen Serum Kanzerogen, persistent
Dioxine/Furane (TEQ) Chlororganische Verbindungen Serum Sehr langlebig, hochtoxisch
Mikroplastik-Nachweis Polymere Stuhl Noch nicht standardisiert
8-OH-dG Oxidativer Stressmarker Urin, Blut DNA-Schädigung
Malondialdehyd (MDA) Lipidperoxidation Serum, Plasma Indikator für Zellstress
GSH/GSSG-Quotient Antioxidatives System Blut Redoxstatus
Hämoxygenase-1 Enzyminduktion Blut Zelluläre Stressantwort
GST-Aktivität Detoxifikation Blut Effektmarker für Toxine
GSTM1, GSTT1, CYP1A1 Genpolymorphismen EDTA-Blut (DNA) Einfluss auf Metabolisierung
LINE-1-Methylierung Epigenetik EDTA-Blut (DNA) Marker für Umwelteffekte
DMPS-Test (Urin) Diagnostikverfahren Urin nach Provokation Mobilisierung von Schwermetallen

DMPS-Test

DMPS (Dimercaptopropansulfonsäure) ist ein Chelatbildner zur Provokationsdiagnostik bei vermuteter Schwermetallbelastung, insbesondere durch Quecksilber, Blei oder Arsen. Nach oraler oder intravenöser Gabe wird die Metallmobilisierung über die Urinausscheidung erfasst. Der Vergleich mit Referenzwerten erlaubt eine orientierende Einschätzung der Körperlast. Die Befundinterpretation erfolgt stets im Kontext von Klinik und Anamnese.

Matrixwahl und Probenmaterialien in der Umweltmedizin

Die Auswahl der Untersuchungsmatrix richtet sich in der Umweltmedizin nach der zu detektierenden Substanzgruppe, der vermuteten Expositionsdauer und dem klinischen Ziel der Diagnostik:

  • Blut – bevorzugt für Schwermetalle, polychlorierte Biphenyle (PCB), Dioxine und Lösungsmittel; geeignet zur Einschätzung akuter oder subchronischer Belastungen
  • Urin – Standardmatrix zur Erfassung wasserlöslicher Schadstoffe wie Phthalate, Bisphenole, Pestizide oder Schwermetalle; gut für Verlaufskontrollen
  • Haare/Nägel – retrospektive Langzeitindikatoren, insbesondere für Quecksilber oder Arsen bei chronischer Exposition
  • Muttermilch – entscheidend zur Beurteilung der kindlichen Belastung mit persistenten organischen Schadstoffen wie PCB oder Dioxinen
  • Stuhl – ergänzend bei Nachweis von Mikroplastik oder zur Einschätzung enterohepatischer Eliminationsprozesse

Analytische Verfahren

In der umweltmedizinischen Diagnostik kommen hochsensitive, standardisierte Verfahren zum Einsatz:

  • Massenspektrometrie (ICP-MS, LC-MS/MS, GC-MS) – für Metalle, organische Schadstoffe und Metaboliten
  • Atomabsorptionsspektrometrie (AAS) – v. a. für Schwermetallnachweise
  • Gaschromatographie mit Elektroneneinfangdetektor (GC-ECD) – besonders bei halogenierten organischen Verbindungen
  • Immunoassays – für spezifische Effektmarker oder Proteinaddukte

Alle Verfahren unterliegen externen Qualitätssicherungen (z. B. Ringversuche) und müssen umweltmedizinisch validiert sein.

Umweltmedizinisch relevante Referenz- und Grenzwerte

Zur Bewertung der Messergebnisse dienen toxikologisch abgeleitete Schwellenwerte:

  • Human-Biomonitoring-Werte (HBM I/II) – gesundheitsbezogene Orientierungswerte des Umweltbundesamtes
  • Biologische Arbeitsstoff-Referenzwerte (BAR) – Vergleichswerte für nicht beruflich Exponierte
  • Biologische Grenzwerte (BGW, vormals BAT-Werte) – arbeitsmedizinisch relevante Höchstkonzentrationen

Die Einordnung erfolgt stets im Zusammenspiel mit der Umweltanamnese, der Expositionsgeschichte und der klinischen Befundlage.

Klinische Indikationen in der Umweltmedizin

Die umweltmedizinische Anwendung des Biomonitorings ist insbesondere in folgenden Kontexten indiziert:

  • Chronische, unklare Beschwerden – zur Abklärung potenzieller umwelttoxikologischer Ursachen
  • Berufliche oder umfeldbedingte Expositionen – z. B. bei Arbeiten mit Lösungsmitteln, Flammschutzmitteln, Farben oder Pestiziden
  • Vulnerable Lebensphasen – z. B. Schwangerschaft, Stillzeit, frühe Kindheit
  • Umweltereignisse und Havarien – z. B. Brände, Leckagen, Altlastenexposition
  • Medizinisch begleitete Sanierungen – z. B. Wohnraumschadstoffe (Formaldehyd, PCB, Schimmel)

Zusammenfassung

Das Biomonitoring stellt in der Umweltmedizin ein unverzichtbares diagnostisches Werkzeug zur Erfassung, Bewertung und Verlaufskontrolle umweltbedingter Belastungen dar. Die Kombination aus moderner Analytik, klinischer Bewertung und umweltmedizinischer Kontextualisierung erlaubt eine individualisierte Risikoeinschätzung und bildet die Grundlage für gezielte therapeutische oder präventive Maßnahmen.

Weiterführende Informationen

Der nachfolgende Fragebogen zur Umweltanamnese hilft dabei, mögliche Umweltbelastungen systematisch zu erfassen. Er unterstützt Ihre behandelnde Ärztin bzw. Arzt dabei, gezielt weitere diagnostische Schritte einzuleiten. Nehmen Sie den ausgefüllten Fragebogen einfach zu Ihrem nächsten Arztbesuch mit.

 Fragebogen – Umweltanamnese

Literatur

  1. Jordt M: Erfolgreich IGeLn: Analyse – Organisation – Vermarktung. Springer Verlag 2006
  2. Schwartz F: Das Public-health-Buch. Urban & Fischer Verlag 2002
  3. Technische Regeln für Gefahrstoffe (TRSG). Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

Leitlinien

  1. S1-Leitlinie: Human-Biomonitoring, umweltmedizinische Leitlinie. (AWMF-Registernummer: 002 - 024), September 2011 Langfassung