Nephrotisches Syndrom – Einleitung

Das nephrotische Syndrom (NS) ist ein klinischer Symptomenkomplex, der durch eine signifikante Proteinurie (Proteinverlust über den Urin > 3,0-3,5 g/Tag bei Erwachsenen, > 1 g/m² KOF/Tag bei Kindern), eine Hypoproteinämie (verringerter Eiweißgehalt im Blut), eine Hypoalbuminämie (Serumalbumin < 2,5 g/dl), Ödembildung (Wassereinlagerungen im Gewebe) sowie eine Hyperlipidämie (erhöhte Blutfettwerte) charakterisiert ist. Das NS tritt typischerweise bei einer Schädigung der Glomeruli (Nierenkörperchen) auf, die durch verschiedene Erkrankungen verursacht werden kann.

Synonyme und ICD-10: Akute Nephrose; angeborenes nephrotisches Syndrom; Chromoproteinniere [Hämoglobinurische Nephrose]; Epstein-Nephrose; Epstein-Syndrom; Glomerulonephritis mit Ödem; Glomerulonephrose; Hämoglobinurische Nephrose [Chromoproteinniere]; Hypokomplementämische Nephrose mit glomerulärer Läsion; Kongenitale Nephrose; Lipoidnephrose; Nephritis desquamata; Nephritis mit Ödem; Nephrose; Nephrose mit glomerulärer Läsion; Nephrose-Syndrom; Nephrotisches Syndrom; Nephrotisches Syndrom mit Dense-deposit-Krankheit; Nephrotisches Syndrom mit diffuser endokapillär-proliferativer Glomerulonephritis; Nephrotisches Syndrom mit diffuser membranöser Glomerulonephritis; Nephrotisches Syndrom mit diffuser mesangiokapillärer Glomerulonephritis; Nephrotisches Syndrom mit diffuser mesangioproliferativer Glomerulonephritis; Nephrotisches Syndrom mit fokaler glomerulärer Läsion; Nephrotisches Syndrom mit Glomerulonephritis mit diffuser Halbmondbildung; Nephrotisches Syndrom mit minimaler glomerulärer Läsion; Nephrotisches Syndrom mit segmentaler glomerulärer Läsion; Nierenkapselödem; Nierenrindenverfettung; Paraproteinnephrose; Protein-Nephrose; Renale Wassersucht; Tubuläre parenchymatöse Nephrose; ICD-10-GM N04.-: Nephrotisches Syndrom

Des Weiteren können eine Hypocalcämie (Calciummangel) und eine beschleunigte BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit; Entzündungsparameter) vorliegen.

Charakteristische Laborbefunde

Die wichtigsten charakteristischen Laborbefunde beim nephrotischen Syndrom sind:

1. Proteinurie

  • Definition: Erhöhte Ausscheidung von Protein im Urin.
  • Messung: > 3,5 g/24 Stunden (bei Erwachsenen) oder ein Protein-Kreatinin-Verhältnis im Urin von > 3,5 mg/mg.
  • Bedeutung: Das Leitsymptom des nephrotischen Syndroms, das durch eine gestörte glomeruläre Filtrationsbarriere verursacht wird.

2. Hypoalbuminämie

  • Definition: Erniedrigte Serumalbuminwerte.
  • Messung: < 2,5 g/dL.
  • Bedeutung: Resultiert aus dem Verlust von Albumin über den Urin. Hypoalbuminämie führt zur Reduktion des kolloidosmotischen Drucks und trägt zur Bildung von Ödemen (Wassereinlagerungen im Gewebe) bei.

3. Hyperlipidämie

  • Definition: Erhöhte Serumlipidwerte.
  • Messung:
    • Erhöhtes Gesamtcholesterin: > 200 mg/dL.
    • Erhöhtes LDL-Cholesterin: > 130 mg/dL.
    • Erhöhte Triglyzeride: > 150 mg/dL.
  • Bedeutung: Durch den Albuminverlust wird die Leber angeregt, vermehrt Lipoproteine zu synthetisieren, was zur Hyperlipidämie (Fettstoffwechselstörung, bei der bestimmte Lipoproteine und die von ihnen transportierten Lipide (Cholesterin, Triglyzeride) im Blut erhöht sind) führt.

4. Lipidurie

  • Definition: Vorhandensein von Lipiden im Urin.
  • Nachweis: Mikroskopisch durch die Identifikation von Fetttröpfchen oder "Maltese-Kreuz"-Strukturen im Urinsediment (polarisiertes Licht).
  • Bedeutung: Resultiert aus der erhöhten Lipidproduktion in der Leber und deren vermehrtem Verlust über die geschädigte glomeruläre Filtrationsbarriere.

5. Ödeme

  • Klinische Beobachtung: Schwellungen, die aufgrund der Hypoalbuminämie und des verminderten kolloidosmotischen Drucks auftreten.
  • Lokalisation: Häufig an den unteren Extremitäten, im Gesicht (insbesondere periokulär ("um das Auge herum")), und möglicherweise generalisiert (Anasarka).

6. Hyperkoagulabilität (pathologisch erhöhte Gerinnbarkeit des Blutes)

  • Definition: Erhöhte Neigung zu thrombotischen Ereignissen.
  • Laborbefunde:
    • Erhöhte Fibrinogenkonzentration.
    • Erniedrigte Antithrombin-III-Spiegel.
    • Potenziell erhöhte D-Dimer-Spiegel bei aktiver Thrombose.

7. Elektrolytstörungen

  • Hyponatriämie (Natriumsmangel): Häufig durch Verdünnungshyponatriämie infolge der Wasserretention.
  • Hypocalcämie (Calciumsmangel): Durch Albuminverlust bedingte erniedrigte Gesamtkalziumwerte, wobei das ionisierte Calcium normal sein kann.

8. Erhöhte Kreatinin- und Harnstoffwerte

  • Bedeutung: Bei fortgeschrittenem nephrotischem Syndrom oder zusätzlicher akuter Nierenschädigung können erhöhte Werte auftreten, die auf eine reduzierte glomeruläre Filtrationsrate hinweisen.

Diese Laborbefunde sind zentral für die Diagnose und das Management des nephrotischen Syndroms und helfen, die Schwere der Erkrankung sowie die zugrunde liegende Ursache einzuschätzen. Die Befunde sollten immer im Kontext der klinischen Präsentation und gegebenenfalls weiterer diagnostischer Untersuchungen interpretiert werden.

Formen der Erkrankung

  • Primäres nephrotisches Syndrom: Idiopathische Form, meist bei Kindern, ohne erkennbare Ursache.
  • Sekundäres nephrotisches Syndrom: Folge anderer Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus, Lupus erythematodes, Amyloidose.
  • Hereditäres nephrotisches Syndrom: Genetisch bedingte Form, manifestiert sich in den ersten Lebensmonaten (kongenital) oder im ersten Lebensjahr (infantil).

Ursachen

  • Primäre glomeruläre Erkrankungen: Minimal-Change-Glomerulonephritis, fokal-segmentale Glomerulosklerose, membranöse Glomerulonephritis.
  • Sekundäre glomeruläre Erkrankungen: Systemische Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Lupus erythematodes, Infektionen (z. B. Hepatitis B/C), Medikamente (z. B. NSAR, Gold).

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Jungen zu Mädchen ca. 2:1.

Häufigkeitsgipfel:
Idiopathisches nephrotisches Syndrom bei Kindern zwischen 2 und 5 Jahren.

Prävalenz
(Krankheitshäufigkeit): Keine genauen Daten vorhanden.

Inzidenz
(Häufigkeit von Neuerkrankungen): 3-7 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr (in Deutschland); bei Kindern mit idiopathischem NS 2-5 Erkrankungen pro 100.000 Kinder pro Jahr.

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • Unbehandelt führt das nephrotische Syndrom in 90 % der Fälle zu einer Niereninsuffizienz (Nierenschwäche).
  • Rezidive (Wiederauftreten der Erkrankung) treten bei 80-90 % der Patienten auf. Ein Drittel der Kinder zeigt keine Rezidive, ein Drittel seltene Rezidive ("infrequent relapser"), und ein Drittel häufige Rezidive ("frequent relapser") oder entwickelt ein steroidresistentes nephrotisches Syndrom (SRNS).

Prognose

  • Eine frühzeitige Therapie ist entscheidend, um eine Niereninsuffizienz zu verhindern.
  • Eine mögliche Komplikation ist eine Thromboseneigung (gesteigerte Blutgerinnung) aufgrund der Hypoproteinämie (verringerter Eiweißgehalt im Blut), wobei die Thromboseneigung bei etwa 50 % liegt.
  • Langfristig besteht die Gefahr der Steroidtoxizität bei längerer Therapiedauer.

Leitlinien

  1. S2e-Leitlinie: Idiopathisches Nephrotisches Syndrom im Kindesalter: Diagnostik und Therapie. (AWMF-Registernummer: 166-001), Juni 2020 Kurzfassung Langfassung