Diabetes mellitus Typ 1 – Folgeerkrankungen

Diabetes mellitus Typ 1 führt u. a. zu Mikro- und Makroangiopathien (Gefäßerkrankungen der kleinen und großen Gefäße):

Diabetische Mikroangiopathie – erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände kleiner Blutgefäße, führt zu

  • Diabetische Nephropathie (Nierenerkrankung) (20-50%ige Wahrscheinlichkeit)
  • Diabetische Neuropathie (Nervenerkrankung)
  • Diabetische Pneumopathie (Lungenerkrankung) 
  • Diabetische Retinopathie (Netzhauterkrankung)
  • Störung der Durchblutung – diabetischer Fuß (diabetisches Fußsyndrom), mitunter Amputationen
  • Störung der Wundheilung – chronische Wunden

Diabetische Makroangiopathie – erhöhte Durchlässigkeit der Gefäßwände großer Blutgefäße, führt zu Erkrankungen des Herzkreislaufsystem (s. u.)

Im Folgenden die wichtigsten Erkrankungen bzw. Komplikationen, die durch einen Diabetes mellitus Typ 1 mit bedingt sein können:

Atmungssystem (J00-J99)

  • Diabetische Pneumopathie (Lungenerkrankung) mit einer restriktiven Ventilationsstörung (gilt für den FEV1- und den FVC-Wert ebenso wie für die Diffusionskapazität)
    Beachte: Der beste Prädiktor für eine pulmonale Beteiligung ist das Vorliegen einer diabetischen Nephropathie.

Augen und Augenanhangsgebilde (H00-H59)

  • Diabetische Retinopathie – sich verschlechterndes Sehvermögen bis hin zur Blindheit
    • Kombination aus Diabetes mellitus und Weitwinkelglaukom → 4-fach erhöhtes Risiko für eine diabetische Retinopathie [19]

Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten (E00-E90)

  • Diabetische Ketoazidose (DKA) – Form des Coma diabeticum, bei dem es zu Blutzuckerwerten > 250 mg/dl mit Ketonurie (Auftreten von Ketonkörpern im Urin)/Ketonämie (erhöhte Konzentration von Ketonkörpern im Blut), metabolische Azidose (stoffwechselbedingte Übersäuerung) mit pH < 7,3 kommt; tritt vor allem beim Diabetes mellitus Typ 1 auf; Ursache für die erhöhte Mortalität (Sterblichkeit) bei Kindern und Jugendlichen
  • Entstehung weiterer Autoimmunerkrankungen wie beispielsweise Schilddrüsenerkrankungen (Hashimoto-Thyreoiditis und Morbus Basedow)
  • Hypoglykämien (Unterzuckerungen)

Haut und Unterhaut (L00-L99)

  • Chronische Wunden (wg. Störung der Wundheilung)
  • Diabetische Dermopathie – pigmentierte Papeln an den Unterschenkeln (-50 % der Diabetiker)
  • Diabetischer Fuß (Synonym: Diabetisches Fußsyndrom)
  • Erysipel (Wundrose) – Infektion mit hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A; häufigste Komplikation ist ein chronisches Lymphödem
  • Hautulzera (Hautgeschwüre) – z. B. Ulcus cruris (Unterschenkelgeschwür)
  • Lipoatrophie – Dystrophie des Fettgewebes; Auftreten aufgrund der lipolytischen Bestandteile der Insulinpräparate meist mehrere Monate nach Beginn der Insulintherapie 
  • Lipohypertrophie – Vermehrung des Fett- und Bindegewebes durch die lokale anabole Wirkung von Insulin bei gehäufter Injektion in die gleiche Region (entsteht meist bei jungen Diabetikern)
  • Mykosen (Pilzerkrankungen: Candida-Infektionen; Tinea)
  • Necrobiosis lipoidica – Entzündung der mittleren Dermis mit Anreicherung von Lipiden, die zur Nekrose (Gewebsuntergang) führt (1 % der Diabetiker; ca. 60 % der Patienten mit einer solchen Hauterkrankung weisen einen Diabetes mellitus auf)
  • Pruritus (Juckreiz) (-40 % der Diabetiker)

Herzkreislaufsystem (I00-I99)

  • Apoplex (Schlaganfall) – Diabetes mellitus gilt als unabhängiger Risikofaktor für den Apoplex 
  • Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung)
  • Herzinsuffizienz (Herzschwäche): bei Frauen liegt eine um 47 % stärkere Risikoerhöhung vor als bei Männern [16]
  • Koronare Herzkrankheit (KHK) – Minderversorgung des Herzens mit Blut aufgrund von Atherosklerose (Arterienverkalkung)
  • Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) – fortschreitende Verengung bzw. Verschluss der die Arme/ (häufiger) Beine versorgenden Arterien, meist aufgrund von Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung)

Infektiöse und parasitäre Krankheiten (A00-B99)

  • Erhöhte Anfälligkeit für virale und bakterielle Infektionen wie Pneumonien (Lungenentzündungen) oder Zystitiden (Harnwegsinfekte)
  • Onychomykose (Nagelpilz)
  • Tuberkulose (insbesondere pulmonale Tuberkulose/Tuberkulose der Lunge)  (obwohl nicht häufiger infiziert, ca. 3-fach erhöhtes Risiko für eine manifeste Erkrankung)

Mund, Ösophagus (Speiseröhre), Magen und Darm (K00-K67; K90-K93)

  • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) – CED-Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes ist mit 0,1 Prozent gut dreimal so hoch wie in der gleichaltrigen Bevölkerung; haben häufiger schwere Hypoglykämien (Unterzuckerungen) als Patienten ohne CED [17].
  • Diarrhoe (Durchfall)
  • Gastroparese (Magenlähmung)
  • Parodontalerkrankungen (Parodontitis) – entzündliche Erkrankungen des Zahnhalteapparates (Parodont)

Muskel-Skelett-System und Bindegewebe (M00-M99)

  • Osteoporose (Knochenschwund)

Neubildungen – Tumorerkrankungen (C00-D48)

  • Cervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs)
  • Endometriumkarzinom (Gebärmutterkrebs)
  • Magenkarzinom (Magenkrebs)

Ohren – Warzenfortsatz (H60-H95)

  • Innenohrschwerhörigkeit [1]

Psyche – Nervensystem (F00-F99; G00-G99)

  • Angst- und Affektstörungen – Kinder > 11 Jahre, die relativ neu mit der Diagnose konfrontiert wurden [4]
  • Demenz
  • Depression
  • Diabetische Neuropathie – Nervenschäden mit Sensibilitätsstörungen
  • Durchblutungsstörungen des Gehirns (wg. zerebraler Atherosklerose/Arterienverkalkung)
  • Epilepsie (Kinder und Jugendliche: 3,17-fach erhöhtes Risiko [6])
  • Erektile Dysfunktion (ED; Erektionsstörung) (Prävalenz bei [12]:
    • Diabetes mellitus Typ 1: 37,5 %
    • Diabetes mellitus Typ 2: 66,3 %
  • Essstörungen – Kinder > 11 Jahre, die relativ neu mit der Diagnose konfrontiert wurden [4]
  • Kognitive Leistungsfähigkeit
    • Substanzielle Verschlechterungen des Gedächtnisses und der psychomotorischen und geistigen Leistungsfähigkeit; Risikofaktoren und Komorbiditäten waren dafür höhere HbA1c-Werte (Blutzucker-Langzeitwert), mehr Episoden schwerer Hypoglykämien (Unterzuckerungen) und ein erhöhter systolischer Blutdruck (32 Jahre Nachbeobachtungszeit) [18]
    • Kognitive Defizite beim verbalen Gedächtnis und der Mustererkennung durch Hypoglykämien (Unterzuckerung): Diabetiker hätten dadurch eine weniger gute Hypoglykämiewahrnehmung, was wiederum schwere Hypoglykämien begünstigt [11]
  • Libidostörungen des Mannes (40 %) [13]
  • Sexuelle Funktionsstörungen der Frau – sexuelle Dysfunktion (42 %) [13]

Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O00-O99) 

  • Frühgeburt (22,3 %) [15]
  • Makrosomie (Geburtsgewicht oberhalb der 95. Perzentile (4350 g))

Symptome und abnorme klinische und Laborparameter, die anderenorts nicht klassifiziert sind (R00-R99)

  • Dyspnoe (Atemnot) – dabei auch an eine pulmonale Erkrankung denken.
    Beachte: Nur jeder zehnte Patient mit einer Dyspnoe leidet an einer kardialen Erkrankung (Herzerkrankung).
  • Frakturen (Knochenbrüche)
  • Harninkontinenz bei Frauen
    • Kontinenzprobleme (31 %) [13] 
    • schlechte glykämische Kontrolle über zehn Jahre erhöhte das Risiko (Odds Ratio, OR 1,03 pro mmol/mol HbA1c-Anstieg bzw. OR 1,41 pro HbA1c-Anstieg um jeweils einen Prozentpunkt [7]
  • Hypoglykämie (Unterzuckerung; nachts); insb. bei Kindern, die tagsüber Sport gemacht haben [8]
  • Kachexie (Auszehrung; sehr starke Abmagerung)
  • Subklinische Inflammation (engl. "silent inflammation") – permanente systemische Inflammation (Entzündung, die den gesamten Organismus betrifft), die ohne klinische Symptomatik verläuft
  • Suizidalität (Selbstmordgefährdung) (insb. junge Typ-1-Diabetiker)

Urogenitalsystem (Nieren, Harnwege – Geschlechtsorgane) (N00-N99)

  • Diabetische Nephropathie (Nierenerkrankung)
  • Harnwegsinfektionen (HWI) (3- bis 5-fach gesteigertes Risiko) (Frauen: 17 %) [13]
  • LUTS (Lower Urinary Tract SymptomsSymptome des unteren Harntraktes) (Frauen: 22 %; Männer: 24 %) [13]
  • Niereninsuffizienz – Prozess, der zu einer langsam fortschreitenden Verringerung der Nierenfunktion führt (20-30 %)

Weiteres

  • Dead-in-Bed-Syndrom – wahrscheinlich wg. hypoglykämisch induzierter Arrhythmien (Unterzuckerungen, die zur Herzrhythmusstörungen führen; (6-mal häufiger Bradykardien [10]; diese können eine frühe Nachpolarisation begünsten); betrifft junge Typ-1-Diabetiker während des Nachtschlafs
    Hinweis: Frühe Nachdepolarisationen können bei langem QT Torsades de pointes (TdP), polymorphe ventrikuläre Tachykardien und Kammerflimmern (Arrhythmie des Herzens, die lebensbedrohlich ist) auslösen.

Prognosefaktoren

Patientinnen mit Beginn der Erkrankung im Kindesalter haben im Vergleich zur übrigen Bevölkerung ein erhöhtes Mortalitätsrisiko (Sterberate) im 20.-30. Lebensjahr. Mit der erhöhten Mortalitätsrate waren assoziiert [2]:

  • niedriger sozioökonomischer Status
  • schlechte Blutzuckereinstellung
  • mindestens vier schwere Hypoglykämien (Unterzuckerungen) während der Erkrankung im Kindesalter

Mortalitätsrisiko gegenüber der Normalbevölkerung in Abhängigkeit vom HbA1c-Wert (Nationale schwedische Diabetes-Register) [3]:

  • HbA1c-Wert ≥ 9,7 Prozent: 8,51-fach erhöhtes Sterberisiko
  • HbA1c-Wert von 8,8 bis 9,6 Prozent: 3,65-fach erhöhtes Sterberisiko
  • HbA1c-Wert von 7,9 auf 8,7 Prozent: 3,11-fach erhöhtes Sterberisiko
  • HbA1c-Wert von 7,0 bis 7,8: 2,38-fach erhöhtes Sterberisiko
  • HbA1c-Wert ≤ 6,9 Prozent: 2,36-fach erhöhtes Sterberisiko

Weitere Hinweise

  • Zöliakie erhöhte bei Typ-1-Diabetikern das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen. Alle Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes sollten auf Zöliakie untersucht werden [5].
    Zöliakie ist eine chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten beruht.
  • Jugendliche Typ-1-Diabetiker mit stark schwankenden HbA1c-Werten ("Langzeit-Blutzuckerwert") haben ein erhöhtes Risiko für Mikroangiopathien (Erkrankungen der kleinen Gefäße; Albuminurie (vermehrte Ausscheidung von Albumin), Retinopathie Netzhauterkrankung), kardiale autonome Neuropathie/Nervenschäden am Herz) [9].
  • Erhöhung des Mortalitätsrisikos (Sterberisikos) durch [14]:
    • HbA1c-Wert-Erhöhung um 1 Prozentpunkt ging im Verlauf mit einer um 22 % gesteigerten Sterberate einher
    • Mikroalbuminurie verdoppelt das Sterberisiko, eine Makroalbuminurie vervierfacht dieses
    • Nierenfunktion

Literatur

  1. Bainbridge KE, Hoffman HJ, Cowie CC: Diabetes and hearing impairment in the United States: audiometric evidence from the National Health and Nutrition Examination Survey, 1999 to 2004.
  2. Cooper MN et al.: Clinical and demographic risk factors associated with mortality during early adulthood in a population-based cohort of childhood-onset Type 1 diabetes. Diabet Med, online 16. Juli 2014
  3. Lind M et al.: Glycemic Control and Excess Mortality in Type 1 Diabetes. N Engl J Med 2014; 371:1972-1982November 20, 2014 doi: 10.1056/NEJMoa1408214
  4. Butwicka A et al.: Risk of psychiatric disorders and suicide attempts in children and adolescents with type 1 diabetes. Diabetes Care2015; online 3. Februar
  5. Rohrer T, Wolf J, Liptay S et al.: Microvascular complications in childhood-onset type 1 diabetes mellitus and celiac disease: a multicenter longitudinal analysis of 56514 patients from the German-Austrian DPV database. Diabetes Care 2015;38(5):801-7. doi: 10.2337/dc14-0683
  6. Chou IC et al.: Risk of epilepsy in type 1 diabetes mellitus: a population-based cohort study. Diabetologia, online 31. März 2016
  7. Lenherr SM et al.: Glycaemic control and risk of incident urinary incontinence in women with Type 1 diabetes: results from the Diabetes Control and Complications Trial and Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications (DCCT/EDIC) study. Diab Med 2016, online 24. April doi: 10.1111/dme.13126
  8. Bachmann S et al.: Nocturnal Hypoglycemia and Physical Activity in Children With Diabetes. Diabetes Care 2016 May; dc160411. http://dx.doi.org/10.2337/dc16-0411
  9. Virk SA et al.: Association Between HbA1c Variability and Risk of Microvascular Complications in Adolescents With Type 1 Diabetes. J Clin Endocrinol Metab 2016; 101: 3257-3263 doi: http://dx.doi.org/10.1210/jc.2015-3604
  10. Novodvorsky P et al.: Diurnal Differences in Risk of Cardiac Arrhythmias During Spontaneous Hypoglycemia in Young People With Type 1 Diabetes. Diab Care 2017; 40: 655-662 https://doi.org/10.2337/dc16-2177
  11. Hansen TI et al.: Cognitive deficits associated with impaired awareness of hypoglycaemia in type 1 diabetes. Diabetologia 2017; 60:971-979 doi: 10.1007/s00125-017-4233-3
  12. Kouidrat Y et al.: High prevalence of erectile dysfunction in diabetes: a systematic review and meta-analysis of 145 studies. Diabet Med 2017; online 18. Juli doi10.1111/dme.13403
  13. Wessells H et al.: Burden of Urological Complications in Men and Women With Long-standing Type 1 Diabetes in the Diabetes Control and Complications Trial/ Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications Cohort. Diabetes Care 2018; 41: 2170-2177 https://doi.org/10.2337/dc18-0255
  14. Rawshani A et al.: Relative Prognostic Importance and Optimal Levels of Risk Factors for Mortality and Cardiovascular Outcomes in Type 1 Diabetes. Circulation 25. Feb 2019; https://doi.org/10.1161/CIRCULATIONAHA.118.037454
  15. Ludvigsson JF et al.: Maternal Glycemic Control in Type 1 Diabetes and the Risk for Preterm Birth: A Population-Based Cohort Study Ann Intern Med. 2019. doi: 10.7326/M18-1974
  16. Ohkuma T et al.: Diabetes as a risk factor for heart failure in women and men: a systematic review and meta-analysis of 47 cohorts including 12 million individuals iabetologia (2019). https://doi.org/10.1007/s00125-019-4926-x
  17. Jasser-Nitsche et al.: Comorbidity of inflammatory bowel disease in children and adolescents with type 1 diabetes. Acta Paediatrica 29 October 2020 https://doi.org/10.1111/apa.15643
  18. Jacobson AM et al., and the DCCT/EDIC Research Group (2021) Cognitive performance declines in older adults with type 1 diabetes: results from 32 years of follow-up in the DCCT and EDIC Study. Lancet Diabet Endocrinol 9: 436-445
  19. Chauhan MZ et al.: Association of Primary Open-Angle Glaucoma with Diabetic Retinopathy among Patients with Type 1 and Type 2 Diabetes Ophthalmology January 09, 2024 doi:https://doi.org/10.1016/j.ophtha.2024.01.016